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...was ein jeder Stamm dem Herrn Christo zum Schmach:
Siebzig Jahre Ritualmordlegende von Manau

März 1929 im unterfränkischen Manau: Der viereinhalbjährige Karl Keßler kehrt nicht vom Spielen zurück. Eine Suchaktion wird gestartet. Nach bangen Stunden macht man einen grausigen Fund: Der Leichnam des Kindes wird mit durchschnittener Kehle im Wald entdeckt. Das Entsetzen im Dorf ist groß. Wer mordet einen unschuldigen Knaben? Diese Frage läßt im Dorf niemanden mehr schlafen.

Da findet die Gernerbäuerin in ihren Schränken ein zerfleddertes Buch: "Ein Bericht von den zwölf Jüdischen Stämmen, was ein jeder Stamm dem Herrn Christo zum Schmach getan haben soll und was sie dieß den heutigen Tag dafür leiden müssen." Von den Nachkommen des Stammes Dan hieß es in diesem Büchlein, daß sie keine Ruhe fänden, wenn sie nicht "mit der Christen Blut ihren stinkenden Leichnam wieder salben und schmieren". Bereits einen Tag später wissen alle in Manau über den Stamm Dan Bescheid.

Die Polizei geht in ihren Ermittlungen von einem "Lustmord" an dem viereinhalbjährigen Jungen aus, doch für die Manauer steht fest, daß es sich bei dem Vergehen um einen "jüdischen Ritualmord" handeln muß. Wahllos beginnen sie jüdische Bürger der Umgebung der Tat zu bezichtigen. Geschürt wird ihre Paranoia vom damaligen Gauleiter der NSDAP in Unterfranken, dem Zahnarzt Dr. Otto Hellmuth aus Marktbreit. Er war nur wenige Tage nach der Tat persönlich nach Manau gereist, um sich am Fundort der Leiche und mit Hilfe der ortsansässigen Bevölkerung und des Bürgermeisters ein eigenes Bild von den Vorkommnissen zu machen. Noch im März verfaßt Hellmuth für den "Stürmer" einen Artikel über den Mord von Manau und er läßt keinen Zweifel daran, wen er für die Mörder des Jungen hält.

Am 1. April 1929, dem Ostermontag, lädt die NSDAP in Hofheim, dem Nachbarort von Manau, zu einer Versammlung über die "Blutmorde der Juden" ein. Der Andrang ist riesig. In drei Sälen gleichzeitig hetzen die Nazis und ihr unterfränkischer Gauleiter gegen die Juden und rufen offen zu Tätlichkeiten gegen die Minderheit auf. Ähnliche Veranstaltungen folgen in Ortschaften im weiteren Umkreis. Zudem läßt Otto Hellmuth auf eigene Kosten ein vierseitiges Flugblatt und eine Postkarte mit dem Konterfei des ermordeten Karl Keßler drucken und in der Manauer Gegend verteilen.

Die Juden in der Region wehren sich gegen die Hetze: In Zeitungsartikeln, ganzseitigen Anzeigen und in öffentlichen Veranstaltungen versuchen sie den absurden Vorwürfen entgegenzutreten. Im "Boten vom Haßgau" bezieht die Bayerische Rabbinerkonferenz dezidiert Stellung zur Mär vom Ritualmord. Auch das katholische "Fränkische Volksblatt", das in Würzburg erscheint, und dessen Chefredakteur Heinrich Leier Geistlicher ist, verweist den angeblichen Ritualmord in das Reich der Phantasie. Doch der Erfolg der Aufklärungsaktionen bleibt dürftig. Dies nicht zuletzt deshalb, weil es der Polizei nicht gelingt, den Mörder des Jungen zu finden.

1930 wird an der Stelle, an der die Kinderleiche gefunden wurde, ein Gedenkstein enthüllt. Der Platz wird zur Pilgerstätte der immer stärker werdenen NSDAP.

Vier Jahre nach dem Mord ist die Saat der Nazis aufgegangen. Nun hat der Gauleiter von Unterfranken Otto Hellmuth freie Hand, um gegen die vermeintlichen Mörder des Karl Keßler vorgehen zu können: 1934 werden jüdische Bürger unter der Beschuldigung, den viereinhalb-jährigen Jungen geschlachtet und sein Blut zu rituellen Zwecken verwendet zu haben, verhaftet und von der Gestapo verhört. Begleitet wird die Verhaftungsaktion von einer einschlägigen "Ritualmord"-Sondernummer des "Stürmer". Die Ermittlungen im Manauer Mordfall zeitigen wieder keine Ergebnisse.

Doch Otto Hellmuth gibt nicht auf: 1937 kommt es wieder zu Verhaftungen. Sieben Personen werden diesmal festgenommen und im Würzburger Gestapogefängnis inhaftiert. Unter ihnen sind der Lehrer und Schächter Emanuel Levi aus Burgpreppach, der bereits 1929 und 1934 der Tat verdächtigt wurde, sein Sohn Simon, der Erlanger Lehrer Justin Fränkel, und der Mazzenbäcker von Burgpreppach, Julius Neuberger. Monatelang werden sie festgehalten und immer wieder verhört. Am Ende einer der zahllosen Vernehmungen droht der über siebzigjährige Emanuel Levi offen mit Selbstmord. Und obwohl Belastungszeugen mit abenteuerlichen Behauptungen in Erscheinung treten und die Willkür der Nazis schon damals keine Grenzen mehr kennt, müssen die Beschuldigten nach monatelangen ergebnislosen Ermittlungen, und dank des Geschicks von Anwälten wie Thomas Dehler, freigelassen werden.

Justin Fränkel und Simon Neuberger nutzen in der folgenden Zeit die wiedergewonnene Freiheit dazu, Deutschland zu verlassen. Viele der anderen Verdächtigten werden 1942 von den Deportationen erfaßt, so auch der Lehrer Emanuel Levi, der 1941 im Alter von 77 Jahren nach Riga verschleppt und dort ermordet wird.

Noch kurz vor der Kapitulation im Frühjahr 1945 halten die Nazis im Wald von Manau eine "Gedenkveranstaltung" für den ermordeten Knaben ab. Bald danach wird der Gauleiter von Unterfranken, Otto Hellmuth, wegen einer Reihe von Vergehen als Kriegsverbrecher gesucht, gefaßt und zum Tode verurteilt. Doch die Nachkriegszeit meint es gut mit dem Zahnarzt: Zu lebenslanger Haft begnadigt, wird er bereits 1955 aus dem Gefängnis entlassen und erhält eine Entschädigung für seine "Kriegsgefangenschaft". 1958 läßt er sich im Schwäbischen nieder und praktiziert wieder als Zahnarzt. Er stirbt 1968.

In Manau aber gibt es noch heute Menschen, die ernsthaft glauben, daß Karl Keßler das Opfer eines "jüdischen Ritualmordes" wurde.

Dr. Ch. Kolbet
haGalil onLine - Freitag 30-04-99

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