La Grande Nation und die geschichtliche Wahrheit:
Die Legende vom nationalen Widerstand
Lange hielt sich Frankreich der Mythos vom Land
der Widerstands-Kämpfer. Erst neuerdings stellt sich die Grande Nation
der geschichtlichen Wahrheit.
Für das besiegte Frankreich hatten die Deutschen im
Oktober 1940, als Hitler Marschall Pétain die künftige Zusammenarbeit beider
Länder diktierte, die Pläne längst gemacht. "In Zukunft wird Frankreich in
Europa die Rolle einer größeren Schweiz spielen und ein Tourismus-Land
werden", verkündete Goebbels schon drei Monate zuvor. Frankreich sollte
Deutschland mit billigen Waren beliefern und als Aufmarschfeld für den Krieg
gegen England herhalten. Sonst hatte die Grande Nation von den Nazis nichts
zu erwarten, denn für Hitler waren die Franzosen der erklärte "Erbfeind".
Dennoch suchte das geschlagene Land zunächst regelrecht die Zusammenarbeit
mit den Deutschen. Und Marschall Pétain und seine Minister (Frankreichs
Regierung während der Besatzung) taten oft sogar noch mehr als die deutschen
Nazis forderten.
Den Gründen für diese Kollaboration geht nun die französische
Historikerin Rita Thalmann in ihrem Band "Gleichschaltung in Frankreich
1940-1944" nach. Auf Einladung der "Heinrich Böll Stiftung" stellte sie
im Rahmenprogramm der Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der
Wehrmacht 1941 bis 1944" am Wochenende ihr Buch im Saarbrücker
Rathausfestsaal vor. Lange freilich, erklärt die Professorin, die bis zu
ihrer Emeritierung an der Universität Paris lehrte, hielt sich im
Nachkriegs-Frankreich die Legende einer Nation, die quasi geschlossen
den Deutschen Widerstand leistete.
Tatsächlich sah es im besetzten Frankreich des Jahres 1940
anders aus. "Das Gros der Bevölkerung vertraute zunächst dem
Patriotismus Pétains", sagt Rita Thalmann. Der greise Marschall galt als
"Kriegsheld" von Verdun. Und statt etwa von den französischen
Übersee-Gebieten aus gegen die Deutschen zu kämpfen, ging Pétain nach
Vichy und errichtete dort im unbesetzten Teil Frankreichs ein
autoritäres Regime, das mit den Deutschen kollaborierte. Der Marschall
wollte so den "Souveränitätsanspruch auf ganz Frankreich wahren",
erläutert die Historikerin. Außerdem hoffte er, etwas für die gefangenen
französischen Soldaten tun zu können. Ein Trugschluß, denn die Nazis
waren nur daran interessiert, Frankreich mit möglichst wenig Aufwand
unter Kontrolle zu halten. Das aber machten Pétain und seine Regierung
den Deutschen allzu leicht.
Sie organisierten die französische Verwaltung so, daß sie den
Nazis fast reibungslos in die Hände arbeitete. Und 1942 stimmte das
Vichy-Regime dann sogar Juden-Deportationen zu. Spätestens da aber
schlug in Frankreich die Meinung um, sagt Rita Thalmann. Als die Juden
verschleppt wurden, protestierten endlich auch katholische Geistliche,
die einen starken Einfluß in Frankreich hatten. Zudem schürten die
willkürlichen Erschießungen, mit denen die Deutschen Résistance-Aktionen
bestraften, den Unmut der Bevölkerung. So wuchs der Widerstand gegen die
Besatzer, und viele Franzosen halfen Juden und anderen Nazi-Verfolgten.
Für die Historikerin ist all das auch ein Stück ihrer
persönlichen Geschichte. 1926 wurde Rita Thalmann in Nürnberg geboren.
Sechs Jahre später mußte sie aus Deutschland fliehen, erst in die
Schweiz, dann nach Dijon. Und so verdanke sie auch ihr eigenes Überleben
der Tatsache, "daß schließlich 75 Prozent der Juden Frankreichs gerettet
wurden".
oli
Rita Thalmann: Gleichschaltung in Frankreich 1940-1944,
Europäische Verlagsanstalt
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Montag 08-03-99 |