Zum Thema: Entschädigung
für NS-Zwangsarbeiter
Veranstaltung am 30.
November 1999 um 19.00 Uhr
in der Marktkirche HannoverPortrait von Hans Frankenthal:
Die Last der Erinnerung
Markus
Götte -
tacheles.net
Er war fünfzehn, als man ihn zur Zwangsarbeit verschleppte. Hans
Frankenthal verlor auf der Rampe von Auschwitz seine Eltern. Jahre lang
schwieg er, bis er sich als alter Mann erinnerte - und eine späte
Entschädigung für die früheren NS-Zwangsarbeiter forderte. Die Debatte
bei Tacheles war sein letzter großer öffentlicher Auftritt, kurz darauf
starb Hans Frankenthal.
Erst wurde er zur Arbeit bei einer Straßenbaufirma
gezwungen. 1943 verschleppte man Hans Frankenthal mit seiner Familie
nach Auschwitz. Seine Eltern sah er nie wieder. Gemeinsam mit seinem
Bruder wurde er Sklavenarbeiter der I.G. Farben-Industrie. Mit der
Räumung von Auschwitz war seine Odyssee noch nicht beendet. Im Januar
1945 kam er in das berüchtigte Konzentrationslager Mittelbau-Dora im
Harz und musste in einem Bergstollen an der V2-Rakete bauen.
Die langwierigen Verhandlungen um eine Entschädigung der früheren
NS-Zwangsarbeiter erschienen ihm "als eine beschämende Bettelei". Dabei
sei die deutsche Industrie mit schuldig am Zweiten Weltkrieg gewesen,
"sie hat Hitler finanziell geholfen, zum Beispiel die IG Farben mit
einer Milliarde Mark. Ohne diese Unterstützung wäre Hitler nie an die
Macht gekommen."
Versöhnung sei nicht käuflich, meinte der frühere Zwangsarbeiter, aber
"das Geld kann Not lindern. Den ehemaligen Zwangsarbeitern in der
ehemaligen Sowjetunion muss sofort geholfen werden. Die haben zum Leben
zu wenig und zum Sterben zu viel." Über die Folgen der Zwangsarbeit
spreche niemand: über Gesundheitsschäden, über die Alpträume, über die
verlorene Jugend. "Es waren ja in der überwiegenden Mehrzahl junge
Leute, die die Deutschen damals auf der Strasse in Polen, in der
Ukraine, in Weißrussland aufgesammelt hatten, um sie nach Deutschland zu
transportieren."
Die späten Anstrengungen der deutschen Wirtschaft, Entschädigung zu
zahlen, hatten für Frankenthal eine bittere Note. "Das hat alles etwas
von einer Schlussstrichdebatte. Die Firmen, die in den Stiftungsfonds
einzahlen, wollen sich jetzt ein für alle mal davon frei kaufen."
Lange Zeit versuchte er, seine traumatische Kindheit zu verdrängen. "Aber
nach einer gewissen Zeit kann man nicht mehr verdrängen.", sagte er bei
Tacheles am roten Tisch. "Dann kommt einem die Geschichte nachgelaufen.
Nur durch Reden kann ich leben." Er veröffentlichte seine Erinnerungen
im Fischer Taschenbuch Verlag unter dem Titel "Verweigerte Rückkehr.
Erfahrungen nach dem Judenmord". Hans
Frankenthal starb am 22. Dezember 1999 im Alter von 72 Jahren.
Die Debatte am roten Tisch
haGalil 23-11-99
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