Deutsche Industrie und
Zwangsarbeit:
Ein unwürdiges Angebot
VON HERIBERT PRANTL
Nicht immer sind die Firmen
kleinlich. Als die Deutsche Bank das US-Unternehmen Bankers Trust aufkaufte,
zahlte sie an Frank Newman 100 Millionen Dollar Abfindung; und
Richard Daniel bekam immerhin noch 25 Millionen. Newman und
Daniel waren freilich auch keine Zwangsarbeiter, sondern die leitenden
Herren der aufgekauften Bank, nämlich ihr Chef und der Finanzdirektor.
Es ist sicher ein wenig zynisch,
solche Generosität einer machtvoll expandierenden deutschen Großbank mit der
Knickrigkeit der deutschen Wirtschaft bei der Entschädigung der
NS-Zwangsarbeiter in Zusammenhang zu bringen. Aber der Zynismus, der in dem
Angebot steckt, legt solche Vergleiche nahe: Ganze vier Milliarden wollen
deutsche Firmen zahlen, um damit etwa eine Million noch lebender
NS-Zwangsarbeiter zu entschädigen. Aus deren Schufterei haben sie horrende
Gewinne in Zig-Milliardenhöhe gezogen. Die Entschädigung für die, die das
NS-Regime bis heute überlebt haben, soll also nun an die viertausend Mark
pro Mann oder Frau betragen.
Ein solches Angebot beschämt die, die
es machen, nicht die, die es dann möglicherweise doch aus Not annehmen – um
zu Lebzeiten überhaupt noch etwas zu bekommen. Um die Schamgrenze zu
überschreiten, zahlt der Staat noch zwei Milliarden Mark drauf. Auf dass
aber die von den Firmen bezahlten vier Milliarden Mark diesen ganz bestimmt
nicht weh tun, will der Bundesfinanzminister sie als Betriebskosten gelten
lassen und damit zu etwa fünfzig Prozent aus der Staatskasse
zurückerstatten.
Es ist wohl so, dass die Firmen
Oberwasser bekommen haben, seitdem zwei US-Richter Sammelklagen ehemaliger
NS-Zwangsarbeiter abgewiesen haben – wegen örtlicher Unzuständigkeit. In dem
Maß, in dem sich der juristische Druck lockert, verhärtet sich offenbar die
Haltung der Unternehmen. Sie tun so, als seien die von ihnen ausgeworfenen
Beträge ein Geschenk aus Gnade und Barmherzigkeit. Das Gegenteil ist
richtig: Es handelt sich um berechenbare Ansprüche der Zwangsarbeiter, denen
sich die Wirtschaft fünfzig Jahre lang entzogen hat und deren Realisation
heute aus juristischen Gründen nicht eben leicht ist.
Der Bundeskanzler hat das Angebot der
deutschen Wirtschaft „würdig“ genannt.
Würdig? Es ist ein seltsames Wort in diesem Zusammenhang. Es geht um
Menschen, denen die Würde genommen, deren Leben zerstört wurde. Ihre Würde
kann man ihnen weder mit fünf- noch mit zwanzigtausend Mark zurückgeben; und
von der Würde der Industrie spricht man besser nicht. Nehmen wir also ein
anderes Wort: honorig vielleicht? Sind ein paar tausend Mark honorig,
angemessen, gebührlich, schicklich? Gut wäre es jedenfalls, wenn sich die
deutschen Firmen in ihrer Gesamtheit ein Beispiel an einzelnen von ihnen
nähmen, die für „ihre“ Zwangsarbeiter schon einen anständig dotierten Fonds
aufgelegt haben, die Siemens AG zum Beispiel, wenn sie also einen
fünfstelligen Betrag für jeden Zwangsarbeiter zur Verfügung stellten. Und
gut wäre es, wenn nicht bloß 36, sondern 600 Firmen einzahlen würden.
Solange das nicht so ist, verdient
der Entschädigungfonds seinen schönen Namen „Erinnerung, Verantwortung und
Zukunft“ nicht. Und solange muss sich die deutsche Wirtschaft vorhalten
lassen, dass sie allein für Sponsoring derzeit in einem einzigen Jahr so
viel Geld ausgibt, wie sie jetzt insgesamt den früheren NS-Zwangsarbeitern
anbietet.