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DER STANDARD - WIEN
Montag, 18. Oktober 1999 / Kommentar

Doron R. und D. Rabinovici
Der nationale Doppler

Der Schriftsteller Doron Rabinovici, geboren in Israel und seit vielen Jahren ein Bewohner der Alpenrepublik, mischt sich in die inneren Angelegenheiten seiner Identitäten und macht Wolfgang Schüssel ein "unanständiges Angebot".

Vor einigen Tagen drohte der in Tel Aviv geborene Doron R. dem in Wien lebenden D. Rabinovici damit, die Beziehungen zu ihm zu überdenken. Seitdem geht es auch in mir rund. Die beiden können nicht mehr voneinander lassen, streiten und urteilen hart über die Medien, aber bloss über jene des jeweils anderen Landes. "Wir Österreicher wählen, wen wir wollen", sage ich mir trotzig, worauf ich mir lächelnd entgegne: "Nu, kein Problem - wir Israeli haben eben diplomatische Kontakte, mit wem wir wollen."

So gehe ich als nationaler Doppler, als hochprozentiges Gemisch, durch die Strassen, in denen eben noch flammengelb der Hass gegen die Fremden geschürt wurde, und fühle mich so eigen und ganz fremd. "Immer musst Du Dich vordrängen und einmischen. Es ging in diesem Wahlkampf nicht um Juden, sondern um Ausländer, um Muslime oder Afrikaner. Kannst Du es nicht ertragen, einmal nicht das auserwählte Opfer zu sein?" In solchen Momenten wird der Israeli sehr ernst und fordert mich auf, jegliche Antisemitismen zu unterlassen.

Ob ich nicht wisse, fragt mich der Tel Aviver, dass Leute meines Staates sechs Millionen Menschen meines Volkes ermordeten? Mag sein, spricht er weiter, dass die Österreicher die Vergangenheit nur allzu gerne vergessen, doch jedem halbwegs gebildeten Menschen ausserhalb des Alpenlandes holt angesichts der FPÖ-Kampagnen die Erinnerung ein, überkommt der Gedanke an die Geschichte.

Ich, mein innerer Orientale, kenne kein Halten mehr. Ich komme mir frech und zionistisch. "Ihr Diasporajuden feiert den israelischen Unabhängigkeitstag, lasst es Euch gut gehen, weil Ihr wisst, dass Ihr jederzeit bei uns Unterschlupf finden könntet. Was machst Du überhaupt noch in Wien, Du Überfremdling?"

Schizoide Situation

Wie komme ich eigentlich dazu, mir meine Fragen gefallen lassen zu müssen? Wo ich lebe, bestimme ich: "Ich werde mich nicht dem Ungeist ethnischer Ausweisungen unterwerfen. Leben wir nicht überall, alle, ob Juden oder nicht, ob in Zion, Zürich oder Zell am See, in einer globalen, multikulturellen Diaspora? Sind die Fragen, die wir uns in verschiedenen Ländern stellen müssen, nicht sehr ähnlich? Gibt es denn in Israel keine Rechtsextremisten? Sind dort keine Rassisten zuhause?"

Kaum verstummt, frage ich den, der ich bin, ob er meschugge ist: "Wenn irgendjemand in der Welt zu Recht Benjamin Netanyahu Rechtspopulismus vorwirft, bitte sehr, ich werd ihn nicht rechtfertigen. Die beste Antwort gegen alle nationalistischen Verwechslungen war die israelische Friedensbewegung. Allein Yitzhak Rabins Politik machte klar, dass Israel nicht mit Arik Scharon gleichgesetzt werden darf. Wenn das offizielle Österreich nicht mit Haider verwechselt werden will, darf es ihn eben nicht an seiner statt verteidigen."

Einig sind sich meine beiden bloss, dass sie in einer schizoiden Situation leben. In einer Welt, die mit der Eindeutigkeit ethnischer Zugehörigkeit populistische Erfolge feiert, summt in mir das Stimmengewirr verschiedener Identitäten. Auch horche ich dem, was gesagt wird, in mehreren Klangwelten zu. Ich höre räumlich und lebe im Widerhall vieler Kulturen.

Zuweilen verstummt meine innere Zwietracht, etwa wenn der Wiener und der Tel Aviver gemeinsam rätseln, was David Levy möchte, ob er die diplomatischen Beziehungen zu Wien nun abbrechen will oder nicht. Bei manchen Worten kann es in mir keine Einigkeit geben. Wer etwa ist ein Neonazi? In Österreich meint man damit einen skurrilen Wiedergänger, dessen Rechte allzeit erregieren will, der "Sieg Heil" brüllt, sich in Trachten der Vergangenheit hüllt. So einer ist ein kriminelles Wesen, das all jene nationalsozialistischen Verbrechen gutheisst, von denen es andererseits behauptet, sie hätten nie stattgefunden.

Kurz und gut: Der Österreicher in mir weiss zwischen einem Jörg Haider und einem Gottfried Küssel sehr wohl zu unterscheiden. Das Alpenland macht einen zum einschlägigen Experten, der die verschiedenen Schattierungen der heimischen Rechten kennt. Wen wundert's? Es heisst ja, die Eskimos hätten Dutzende Worte für den Schnee.

In Tel Aviv hingegen könnte als Neonazi sogar durchgehen, wer bloss salonfähig macht, was im Dritten Reich geschah und etwa die Beschäftigungspolitik preist, die letztlich zu Auschwitz führte, und bei einer nostalgischen Gedenkveranstaltung der Waffen-SS eine Jubelrede hält.

Keine Frage, die Israelis machen es sich da einfach. Ihre eigenen Probleme sind ihnen kompliziert genug. Manche in Österreich scheint es zu verbittern, dass der aus Marokko stammende David Levy wenig Einblick in das österreichische Wiederbetätigungsverbot hat. Wenn er vorschlägt, die Freiheitlichen ausserhalb des Gesetzes zu stellen, spricht er weniger von österreichischen Verhältnissen, sondern er denkt wohl an die extrem-rassistische Parlamentsfraktion Kach des Meir Kahane; ihr wurde in Israel eine neuerliche Kandidatur untersagt. So wenig die Israelis von den Abweichungen im Spektrum hiesiger Rechter wissen, sie haben doch nur allzu viel Erfahrung mit Koalitionskrisen und den Prioritäten der Staatsraison. Seit einigen Tagen liegt mir der in Tel Aviv geborene Doron R., der Sabbre, in den Ohren: Zweiköpfiges Haupt?

Ich kann einfach nicht verstehen, wieso sich unter mehr als zwei Drittel der österreichischen Abgeordneten keine Mehrheit finden sollte, um für die Republik und gegen den Rechtsextremismus zu regieren. Ich begreife nicht den suizidalen Drang der ÖVP und nicht ihre selige Verzückung über das eigene Wahlergebnis. Die Christlichsozialen scheinen auf eine unverdrossene Weise beinah Gefallen an ihrem Leidensweg zu finden. In ihrer Politik klingt der religiöse Glaube durch, dass der Passion die wahre Erlösung erwachse.

In Jerusalem herrschte jahrelang eine Rotationsregierung. Erst gab Schimon Peres den Premierminister und dann folgte Ytzhak Schamir. Warum nicht Wolfgang Schüssel ein unanständiges Angebot machen? Dies ist seine letzte Chance. Nach dreissig Jahren hofft die ÖVP auf den Regierungschef.

Vielleicht kann sie sich auf diese Weise im bürgerlichen Lager endlich besser präsentieren. Wenn kein anderer Ausweg sich bietet, sollte, bevor es zum Pakt mit den Freiheitlichen käme, diese israelische Variante zumindest überdacht werden: eine geteilte Kanzlerschaft zwischen Rot und Schwarz.

Order Doron Rabinovici:
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Roman in zwölf Episoden

Suhrkamp 1999
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