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Unkontrollierte Mehrdeutigkeiten:
Fassbinders "Der Müll, die Stadt und der Tod" in Tel Aviv

Von Norbert Jessen

Abends versuchen Traktoren so etwas wie eine Säuberung des Hatikwa-Markts von Tel Aviv. Dann müssen die Besucher des benachbarten "Studios für Theaterkünste" sich einen Weg durch die aufgehäuften Müllberge suchen. So erreicht das Publikum bereits angeregt die Aufführung von Rainer Werner Fassbinders "Der Müll, die Stadt und der Tod". Aufgeregt ist trotzdem niemand.

Dabei blieb es auch der israelischen Presse nicht verborgen, daß diese hebräische Aufführung des Skandal-Stücks für Aufregung sorgt oder schon gesorgt hat. In Berlin war unlängst eine Gastspiel-Aufführung am Gorki-Theater gescheitert. Zwischen Generalprobe und Premiere am Wochenende versuchte Bernd Wilms, der eigens angereiste Intendant des Gorki-Theaters, einen letzten Überzeugungsversuch. Joram Löwenstein, der Leiter der Schauspielschule, aber will das Stück nicht in Hebräisch dort spielen, wo seine Aufführung in deutscher Sprache verhindert wurde.

Bernd Wilms zeigt Verständnis: "Auf uns wurde ja auch Druck ausgeübt. Ich hatte nur wenig Lust, mich mit der jüdischen Gemeinde anzulegen. Und als dann auch noch die DVU für unsere Künstlerfreiheit eintrat, war klar, daß etwas falsch lief." Wilms spricht von äußerem Druck. Löwenstein mehr von innerem.

Die Aufführung der Abschlußklasse hat ihre Höhen und Tiefen. Die Studenten "haben eine Neigung zu Over-acting" (Wilms). Die Übersetzung erfaßt die krassen Unterschiede im Sprachniveau der Figuren nicht. Dafür ist die Regie aber einfallsreich. Nicht ein unvermittelt auftretender Alt-Nazi spricht den Monolog vom blutsaugenden Juden, sondern der Zwerg, der ständig zusammen mit dem Juden auf die Bühne tritt. "Der Nazi" erhält damit seine eigene Spannung zwischen groteskem Klischee und Realität, die wie beim "reichen Juden" ihre eigene Dynamik entwickeln kann. Mit einer unkontrollierbaren Mehrdeutigkeit, die in Israel so anstoßend wirken kann, wie die Figur des Juden in Deutschland. Ist der Nazi etwa auch ein Mensch, steht als Frage im Raum.

"Der reiche Jude" trägt eine von Fassbinder nicht vorgesehene Maske, die das äußere Erscheinungsbild zur Stürmer-Karikatur reduziert. Gadi Pinto überzeugt in seiner Rolle, wobei er auch als Student bereits auffällt: Deutlich älter und der einzige, der sich hinter der Bühne mit einem kleinen Käppchen als frommer Jude zu erkennen gibt. "Als ich die Rolle zum ersten Mal las, schien mir der Abstand zu ihr unüberwindbar. Die Maske hat mir geholfen, mich der Rolle anzunähern. Einmal auf der Bühne muß ich ständig gegen sie anspielen, auch das hilft."

Für Israels erfolgreichen Bühnen-Autor, Joshua Sobol, der auch die deutsche Theaterszene kennt, erfüllt die Aufführung der Studenten "alle professionellen Kriterien". Sobol meinte: "Der Inhalt des Stückes läßt sich eben nicht vordergründig als antisemitisch abwerten. Doch enthüllten die Reaktionen in Deutschland auf das Stück teilweise Antisemitismus. Die aber auch eine Folge des Quasi-Verbots waren." Die Schauspielerin Geula Nuni kennt viele der Studenten als Lehrerin und lebte lange in Österreich. Fassbinders Theater kann sie "nicht ausstehen", einige seiner Filme findet sie dagegen faszinierend. "Die israelischen Schauspieler haben Fassbinder ja noch halbwegs aushaltbar auf die Bühne gebracht."

Am Ende applaudiert das Publikum begeistert. Die Meinung zum Stück ist auch in Israel sicher nicht einheitlich. Das am 8. Mai geplante Streitgespräch israelische Künstler und auch eines Vertreters des Zentralrats der Juden in Deutschland verspricht interessant zu werden. Es könnte auch für das deutsche Theater Folgen haben. Die Diskussion in Deutschland hatte hingegen keinen Einfluß auf der Bühne in Tel-Aviv. Auf ihr ist nicht der Rassismus in Deutschland das vordergründige Problem, sondern der Rassismus überall. Auch der eigene.

© DIE WELT, 26. 04. 1999

"Fassbinder kann uns helfen"

Der Regisseur des Stückes, Yoram Löwenstein, 49, leitet seine private Schauspielschule. Mit ihm, Sohn deutscher Juden, dessen Onkel von den Nazis ermordet wurde, sprach in Tel Aviv Igal Avidan.

DIE WELT: Was interessiert sie an Fassbinder?

Yoram Löwenstein: Er war einer der Dramaturgen und Filmemacher, die mich am meisten beeindruckten. Ich bin in Nord-Israel als Kind mit deutscher Kultur und umgeben von Jeckes (deutschen Juden) aufgewachsen. Ich selber könnte niemals in Deutschland leben, da ich mich dort fremd fühle. Aber ich bin immer neugierig auf deutsche Kultur, die auch meine Kultur ist.

DIE WELT: Haben Sie Verständnis für die deutschen Auseinandersetzungen um das Stück?

Löwenstein: Jetzt verstehe ich das schon. Ich habe den ganzen Wirbel nicht verstanden, der begonnen hatte, bevor ich mit den Proben begann. Niemand erzählte mir, daß sich das Theater an insgesamt zehn jüdische Regisseure gewandt hat, von denen dann aber alle außer mir absagten. Ich möchte aber nicht irgendjemandem dienen oder jemanden verletzen. Meine einzige Aufgabe ist es, den Studenten gutes Theater beizubringen.

DIE WELT: Ist Fassbinders Stück für Sie antisemitisch?

Löwenstein: Ich glaube nicht, daß Fassbinder ein Antisemit ist. Seine gesamte Arbeit spricht dagegen. "Der Müll, die Stadt und der Tod" ist ein dichterisches Stück. Er warnte vor einen unterschwelligen Antisemitismus, der in Deutschland schlummert. Ich selber komme aus einer Familie, die Antisemitismus erleiden mußte und schätze Fassbinder sehr.

DIE WELT: Wissen Sie, daß Fassbinder mit dem reichen Juden Ignatz Bubis karikiert haben könnte?

Löwenstein: Selbstverständlich weiß ich davon, betrachte dies jedoch als innerdeutschen Klatsch, der mich nichts angeht. Ich möchte in diese Angelegenheit nicht hineingezogen werden. Auf der anderen Seite verstehe ich die Sensibilität der Juden in Deutschland sehr gut und werde sicherlich niemand dort verletzen.

DIE WELT: Auch in Israel können Sie mit Protesten rechnen.

Löwenstein: Wenn in Israel jemand das Stück als antisemitisch auffaßt, werde ich das begrüßen, weil ich dafür bin, daß man sich hier mehr mit dem Judenhaß in Europa beschäftigen sollte. Fassbinder kann uns dabei helfen, die Zeichen an der Wand zu lesen. Denn auch wir Israelis sind von Rassismus nicht befreit.

© DIE WELT, 26. 04. 1999

haGalil onLine - Dienstag 27-04-99

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