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Archivierte
Meldungen aus den Jahren 1995 - 1999 |
Kontingentflüchtlinge :
An der
Sisyphusarbeit nicht verzweifeln
Kontingentflüchtlinge. Nach einigen Monaten Ruhe, kommen
sie nun wieder nach Weiden. Der Grund für die Ruhe: die Regierungsaufnahmestelle
im ehemaligen Camp Pitman ist für Flüchtlinge aus dem Kosovo gebraucht worden.
Nun gehen diese wieder in ihre Heimat zurück.
Gabi Brenner ist im Endjahres-Stress. Die jüdische Gemeinde
feiert am 12. September das Neujahrsfest. Und so kurz vor Jahresende sind nun
erneut Kontingentflüchtlinge in das "Lager" an der Frauenrichter Straße gebracht
worden. Lager nennt es Brenner deshalb, weil sie "Regierungsaufnahmestelle für
Flüchtlinge" als Euphemismus empfindet und sie die "Situation" dort als "einfach
furchtbar" einschätzt.
Wie Feuer und Wasser
Als im April dieses Jahres die Kosovo-Albaner in die Regierungsaufnahmestelle
kamen, waren dort noch einige Kontingentflüchtlinge. In den Augen der Albaner
sind dies Russen, die bekanntlich mit den Serben, den Todfeinden der Kosovaken,
sympathisieren. Brenner organisierte eilends einen Gesprächskreis und
verhinderte so eine mögliche und wahrscheinliche Eskalation.
Doch auch die Regierung versuchte, Problemen aus dem Weg zu
gehen, indem sie einen Großteil der Kontingentflüchtlinge schnellstens in das
Übergangswohnheim an der Gabelsberger Straße umsiedelte. Im Juni haben viele
Kontingentflüchtinge Weiden verlassen. Die meisten gingen in Großstädte. Hier
hat Brenner, die in regem Schriftwechsel mit dem bayerischen Innenminister
Dr. Günter Beckstein steht, bereits angemahnt, dass sich in Großstädten, wie
beispielsweise in Nürnberg, regelrechte "Russen-Ghettos" bilden.
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Dass die Menschen aus den unterschiedlichsten Landstrichen
kommen, macht die Sache nicht einfacher. Flüchtlinge, die beispielsweise
aus Moskau kommen oder aber aus Usbekistan haben eine völlig andere
Mentalität. Alle Kontingentflüchtlinge kommen aus Metropolen - "und dann
nach Weiden. Das ist ein Schock!". Und darin sieht Brenner auch den
Grund, dass sehr viele Menschen versuchen, nach dem Erledigen der
Formalitäten etc. möglichst bald in Großstädte abzuwandern. Aber das
machen nicht alle - zumindest nicht freiwillig. Vielen gefiele es hier
durchaus, nachdem sie sich über einige Zeit eingelebt hätten, aber sie
haben in unserem Landstrich kaum eine Chance, einen Beruf zu bekommen.
Monatsarbeit in einer Woche
Die 27 Menschen, die am Mittwoch in Weiden angekommen
sind, werden derzeit vom Vorstand der jüdischen Gemeinde betreut. Die
beiden Sozialarbeiterinnen, welche die jüdische Gemeinde zu jeweils
einem Drittel selbst finanziert, sind derzeit in Urlaub. Und auch bei
der Stadt Weiden, beim Sozialamt, war die Nachricht, dass nun erneut
Kontingentflüchtlinge kommen, kein Anlass zum Freundenschrei. "Wie? So
viele", so berichtet Brenner, haben auch die gefragt, warum nun in den
Ferien die jüdische Gemeinde die Flüchtlinge "nach Weiden holt". Doch
das sei ein Denkfehler, denn die jüdische Gemeinde hole bei weitem nicht
die Flüchtlinge, sondern sie werden ihr zugewiesen. Und in den kommenden
Wochen wird es damit weitergehen. Wie Brenner mitteilte, habe ihr ein
Beamter der Regierung gesagt, dass die Oberpfalz im Hintertreffen mit
der Aufnahme von Kontingentflüchtlingen sei und die weiteren
Aufnahmelager in Regensburg und Amberg seien bereits gefüllt . . .30
weitere Menschen sollen kommen. |
Gabi Brenner, die Vorsitzende der
Jüdischen Gemeinde Weiden, hat
viel zu tun: Am Mittwoch kamen,
nach einer Pause, bedingt durch
die Aufnahme von Kosovo-Albanern
in die Regierungsaufnahmestelle
an der Frauenrichter Straße, erst-
mals wieder sogenannte Kontingent-
flüchtlinge. In den nächsten Tagen
werden weitere Flüchtlinge erwartet.
Foto: Schönberger
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Während nun in den vergangenen Monaten von April an die
Arbeit relativ ruhig war, scheint es nun so, als ob alles innerhalb von ein paar
Wochen nachgeholt werden müsse. "Das, was bisher in zwei Monaten kam, kommt nun
in einer Woche", sagt Brenner.
"Mit einer Minderheit kann man keine Mehrheit integrieren",
lautet der Standardsatz von Gabi Brenner, den sie bereits zu Zeiten einer
Kohl´schen Regierung prägte und der auch unter rot-grün in Bonn weiter
uneingeschränkt gelte.
Die jüdische Gemeinde bekommt kaum Einnahmen aus
Kirchensteuern. Die Kontingentflüchtlinge sind Sozialhilfeempfänger. Doch der
Freistaat greift der jüdischen Gemeinde in Weiden hier unter die Arme. Laut dem
Staatsvertrag, den der Freistaat im Jahr 1996 mit der Landesvertretung
geschlossen hat, bekommt die jüdische Gemeinde in Weiden einen sechsstelligen
Betrag. Doch auch die Gemeindearbeit muss weitergehen. So stehen in diesem Jahr
beispielsweise die Kosten für den Friedhof beim Eisstadion an, der auf
Erbpachtbasis von der Stadt gepachtet ist, und die Steuern und Abgaben dafür
müssen gezahlt werden.
Gemeindehaus muss warten
Deshalb hat Gabi Brenner ihr Projekt, ein neues Gemeindehaus zu bauen, erst
einmal eingefroren. Zwar hätte es Gelder von der Bayerischen Landesstiftung
gegeben, aber da die Restfinanzierung noch völlig in den Sternen stehe, sei auch
aus der vorsichtigen Andeutung einer Finanzierungszusage nichts geworden. "Ich
bin darüber gar nicht mehr so unglücklich. Ich würde das auch psychisch nicht
mehr schaffen!", sagt die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde.
Im Rückblick auf die vergangenen Jahre (seit dem Jahr 1994
sind über 770 Kontingentflüchtlinge betreut worden) ist Brenner recht zufrieden
mit der Arbeit. Auch dass nunmehr Rabbiner Michael Leipziger zumindest
halbjährlich in Weiden weilt, auch damit, dass durch Leipziger und dessen
Vertretungen viele internationale Kontakte geschaffen worden sind. "Das macht
die Arbeit spannend und interessant", sagt Gabriele Brenner. "Da kriegt man viel
mehr Strömungen rein."
Konservative Gemeinde
Die Weidener Gemeinde bezeichnet sie als "konservativ" und erzählt den Witz,
woran man eine Gemeinde einschätzen könne: "Woran erkennst Du, wenn Du zu einer
jüdischen Hochzeit kommst, um welche Art von Juden es sich handelt? Nun, ist die
Mutter der Braut schwanger, dann bist Du bei Orthodoxen, ist die Braut schwanger
bei Konservativen und ist der Rabbi schwanger, dann bei Fortschrittlichen."
Die Kontingentflüchtlinge, die aus den GUS-Staaten kommen,
haben zumeist keinen Kontakt mit dem Judentum. Und auch die in den vergangenen
Jahren vermehrt sich bildenden jüdischen Gemeinden in den GUS-Staaten seien für
sie zumeist wenig anziehend, da orthodox.
Kaum Berührung mit Glauben
Die Weidener Gemeinde sei für viele ein erster Zufluchtsort in einer neuen,
gänzlich unbekannten Welt. Mit einer Reihe von Veranstaltungen versucht Brenner,
die Menschen auf das neue Leben vorzubereiten und gleichzeitig versucht sie,
beispielsweise mit dem Angebot eines russischen Fernsehabends, den Menschen ihre
Wurzel zur alten Heimat aufrecht erhalten zu lassen. Das zeitigt auch Folgen für
die Gemeinde: Einige der Menschen bekommen erstmals einen Kontakt zur Religion
und engagieren sich peu á peu mehr in der Gemeinde. "Viele sehen in der Gemeinde
ein Nest", sagt Brenner.
Trotzdem, das Nest müssen die meisten verlassen - wenn auch
schweren Herzens. So hat zum Beispiels jüngst eine Malerin Weiden verlassen
müssen, da sie nur in München die Chance hatte, in ihrem Beruf zu arbeiten. Sie
sagte: "Weiden ist von der Seele her das Richtige." "Und so etwas", so sagt
Brenner "tut mir am meisten weh, wenn ich weiß, die Leute würden am liebsten
hier bleiben."
erarbeitet von Dennstedt, Walter
Artikel Aug 26, 1999
MDV-Gruppe Regensburg
haGalil onLine 30-08-1999 |
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