Wissen ist Verstehen:
Von orthodoxen jüdischen Nachbarn im Schtetl Zürich
Von seinen jüdischen Nachbarn wußte der
Züricher Fotograf Livio Piatti vor sechs Jahren nur das, was äußerlich
auffällt: Familien in feierlicher Kleidung auf dem Weg zur Synagoge,
disputierende bärtige Männer in schwarzen Hüten, Laubhütten in Hinterhöfen
und auf Balkonen.
Sich damit zu begnügen und das Fremde fremd
sein zu lassen, wäre der einfachste Weg gewesen. Livio Piatti versuchte
das Schwierigere: näherzutreten, Kontakte zu knüpfen, um Einlaß zu
bitten. Und Einlaß ist ihm gewährt worden, großzügig, freundlich, von
Mensch zu Mensch.
Das Ergebnis dieser fünfjährigen Bemühung des
Verstehens ist im europäischen Kontext einmalig: eine Innen-Ansicht der
Glaubens- und Lebenswelt des orthodoxen Judentums in einer der wenigen
Städte, die vom Holocaust verschont geblieben sind. Der bewegende Beweis
zudem, daß das osteuropäische Schtetl lebt - jedoch nicht mehr als
ghettoisierte Minderheit, sondern als Beziehungsgeflecht religiöser und
geistiger Art, das sich in eine heutige Großstadt eingefügt hat und das
von den Juden als Schweizer Bürgern mit Selbstverständlichkeit gepflegt
und gehütet wird.
Die dokumentarische und menschliche Bedeutung
von Livio Piattis Fotografien steht heute bereits fest. Was aber nicht
vorauszusehen war: daß die Bilder zur Zeit, da sie publiziert werden,
eine bestürzende Aktualität gewinnen würden, die der Fotograf nie
suchte.
Dr. Ernst Halter
Livio Piatti wird an diesem Abend seine
Fotografien mittels Diaprojektion selbst vorstellen und mit Erzählungen
begleiten.
Karin Huser Bugmann:
Schtetl an der Sihl
Einwanderung, Leben und Alltag der Ostjuden in Zürich 1880-1939
Festival
Jüdischer Künstler in Darmstadt / Livio Piatti
haGalil onLine -
05-99 |