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Yaron Ezrachi enthüllt:
Israel könnte die romantische Utopie der warmen und unentfremdeten Gesellschaft verwirklicht haben

Die Diktatur des hebräischen Arbeiters

Von Hannes Stein
http://www.berliner-abendblatt.de

In jedem anderen Land der Welt würde Yaron Ezrachi, der für den Kapitalismus und die westliche Demokratie schwärmt, als Liberaler gelten. In Israel ist das anders: Hier wird Ezrachi auf die linke Seite des politischen Spektrums sortiert. Warum? Weil er für einen Rückzug der Armee aus dem Westjordanland eintritt - und im Judenstaat verläuft die politische Trennlinie entlang nur einer einzigen Frage: Für oder gegen einen Kompromiß mit den Palästinensern?

Ezrachi, der in Jerusalem Politikwissenschaft lehrt, hat in seinem Buch "Gewalt und Gewissen" eine faszinierende Mentalitätsgeschichte Israels vorgelegt. Er beschreibt die kollektivistischen Ideale, von denen der Judenstaat geprägt wurde - und er schildert, wie mühsam es heute noch ist, sich vom Druck des Kollektivismus zu befreien. Gewiß: das politische System Israels ist immer demokratisch gewesen. Aber die politische Kultur war es nicht immer. Der Gruppenzwang, der herrschte, war oft enorm, die individuelle Freiheit galt den Eliten bestenfalls als Luxus. Ezrachis Buch enthüllt die entsetzliche Wahrheit: Das Gelobte Land erweckte manchmal den Eindruck, hier sei die romantische Utopie von der warmen und unentfremdeten Gesellschaft verwirklicht worden.

Für den Mangel an Liberalismus in Israel macht Yaron Ezrachi drei Faktoren verantwortlich: den Nationalismus, den Sozialismus und - drittens - das, was er die "epische Tradition" der monotheistischen Religionen nennt. Die Bibel, so Ezrachi, erzähle gewaltige Geschichten über das Volk Israel, das aus Ägypten auszieht, am Berge Sinai das Gesetz empfängt, das Land Kanaan erobert und so weiter. Erst in jüngster Zeit gelinge es den Israelis, sich solchen großen historischen Erzählungen zu entziehen. Im Widerstand gegen die kollektivistischen Epopöen fingen sie an, sich selbst als Individuen zu entdecken.

Diese Deutung ist freilich problematisch. Nicht nur, daß Ezrachi die Unterschiede zwischen Judentum, Christentum und Islam außer acht läßt und sie einfach unter der Rubrik "monotheistische Religionen" zusammenwürfelt; er wendet auch konsequent den Blick von allem, was seiner kollektivistischen Interpretation des Judentums widerspricht. Wie die meisten säkularen Israelis ist Ezrachi nur zu gern bereit, die Religion den Eiferern und Nationalisten zu überlassen.

So deutet Ezrachi die Geschichte von Abraham, der auf Gottes Befehl bereit war, seinen Sohn Isaak zu opfern, als fatalen Präzedenzfall: Unbewußt seien israelische Väter so bewogen worden, ihre Kinder für irgendwelche hehren Ideale auf die Schlachtfelder des Nahen Ostens zu schicken. Dies freilich geht an der Pointe der biblischen Geschichte vorbei. Abraham schlachtet seinen Sohn ja gerade nicht - Gott schickt dem Alten im letzten Moment einen Engel, der ihn vom Kindesmord abhält. Sowohl die säkularen als auch die religiösen Juden in Israel vergessen gelegentlich, daß die Wertschätzung des einzelnen Lebens nirgendwo anders als in der hebräischen 'Heiligen Schrift' anfängt. Wenn Yaron Ezrachi der Religion zuviel Schuld zuschiebt, so gibt er dem Sozialismus zuwenig. Zwar erwähnt er die kollektivistische Kibbuzerziehung und schildert eindrucksvoll, wie erdrückend sie sich oft auf Kinderseelen auswirkte. Eine Mentalitätsgeschichte Israels aber müßte auch die fünfziger Jahre beschreiben, als die gesellschaftliche Atmosphäre des Landes nicht sozialdemokratisch, nicht sozialistisch, sondern bolschewistisch war. David Ben Gurion, Israels erster Premierminister, war gewiß ein weiser, gütiger Humanist - in seinen Manieren aber glich er mehr einem Tyrannen als einem frei gewählten Regierungschef. Und er sprach offen aus, daß es sein Ziel sei, in Israel die "Diktatur des hebräischen Arbeiters" zu errichten: kein "demokratisches Blabla" könne ihn daran hindern.

In seinem Buch stellt Yaron Ezrachi die Frage. Was bedeutet es, daß Juden zum ersten Mal seit zweitausend Jahren wieder Macht haben? Zur Metapher für die neuere israelische Identität wird ihm dabei das Gummigeschoß, wie es die Armee zur Bekämpfung des palästinensischen Aufstandes in den besetzten Gebiete verwendete. Das Gummigeschoß war Ausdruck des Willens, die Gewalt in der Auseinandersetzung mit dem palästinensischen Volk zu begrenzen. Es zeigte an, daß man es nicht auf eine Entscheidungsschlacht anlegte. Dies aber bedeute, daß man über kurz oder lang mit dem Feind verhandeln mußte - so wie es in Oslo geschah.

Mit einem sarkastischen Zucken um die Mundwinkel bemerkt Ezrachi, "daß das Gummigeschoß das aufschlußreichste Symbol für die gegenwärtige israelische Gesellschaft darstellt. Das Gummigeschoß verkehrt mit seinem harten Kern und der weichen Hülle das Bild der Sabra ins Gegenteil, der Sabra, dieser allgegenwärtigen, stachligen Frucht, die innere Milde und äußerliche Härte versinnbildlicht. Als Symbol könnte das Gummigeschoß an ihre Stelle treten, denn wie kein anderes verkörpert es den Konflikt zwischen Gewalt und Gewissen im modernen Israel."

Yaron Ezrachi: Gewalt und Gewissen
Israels langer Weg in die Moderne
Alexander Fest Verlag, Berlin 1998.

Der Jerusalemer Politikwissenschaftler Yaron Ezrachi schildert, politische Analyse und persönliche Erinnerung souverän verknüpfend, die wechselvolle Geschichte Israels - von der Staatsgründung 1948 über den Sechstagekrieg bis zur Einleitung des Friedensprozesses. Er schreibt über Widersprüche, Ängste, Hoffnungen und fragt nach den Voraussetzungen für eine demokratische Zukunft.

haGalil onLine - Freitag 09-04-99

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