Der Schriftsteller Amos Oz:
... Deutschland?
Mit Amoz Oz unterhielt sich Christine Dössel. Das
Interview erschien in der
SZ.
Haben Sie die Debatte zwischen Martin Walser und Ignaz
Bubis verfolgt: die Deutschen, und wie sie sich erinnern sollen?
Soweit ich die Debatte verfolgt habe, ist sie ein weiterer
Ausdruck dafür, daß die Deutschen immer noch mit dem Joch der Erinnerung
kämpfen. Ich kann sehr gut verstehen, was Martin Walser, den ich ganz
gut kenne, dazu veranlaßt hat zu sagen: Schluß mit all dem, wir brauchen
eine andere Stimmung! Gleichzeitig sorge ich mich ein wenig, daß dieser
Streit die viel wichtigere Frage verdrängen könnte, nämlich: Wie stellt
sich Deutschland seine eigene Identität vor? Wie begreift es sich
selbst? Wenn ich ein Deutscher wäre, würde ich sagen, daß Hitler und die
Nazizeit ein untrennbarer Bestandteil meiner Geschichte und meiner
deutschen Identität sind. Das heißt natürlich nicht, daß jeder Deutsche
von heute schuldig ist. Ich habe nie an kollektive Schuld geglaubt.
Verantwortung ist etwas anderes. Es bedeutet, daß ein junger Deutscher,
der das kulturelle Erbe seines Landes genießt, das künstlerische und
philosophische Erbe, die Literatur und die Sprache, daß der bis zu einem
gewissen Grad auch im Kopf behalten sollte, daß Hitler ein Teil
desselben Erbes ist.
Welche Verantwortung erwächst Ihrer Meinung nach daraus?
Ich behaupte: Falls dem israelischen Volk oder dem Staat Israel
eine existentielle Bedrohung bevorsteht, dann sollte Deutschland das
fast wie eine Kriegserklärung gegen sich selbst nehmen – aus dem
einfachen Grund, daß es Deutsche waren, die die Juden für viele
Generationen in einen Rollstuhl zwangen, der das jüdische Volk sogar
demographisch verkrüppelte. In dieser Hinsicht existiert eine
Verantwortung. Ich will damit nicht sagen, daß Deutschland die Juden
nicht kritisieren darf. Aber wenn es wirklich um das Leben von Juden
geht, hat Deutschland eine Verantwortung, wie sie andere Länder nicht
haben.
Was für eine Bedrohung könnte das sein?
Wir leben hier in einer sehr instabilen Region. Es könnte sein,
daß unter einem bestimmten Szenario eine fundamentalistische,
panislamische Welle die ganze arabische Welt überschwappt. Die Regierung
in Ägypten ist stabil, aber das kann sich ändern. Ähnlich wie in
Algerien könnte ein fundamentalistischer islamischer Widerstand unter
den Palästinensern entstehen oder unter den Syrern oder was auch immer.
Falls irgendeine dieser Bewegungen je drohen sollte, die israelischen
Juden zu vernichten – und es gibt immer noch solche Stimmen aus dem Iran
oder Irak – dann, glaube ich, wird es Sache der Deutschen sein, mehr
jedenfalls als der Norweger oder der Spanier, die Israelis zu
unterstützen. Aber wenn eine israelische Regierung Unrecht tut, wenn sie
arabisches Land konfisziert oder die Bürgerrechte der Palästinenser
verletzt – dann ist es das absolute Recht und vielleicht sogar die
Pflicht der Deutschen, uns zu kritisieren. Wir sind nicht sakrosankt,
nur weil wir in der Vergangenheit Opfer waren.
Sind Sie von der deutschen Politik der letzten 50 Jahre
enttäuscht?
In einem gewissen Maß bin ich beeindruckt. Ich bin beeindruckt
von den Bemühungen, die diese Gesellschaft unternommen hat, sich ihrer
Vergangenheit zu stellen. Mein erster Kontakt mit Deutschland, lange
bevor ich dort war, kam durch das Lesen. Autoren wie Grass, Böll, Lenz,
Ingeborg Bachmann. Ich habe sie in Übersetzungen gelesen, und ich war
enorm angetan. Natürlich sind diese Autoren nicht repräsentativ. Aber
alles in allem denke ich, daß die Deutschen einen beträchtlichen Weg
gegangen sind.
Unter anderem haben sie sich jahrelang über eine Gedenkstätte
für den Holocaust gestritten. Jetzt fiel die Entscheidung auf den
Mahnmal-Entwurf von Peter Eisenman. Was halten Sie davon?
Nicht die Streitfrage, ob das ein riesiges Monument sein soll
oder nicht, war das Aufregende, sondern der Streit selbst, die
Diskussion. So eine heftige Auseinandersetzung mit dem Holocaust gibt es
in Österreich nicht. Das ist sehr bezeichnend. Ich persönlich glaube ja,
daß keiner eine angemessene Metapher für den Massenmord an den Juden
finden kann. Ich glaube, so ein monumentales Monument ist der falsche
Weg, um zu gedenken. Mein Rat wäre gewesen: Bringt an den Häusern kleine
metallene Plaketten an, auf denen man zum Beispiel lesen kann: In diesem
Haus lebten Hans und Esther und die kleine Ruth Meier. Sie wurden am 3.
Februar 1936 nach Sachsenhausen gebracht und nie wieder gesehen. Solche
kleinen Schilder hätten eine viel persönlichere Art des Gedenkens
ermöglicht als ein hundert Millionen Dollar teures Riesendenkmal in
Berlin.
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