Fragen an Amos Oz:
Wie sehen Sie die Zukunft für Jerusalem?
Mit Amoz Oz unterhielt sich Christine Dössel. Das
Interview erschien in der
SZ. Während des Golfkrieges war Amos Oz einer der schärfsten Kritiker
der europäischen Pazifisten. Im eigenen Land brachte ihm sein Engagement für
die Friedensbewegung den Hass nationalistischer Eiferer ein, z.B.
protestierten militante Siedler und religiöse Fundamentalisten, als ihm 1998
der "Israel Preis“ für Literatur zugesprochen wurde.
Ein Hauptstreitpunkt bei den Verhandlungen mit den
Palästinensern: Was passiert mit Jerusalem, was mit den heiligen
Stätten?
Ich habe da eine Idee, und ich habe sie den verschiedensten
Gruppen unterbreitet: Palästinensern, Israelis, Mitgliedern des
Außenministeriums – alle haßten sie mit derselben Leidenschaft; das
bedeutet, daß sie eine gute Chance haben könnte. Ich finde nicht, daß
Jerusalem physisch geteilt werden sollte, durch Stacheldraht oder eine
Mauer. Ich finde, Jerusalem sollte die Hauptstadt beider Staaten sein.
Es müßte eine palästinensische Verwaltung geben, vielleicht in einem der
Außenbezirke. Jeder einzelne in Jerusalem müßte das Recht haben, seine
Bürgerschaft, seine Zugehörigkeit frei zu wählen. Die Stadt sollte von
einem halben Dutzend lokaler Stadtteilverwaltungen regiert werden, nicht
nur von zweien, einer jüdischen, einer arabischen.
Und die heiligen Stätten?
Keiner blutet an diesen heiligen Plätzen; niemand vegetiert dort
in elenden Flüchtlingslagern. Andere Probleme sind viel drängender. Als
ich ein Kind war, erklärte mir meine Großmutter den Unterschied zwischen
Juden und Christen in Jerusalem ganz simpel. Sie sagte: Schau, die
Christen glauben, daß der Messias einmal hier war und daß er
zurückkommen wird. Die Juden hingegen glauben, daß der Messias eines
Tages erst noch kommen wird. Darüber haben sie sich endlos gestritten,
und es gab sehr viel Blutvergießen. Warum, fragte sie, kann nicht jeder
einfach abwarten und schauen? Falls der Messias kommt und sagt: „Hallo,
schön euch wiederzusehen!“, müssen die Juden nachgeben. Falls er aber
sagt: „Hallo, wie geht‘s? Schön, mal hier zu sein!“, wird die gesamte
christliche Welt sich bei den Juden entschuldigen müssen. Das als
Antwort auf die Frage: Keine Oberhoheit, keine Flaggen, freier Zugang,
einige praktische Arrangements – und der Messias soll entscheiden.
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