
Rechtsextreme in Leipzig:
Etappen eines Straßenkampfes
Mit welchen
Methoden Rechtsextreme einen Leipziger Stadtteil zu ihrem Hoheitsgebiet
machen wollen – und was das für die Jugendlichen dort heißt
Von Jens Schneider
Leipzig, 21. März – Abends fährt Sabine möglichst nicht
mit der Straßenbahn, spätabends schon gar nicht. Die 16jährige geht in der
Dunkelheit nicht allein ins Allee-Center, das große Einkaufszentrum der
Gegend. Auch Tankstellen meidet sie und die anderen Plätze, wo die rechten
Jungs Bier kaufen und trinken und dann die letzten Rücksichten verlieren.
Sabine und ihre Freundinnen verzichten mitunter lieber auf ein kreischend
farbiges Outfit, denn eine buntscheckige Hose mit breitem Schlag könnte die
anderen auf sie aufmerksam machen. So oft es geht, holen ihre Eltern die
Gymnasiastin ab, wenn sie in anderen Stadtteilen Feten besucht, ins Kino
geht oder in ein Konzert. Wann immer sie aus dem Haus ist, sorgen sich die
Eltern. Das tun Väter und Mütter von Teenagern überall, aber Sabine kann
nicht wie andere 16jährige in jugendlicher Unbekümmertheit versichern: "Es
wird schon nichts passieren."
Das punkig zurecht gemachte Mädchen mit den rosaroten
Haarsträhnen lebt in Leipzig-Grünau, mit rund 65 000 Einwohnern eines
der größten Plattenbauviertel der früheren DDR. In der wintergrauen
Siedlung am Rande der Messestadt dominieren Rechtsextreme die
Jugendszene. Buntgekleidete Jugendliche wie Sabine und ihre Freunde
fühlen sich bedroht, als wären ihre Namen und Gesichter auf Steckbriefe
der Rechten gedruckt. Und daß ihre Vorsichtsmaßnahen helfen könnten,
glaubt Sabine eigentlich nicht, daß ihre Vorsichtsmaßnahmen helfen –
"denn genausogut greifen die doch auch Normale an".
Was in Leipzig passiert, zeigt, wie erfolgreich die extreme
Rechte mittlerweile auch in großen Städten der neuen Bundesländer die
Strategie umsetzt, "national befreite Zonen" aufzubauen, wie es in ihrem
Jargon heißt: Gebiete, in die sich Linke, Bunte und Ausländer nicht mehr
trauen. Noch haben die Rechten das nicht erreicht; aber die Führung der
Stadt Leipzig ist zu dem Schluß gekommen, daß sie einer gefährlichen
Dominanz der Jungnazis entgegentreten muß.
"Die Faschos machen gezielte Aktionen gegen alle Leute, die sich
nicht anpassen", sagen Sabine und ihre Freunde. Längst sind die rechten
Gangs mit Handys ausgerüstet und können schnell Verstärkung rufen, wenn
sie ein Opfer gefunden haben. Die jungen Männern mit den kurzgeschorenen
Haaren setzen ihre schweren Stahlkappenstiefel beim Zutreten wie Waffen
ein, aber wenigsten schlagen sie nicht immer gleich zu. Oft bleibt es
bei Beschimpfungen wie "Hau ab, Zecke! Du bist bald dran!" oder "Bei
Hitler wäre so etwas wie du vergast worden."
Sabines Freunde glauben, daß Mädchen seltener angegriffen werden
als Jungen. Aber sie erinnert an ihre Freundin, die an einer
Straßenbahnhaltestelle von Skins geprügelt, auf den Boden geworfen und
getreten wurde. Wegen nichts. Die Jugendlichen erzählen von vielen
solcher Fälle, einige kennen sie nur aus zweiter oder dritter Hand, und
die Geschichten gewinnen dabei vielleicht übermaßig an Dramatik. Doch es
kann wenig Zweifel an der Bedrohung geben.
Zu Jahresbeginn hat der Jugendhilfeausschuß des Leipziger
Stadtrats in bemerkenswerter Offenheit festgestellt: "Durch die Dominanz
rechtsorientierter Jugendlicher im Stadtteil Grünau können derzeit
Wanderungsbewegungen andersdenkender bzw. andersaussehender junger
Menschen in andere Stadtteile beobachtet werden. . . Sie haben
begründete Angst um ihre körperliche Unversehrtheit." Als einen
Ausgangspunkt der rechten Gewalt haben nicht nur die linken Kids einen
unscheinbaren Flachbau in der Heilbronner Straße ausgemacht: das
Jugendzentrum "Kirschberghaus" in einer früheren Kindertagesstätte. "Da
haben die Faschos alles in Hand." Von dem kleinen, staatlich
finanzierten Jugendclub "Treff 2" seien auch Angriffe rechter
Jugendlicher auf sie ausgegangen, sagen die anderen Jugendlichen. Dort
habe die rechtsextreme NPD ihre jungen Kader eingeschleust.
Der Stadtrat spricht von einem "Negativ-Symbol" für die Arbeit
mit rechtsorientierten Jugendlichen in Leipzig. Im "Treff 2" habe die
gewaltbereite Szene neue Organisationsstrukturen entwickeln können:
"Agitation und Propaganda waren bis heute möglich", stellte der
Jugendhilfeausschuß fest.
Damit steht ein Konzept auf dem Prüfstand, mit dem man überall
in den neuen Ländern versucht, auf die zunehmende Jugendgewalt von
Rechts zu reagieren. Um an die gewaltbereiten Jugendlichen am Rand der
Gesellschaft heranzukommen, werden bei einigen Projekten die
Eintrittsschwellen für die rechte Klientel niedrig gesetzt: Ohne große
Vorbedingungen bieten Sozialarbeiter Räume an, helfen bei Problemen mit
Eltern oder bei der Lehrstellensuche. Kritiker sprechen von
"Glatzenpflege auf Staatskosten". Die Verfechter des Konzepts dagegen
sehen es als einzigen Weg, die jungen Rechten überhaupt zu erreichen,
ehe sie in die Fänge extremer Rädelsführer geraten.
In Leipzig-Grünau hat vor drei Jahren der "Jugendbildungsverein
JBV" im Auftrag des städtischen Jugendamts den "Treff 2" für die
Betreuung gewaltbereiter Jugendlicher aus der rechten Szene geöffnet.
Fortan trafen sich dort regelmäßig etwa 50 junge Rechte zu Bier und
Spielen, ihre Bands übten im Keller, drei Sozialarbeiter boten Beratung
an. Der Vorsitzende des Jugendbildungsvereins, Wolfgang Dreßler, sagt:
"Wir hatten Erfolge und Mißerfolge", und meint, daß der "Treff 2" von
der Öffentlichkeit als "rechtsextremer Treff stigmatisiert" wurde. "Wie
wollen Sie denn den Erfolg messen? Für mich ist schon ein einziger
Jugendlicher, den man in ein geordnetes Leben mit einer Lehrstelle und
nachweisbarem Wohnort begleitet, ein Erfolg."
Eine Kaderschmieder
Von Beginn an wollten rechtsextreme Organisationen einen Fuß in
die Tür bekommen. "Da kam ein Funktionär von der NPD und fragte, ob wir
Hilfe brauchen", sagt Dreßler, "das haben wir natürlich abgelehnt." Auch
offene Versuche von NPD-Leuten, im Club Jugendliche anzuwerben, seien
unterbunden worden. Aber Dreßler bestätigt, daß zu den regelmäßigen
Besuchern des Clubs NPD-Kader zählten. In einem Jugendclub sei es
leichter, auch NPD-Kader einzubinden und zu erreichen, sagt er.
Wie erfolgreich die rechten Parteien in Sachsen bei der
Rekrutierung sind, belegt der am Freitag vorgelegte
Verfassungsschutzbericht für das Land. Danach ist die Zahl organisierter
Rechtsextremer zwischen 1997 und 1998 um 18 Prozent gewachsen. Das auf
dem Feld des Rechtsextremismus kompetente "Berliner Zentrum für
Demokratische Kultur" stellte Anfang des Jahres fest, daß "hochrangige
Kader" der NPD und ihrer Jugendorganisation JN eine "Führer"-Hierarchie
in der Jugendszene von Leizpig-Grünau etabliert haben. Das
Kirschberghaus spiele eine zentrale Rolle. Zum Stammpublikum zähle ein
Skinhead und NPD-Mitglied mit dem Spitznamen "Ossi", dessen Aufgabe die
Rekrutierung von Jugendlichen für die Partei sei. Obwohl die
Sozialarbeit Gewalt verhindern sollte, seien vermutlich auch Überfälle
vom Kirschberghaus ausgegangen.
Sabine berichtet von einem solchen Vorfall: "Für kurze Zeit
konnten wir uns im Jugendclub Völkerfreundschaft treffen. Dann kam dort
eines Tages ein Anruf von einem Sozialarbeiter aus dem Kirschberghaus":
Er warnte die Betreuer der nicht-rechten Jugendlichen, daß seine
Klientel sich auf den Weg gemacht habe – "Bringt eure mal in
Sicherheit!" Die jungen Linken und "Stinos" – so werden die
"stinknormalen" Jugendlichen genannt – räumten ihren Club.
Jugendbildungsvereins-Chef Dreßler bestätigt den Vorfall: Wenn sonst
nichts helfe, sei eine solche Warnung leider der letzte Weg.
Am Kirschberghaus sind die Spuren der jungen Rechten so wenig zu
übersehen wie überall in Grünau. Über dem Eingang steht die Parole
"Deutschland erwache", neben der Tür kleben Reste von NPD-"Spuckis",
roten Aufklebern, wie sie die NPD-Jugendorganisation JN gern an Schulen
verteilt. Die Türen des "Treffs 2" sind verschlossen. Das Experiment der
Jugendarbeit mit den Rechten ist vorerst beendet. "Die Konzeption ist
gescheitert", hat der Jugendhilfeausschuß der Stadt festgestellt.
Gelöst ist damit nichts. Die rechten Jugendlichen aus dem Treff
drängen nun in die wenigen anderen Clubs des Stadtteils "und verdrängen
die anderen", sagt Wolfgang Dreßler. Die Gewalt verlagere sich auf die
Straße, wo sie schwerer kontrolliert werden könne. Vor gut zwei Wochen
traf es einen Bekannten von Sabine. An einer Fußgängerbrücke am großen
Einkaufszentrum versuchten fünf Skins, ihn über das Geländer einige
Meter tief auf die Straße zu werfen, sagt er. Nur weil ein älterer
Passant eingriff, konnte er flüchten. Auch dieser Mann wurde von den
jungen Rechten verprügelt.
Nur rund 250 Jugendliche in Grünau gelten als gewaltbereite
Rechte; die Bunten, Linken und Stinos sind in der Überzahl. Doch die
Rechten übten so viel Druck aus, daß die meisten anderen sich ducken,
sagen Sozialarbeiter. Die Stadt sucht nun ein neues Konzept für den
"Treff 2", der nicht mehr nur für junge Rechte offen sein soll. "Die
Erwachsenen müßten sich mehr zusammentun", sagt Sabine und hofft, daß
"die Bullen" sich mehr einsetzen. An ihrem Haus gebe es viele
Hakenkreuze, und die 16jährige fürchtet manchmal, daß sie ihr gelten.
Ihre Eltern haben überlegt, aus der Trabantenstadt wegzuziehen. "Doch
das können wir uns nicht leisten."
SZ 22-03-99
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Dienstag 23-03-99 |