Auf zweierlei Weise benachteiligt:
Frauenräume in der Zionistischen
Weltorganisation (1897-1920) Von
Agnieszka Oleszak
Context XXI
5-6/2005
FRAUENRAUM – das kann ein Zimmer, eine Küche,
die Mode sein. Weiterhin können Verhaltensnormen wie auch eine
bestimmte Körpervorstellung einen Frauenraum bilden.(1) Im
Folgenden wird unter Frauenraum ein Raum für politische Aktivität
der Frauen und ihre Beteiligung an der zionistischen Bewegung
verstanden.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts war die
Zionistische Weltorganisation mit ihrem Begründer Theodor Herzl
daran beteiligt, einen Frauenraum im Rahmen des politischen
Zionismus zu konstruieren. "Wir haben die ersten Ansätze zu
Reformen, die anderswo noch lange Träume bleiben werden; [...] wir
haben das gleiche Recht der Frau [...] in unserem Programme
festgelegt". (2) Mit diesen Worten beschrieb Herzl die Stellung der
Frau in der Bewegung. In der Tat hat der 2. Zionistische Kongress
1898 den Frauen sowohl aktives als auch passives Wahlrecht
eingeräumt. In Anbetracht der damaligen Stellung der Frau war es ein
revolutionärer Akt, dessen Höhepunkt die Gründung der International
Women Zionist Organisation (W.I.Z.O.) war.
Durch die Gewährleistung des Wahlrechts erübrigten
sich die Versuche zum Kampf für die Gleichberechtigung der
Zionistinnen. Die Gleichberechtigung galt als Geschenk, das die
Zionistinnen für die zionistischen Strukturen teilweise
unempfindlich machte. Die Zionisten glaubten wiederum, indem sie die
Bewegung zur einzigen egalitären Organisation erklärten, diese für
Jüdinnen besonders anziehend zu machen. Wenn Frauen sich der
Bewegung nicht anschlossen, wurde angenommen, dass sie von ihren
Rechten keinen Gebrauch machen wollten und an der Gründung des
jüdischen Staates nicht interessiert waren.
Die im Artikel aufgestellte These lautet:
Erklärungen von der Gleichberechtigung hinderten zionistische
Politiker und Ideologen nicht daran, die Frauen als "andere" zu
sehen. Demzufolge kann der den Frauen eingeräumte Freiraum und ihr
politisches Engagement als Ausgangspunkt für die zionistische
feministische Frauenbewegung betrachtet werden. In "Ewa", einer
prozionistischen Warschauer Wochenzeitschrift, ist zu lesen:
"Es ist wahr, dass, obwohl die Frauen ihr Ziel
sehr schnell erreicht haben, sie sich noch lange bilden müssen,
um der Teil der Menschheit zu werden, der um bessere
Lebensformen kämpft. Bis zu diesem Zeitpunkt werden sie von
dunklen Politikern für ihre unklaren Ziele ausgenutzt."(3)
Anzunehmen ist, dass das Wahlrecht aus
pragmatischer Überlegung heraus zugestanden wurde und man von der
Funktionalisierung der Zionistin sprechen kann. Die Aktivitäten der
Zionistinnen wurden dem zionistischen Ziel, der Staats- und
Nationsbildung, untergeordnet. Die Pflicht der Frau war,
zionistische Nachfolger zu gebären und zu erziehen. Dem Protokoll
des 11. Kongresses ist zu entnehmen:
"Der zionistische junge Mann [...] hört in
vielen Fällen bald auf, Zionist zu sein, wenn er sich
verheiratet, weil seine Frau nicht mittun will. [...] Dem
jüdischen Heim fehlt die jüdische Frau, die jüdische Mutter. Die
zionistische jüdische Männerfrage ist eine jüdische Frauenfrage.
Kein zionistischer Mann ohne die zionistische Frau."(4)
Der geschaffene Raum unterlag ständigen
Transformationen. In diesem Zusammenhang spricht Sherry B. Ortner
von making gender und unterscheidet zwischen dem im Ausdruck
stärkeren "construct" und dem schwächeren "making".(5) Sie spricht
von einer Wechselwirkung zwischen dem menschlichen Handeln und einer
bestimmten sozialen und kulturellen Ordnung. In diesem Sinne ist es
nicht nur die soziale und kulturelle Ordnung, die das Handeln des
Menschen beeinflusst, sondern auch der Mensch, der durch sein
Handeln die soziale Wirklichkeit bestimmt ("make – reproduce or
transform"). Die Analyse des weiblichen Zusammenwirkens und Handelns
zeigt, dass die Zionistinnen nicht nur den vorgeschriebenen Mustern
folgten, sondern sich ihnen widersetzten, um neue zu schaffen.
Wichtig dabei ist nicht die Frage nach der Reproduktion der Macht
und der Ungleichheit, sondern nach der Absicht, die die Zionistinnen
verfolgten, als sie sich entschlossen, die vorhandene Ordnung zu
ändern.
Die Quellen lassen die Feststellung zu, dass viele
Frauen in ihren "weiblichen" Rollen gestärkt, auf subtile Fragen
ihrer Unterdrückung unempfindlich reagierten. Bedenkt man noch, dass
Frauen für die Abkehr der ganzen Familie vom Judaismus und somit für
das Desinteresse der Männer und Kinder am Zionismus schuldig gemacht
wurden, so lässt sich annehmen, dass die Tätigkeit in der
zionistischen Bewegung ihnen eine Chance gab, diesen Vorwurf
zurückzuweisen.
An dieser Stelle möchte ich den Vorwurf
vorwegnehmen, dass ich die Zionistinnen aus heutiger Sicht angreife,
dass sie sich dem geltendem Frauenbild nicht stark genug widersetzt
haben. Ich bin mir dessen bewusst, dass damals eine solche Stellung
eher unwahrscheinlich war, dennoch gab es Ausnahmen. Puah Rakovsky,
eine – wie sie sich selbst beschrieb – "furchtbare Häretikerin, die
die Perücke absetzte und eine nicht koschere Küche hatte"(6), die
nach dem I. Weltkrieg in Polen den später in die W.I.Z.O.
eingegliederten Verband der Jüdischen Frauen gegründet hatte,
bemerkt:
"'Unsere' Welt sollte 'unser' Haus sein – diese
Maxime hat längst Bankrott gemacht. Die Pflicht der Frau ist,
sich die höchste Mühe zu geben, um Plätze für Frauen in der
Sozialwirtschaft, Rechtsgebung und der Regierung zu
gewinnen."(7)
Nunmehr möchte ich auf die Errungenschaften der
Zionistinnen aufmerksam machen. Es ist ihnen gelungen, die von den
Frauen geleistete "unproduktive" Arbeit als produktive einzustufen
und in den "öffentlichen" Bereich zu rücken. Obwohl dies das Problem
des traditionellen Charakters der Arbeit nicht löste, hatte es zur
Folge, dass die Grenze zwischen dem "Privaten" und dem
"Öffentlichen" verschoben wurde und Jüdinnen den öffentlichen
Bereich betraten. Die Zionistinnen verbreiteten unter den Frauen die
Idee der Produktivität, der die zionistische Ideologie eine große
Bedeutung beigemessen hat. Einer W.I.Z.O.-Broschüre ist zu
entnehmen:
"W.I.Z.O. hat sich zur Aufgabe gemacht, die
Frauenarbeit durch Ausbildung in der Landwirtschaft, Gärtnerei
und Haushaltsführung effizienter zu gestalten. [...] Das ist das
Tätigkeitsfeld der W.I.Z.O. in Palästina, die darauf abzielt,
die Frau zu einem positiven Glied im produktiven Leben des
Landes zu machen."(8)
Das als Gleichberechtigung erfasste Wahlrecht
erschien den Zionistinnen nicht ausreichend zu sein. Mit der Zeit
kam die Forderung nach einer getrennten Frauenorganisation im Rahmen
der Zionistischen Weltorganisation. Auf diesem Wege erhofften sich
die Zionistinnen die wirkliche Gleichberechtigung zu erlangen. Die
Entstehung einer Frauenorganisation kann als Versuch der
Zionistinnen interpretiert werden, sich den Männern
entgegenzusetzen, eine Form von Autonomie zu wahren und ein
Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Frauen zu erzeugen. Demzufolge
haben die Zionistinnen angefangen, den zionistischen Begriff der
Gleichberechtigung zu hinterfragen:
"In allgemeinen Organisationen kommt es dazu,
dass Frauen durch männliche Rücksichtslosigkeit und Arroganz
gedämpft werden, und es ist für sie notwendig, ausgezeichnete
angeborene Fähigkeiten oder eine lange soziale Erfahrung zu
besitzen [...], um auf eine selbstständige und
verantwortungsvolle Stelle zu kommen. Deswegen ist die Tendenz
zur Gründung gesonderter Frauenorganisationen
selbstverständlich."(9)
1920 bewilligte die Zionistische Weltorganisation
die Gründung der Women International Zionist Organisation, in der
Frauen ihren Bestrebungen unter männlicher Führung nachgehen
konnten. Die Aufgabe der W.I.Z.O. bestand jedoch nicht darin, die
Interessen der Frauen zu vertreten, sondern die Zionistische
Weltorganisation unter den jüdischen Frauen zu verbreiten und zu
repräsentieren.
Das von der Zionistischen Weltorganisation
verbreitete Rollenmodell ist ein Beispiel dafür, wie Macht- und
Herrschaftsverhältnisse die Geschlechterdifferenz beeinflussen.
Herzl sah in seiner Idee der Staatsgründung die Möglichkeit zur
Anerkennung der Juden durch andere Nationen. Die "Feminisierung" des
Juden war ein häufiger Bestandteil des Diskurses im fin de siècle
Europa. Demzufolge verkörperte der Jude, im Gegensatz zum modernen
männlichen Ideal, all die weiblichen Charaktereigenschaften, wofür
er in der europäischen Gesellschaft verachtet wurde. Mit der
zionistischen Theorie des Neuen Juden erhoffte man sich, der
feindlichen Überzeugung entgegenzuwirken, dass der Jude schwach,
unproduktiv und feminin sei. Die Hervorhebung von Stärke und
Produktivität führte dazu, dass man die Frau aus dem "öffentlichen"
Bereich auszuschließen versuchte und sie in der häuslichen Nähe für
die Familie und Erziehung im zionistischen Geist verantwortlich
machte. Somit stellte Arthur Ruppin auf dem 14. Kongress 1925 fest:
"Wenn ich sage, dass wir in Palästina Europäer
bleiben wollen, so heißt das auch, dass wir [...] unsere Frauen
nicht, wie dies bei den Ägyptern üblich ist, einfach zu
Transporttieren erniedrigen wollen. [...] Vorläufig sind wir die
Einzigen in diesem Gebiet, [...] die ihren Frauen die
Möglichkeit eines häuslichen Lebens geben."(10)
Die so verlaufende Grenze zwischen dem "Privaten"
und dem "Öffentlichen" stieß auf starke Kritik, besonders seitens
der osteuropäischen Jüdinnen (z. B. Rakovsky), deren aktive Rolle in
traditionellen jüdischen Gemeinden sich nicht lediglich auf die
häusliche Sphäre beschränkte. Eine traditionelle Jüdin Osteuropas
war für den Lebensunterhalt mitverantwortlich, was sich jedoch auf
ihren Status in der Gemeinde nicht übertrug. Da dort die Grenze
zwischen dem "privaten" und dem "öffentlichen" Bereich nicht nach
bürgerlichen Mustern verlief, könnte man aus zionistischer
Perspektive von einer Umkehrung der traditionellen
Geschlechterrollen sprechen. Eben durch den Kontakt zur Außenwelt
begegnete eine osteuropäische Jüdin der zionistischen Idee. Letzten
Endes fiel es ihr jedoch schwerer, sich mit der Rolle einer
traditionellen Zionistin abzufinden. In "Ewa" ist zu lesen:
"Die jüdische Frau ist also auf zweierlei Weise
benachteiligt, im rechtlichen Sinne als Jüdin und als Frau.
Daher dieses enorme Leidensgefühl, daher dieser gewaltige Drang
nach dem Kampf für eigene Rechte. Der Kampf ist nämlich doppelt:
für die nationale und sozial-feministische
Gleichberechtigung."(11)
Diese Tatsache verweist darauf, dass der
politische Zionismus einen Frauenraum eröffnete, selbst aber für die
Idee der Gleichberechtigung unzureichend war. Trotz der
Gleichheitsideen musste sich eine abgesonderte zionistische
Frauenbewegung entwickeln. In diesem Zusammenhang spricht Ruth
McElroy von "sexing the nation" in dem Sinne, dass die Konstruktion
der Geschlechterunterschiede ein fester Bestandteil der
Nationsformung sei.(12) Sie bemerkt, dass Machtorgane die Frau,
aufgrund ihres Geschlechts (Gebärfähigkeit), als Nationsstütze
ansehen, sie ihr jedoch lediglich eine symbolische Macht einräumen.
Anzumerken ist, dass in der Gesellschaft, in der das auf den
nichtjüdischen Werten basierende Männlichkeitsideal hoch gelobt
wurde, es den Frauen schwer fiel, die gleichen Positionen wie Männer
zu beanspruchen.
Agnieszka Oleszak, Doktorandin an der Europa
Universität Viadrina Frankfurt (Oder), hat Angewandte Linguistik in
Poznan / Pl und Kulturwissenschaften in Frankfurt (Oder) / D. Ihr
Interessenbereich umfasst Gender Jewish Studies. Momentan lebt sie
und studiert in Tel-Aviv.
Mehr aus Context XXI
Anmerkungen:
(1) Vgl. Choluj 2001:3. Choluj, B., (2001),
Róznica miedzy women’s studies i gender studies, In: Katedra 1,
(2-5).
(2) Stenographisches Protokoll der Verhandlungen des 6.
Zionisten-Kongresses, 1903: 340; im Folgenden Protokoll genannt.
(3) Ewa 1928/9: 4
(4) Protokoll 11. Kongress 1913: 178f.
(5) Vgl. Ortner 1996: 1ff. Ortner, S. B., (1996) (Hrsg.), Making
Gender. The Politics and Erotics of Culture, Boston
(6) Rakovsky 2002:48. Rakovsky, P., (2002), My life as a radical
Jewish Woman. Memoirs of a Zionist feminist in Poland, Bloomington,
In: Hyman, P. und Moore, D., (Hrsg.).
(7) Ewa 1929/2: 1.
(8) Moszkiewiczowa 1938: 2. Moszkiewiczowa, H., (1938), W.I.Z.O. a
Palestyna, In: Lubelska, F., (Hrsg.), Nasza Droga. Jednodniówka,
Kalisz: Zrzeszenie Kobiet Zydowskich W.I.Z.O.
(9) Ewa 1928/20: 1.
(10) Protokoll 14. Kongress 1925: 84. |