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Likrath haSchloschim:
Eines der letzten Interviews

Rabbiner Pinchas Paul Biberfeld s.l. 
im Gespräch
mit Chaim Frank

Chaim FRANK: Kvod ha-Rav, wir haben eine Jüdische Kulturbühne geschaffen, die informativ und lehrreich sein soll. Aber ohne ein religiöses Wort hätte diese Kulturbühne nicht die Gewichtigkeit, die wir wünschen. Wir freuen uns also, daß wir hinkünftig in jeder Nummer von Ihnen einen Text aufnehmen werden. Ich glaube unsere Leser würden sich freuen, wenn sie ein bißchen über Ihr Leben erfahren dürfen. Sie sind glaube ich in Berlin geboren.

30k

Pinchas Paul Biberfeld
(Berlin um 1928; dritter von rechts)
(c) Dokumentations-Archiv, 
Chaim Frank

Rabbiner BIBERFELD:

Zur Person. Berlin Jahrgang 1915. Das war das Jahr der Schlacht bei Tannenberg. Mein Vater war Rabbiner ebenso meine beiderseitigen Großväter. Meine frühesten Jugenderinnerungen sind, daß wir noch in Keller gehen mußten, weil noch die Spartakisten auf den Dächern geschossen haben. Es gab in Berlin eine streng fromme Gemeinde 'Adass-Jisroel' die war im Gegensatz zu der großen Gemeinde besonders religiös. Es war so ein eigenartiger Kontrast, wenn man am Sabbatmorgen zur Synagoge ging, ringsherum war hoch aktives Leben, in der Markthalle war Geschrei und alles hat gelebt und wir hatten so eine Art religiöse Enklave, quasi eine Kulturenklave.

Chaim FRANK:

Ihre Familie väterlicherseits ist eine sehr bekannte Rabbiner-Familie gewesen. Biberfeld ist ein sehr großer und berühmter deutsch-jüdischer Name, der zurück reicht bis Breslau, heute Wrozlaw.

Rabbiner BIBERFELD:

Als Witz könnte ich sagen, man nennt in Israel immer die sogenannten 'besetzten Gebiete', mein Großvater ist in Posen geboren und mein Vater in Breslau, ich verlange von Polen, daß meine besetzten Gebiete zurückgeben, denn diese Städte waren einmal deutsch. Posen war ein großes jüdisches Kulturzentrum. Der Name, der auch vielen, die nicht so gelehrt sind bekannt sein dürfte, ist der von Rabbi Akiba Eger. In Breslau gab es auch viele bedeutende Rabbiner... Es ist immer meine Stärke und meine Schwäche die Sachen mit einer Anekdote zu versymbolisieren.

Chaim FRANK:

Das ist ja das Interessante und Schöne, und, was wir an Ihren Schilderungen so sehr schätzen!

Rabbiner BIBERFELD:

Nun ja, der Nachteil ist, daß die mittelmäßigen Hörer sich dann eben nur die Anekdote merken, wohingegen die tiefer denkenden sich dann auch über den Kern Gedanken machen. Also dieser Rabbi Akiba Eger war ein großer Geistesfürst. Damals gab es in Posen schon die modernen, sogenannten 'aufgeklärten Juden'. Und da wollte er einmal einer armen Familie helfen, die im sozialen Elend war. Einmal ging er in ein Cassino, wo auch reiche Juden hingingen und mit großen Einsätzen spielten. Er war doch angesehen und da ging er schnurstracks auf die Kasse zu und nahm den ganzen Einsatz der Kasse und sagte: Herz ist Trumpf. Ich brauche das für eine arme Familie. Wohl oder übel hatte man ihm den Einsatz der Kasse gegeben.

Chaim FRANK:

Ihr Vater ist von Breslau nach Berlin gegangen und war dort auch Rabbiner.

Rabbiner BIBERFELD:

Mein Vater hatte einen eigenartigen Bildungsgang gehabt. Er hatte bis zum 18 Lebensjahr nur 'Limude Kodesch', die 'Heiligen Studien' gehabt, und dann hat er beschlossen, das Abitur zu machen, das war ganz kurz - nur zwei bis drei Jahre. Er hat mir immer erzählt, beim Abitur hat ihn der Schulrat verhört, bitte lesen Sie mir eine Partie von Homer vor, und der Schulrat gab ihm ein Exemplar. Da sagte Vaters Lehrer, Biberfeld braucht kein Exemplar, der kann den Homer auswendig. Also er war, abgesehen, daß er im talmudischen Wissenschaften ein outstanding Genie war, war er auch in allen Gebieten des klassisch-humanistischen Wissens zu Hause.

Chaim FRANK:

Dieses Rabbiner-Seminar hatte einen bedeutenden Ruf. Können Sie etwas über seine Lehrer erzählen?

Rabbiner BIBERFELD:

In Berlin war der bekannte Rabbiner Esriel Hildesheimer (1820-1899), ein Mann von Weltrenomee, welcher (1873) in Berlin das orthodoxe Rabbiner-Seminar gegründet hatte. Der Zweck war, nachdem die sogenannte Aufklärung (man könnte sie auch als 'Verfinsterung des Judentums' nennen, da sie immer betonte, daß nur sie das Monopol der allgemeinen Bildung habe), daß die altfränkischen Juden nichts mehr wußten, ... so war der Sinn des Rabbiner-Seminars: die Vereinigung von moderner Bildung mit alten, echt jüdischen Tora-Glauben und Tora-Wissen. Das nennt man 'Tora im Derech Erez'. Auch das, obwohl es nicht so historisch interessant ist, spiegelte aber die patriarchalische und familiäre Beziehung zwischen den Rebben – sprich: Meister – wider. Der Rabbiner Hildesheimer wurde von seinen Schülern nur 'Rebbe' genannt. Es war ein Fasttag, der bald wieder aktuell sein wird, im Tammus, aber die Hörer kamen trotzdem zur Vorlesung, plötzlich erschien Rabbi Hildesheimer im Hörsaal und hielt in der Hand eine Tasse dampfenden Kaffes. Das war doch eine Desekration, eine schreckliche Entweihung vor allen Schülern! Er ging durch die Bankreihen und blieb stehen vor dem Seminaristen Biberfeld und sagte: Ich weiß doch, der Arzt hat ihnen befohlen, zu Essen, ich weiß aber auch, daß Sie nicht folgen werden. Damit Sie sofort den Tammus unterbrechen, habe ich schon mitgebracht eine Tasse Kaffee, den Sie sofort trinken müssen. Das war vielsagend...

Chaim FRANK:

Sie haben ja die Zeit durchgemacht in Berlin, diese schrecklichen Anfänge vom Nationalsozialismus, die schreckliche Kristallnacht usw. Sie sind dann nach Erez Israel ausgewandert mit Ihrer Familie. Können Sie etwas darüber erzählen, von den Anfängen in Berlin, die Sie als orthodoxer Jude, als Rabbinats-Student, in dieser Stadt erlebten?

Rabbiner BIBERFELD:

Es liegt mir noch gut in Erinnerung der 31 Januar 1933 und dann der 9. November 1938. Mein Schlafzimmer war angrenzend zum Synagogenraum. Mir klingt noch im Ohr, die Worte des Synagogen-Vorstehers, es war 6 Uhr früh im Winter, ein Wintermorgen, da sagte er zum Schames (Schuldiener): Heut wird nicht gebetet, die Kaiserstraße brennt. Das fuhr mir in die Glieder, wie wenn einer zu einem Londoner sagen würde der Big Ben brennt. Das war eine vornehme feine Synagoge in der Kaiserstraße. Dies blieb mir wie eine Blitzlichtaufnahme in meiner Erinnerung. Dann ein Tiefblick in die deutsche Volksseele: Unser Haus war schon 200 Jahre alt. Es war schon ein modernes Haus, aber der Grundstock war 200 Jahre alt. Unser Haus wurde nicht verbrannt, die Synagoge, sie stand unter Denkmalschutz. Kinder hat man vergast, Greise hat man verbrannt, Familien ruiniert und getötet, aber ein 200 Jahre alte Synagoge steht unter Denkmalschutz. Das ist so typisch für die moralische und historische Einstellung des teutonischen Gastvolks.

Chaim FRANK:

Sie sind emigriert im Jahre 1939, direkt nach Palästina. Können Sie etwas über die Emigration erzählen? Dies war ja damals eine beschwerliche Reise - heute setzt man sich ins Flugzeug und ist in 4 Stunden schon in einer ganz anderen Welt.

Rabbiner BIBERFELD:

Ich werde anachronistisch etwas zurückgreifen. Insofern muß ich sogar etwas gutes über Berlin sagen. Berlin, auch nichts gutes, aber es war ein Zeichen für die raffinierte Einstellung der Nazis. Berlin war das Zentrum der großen Botschaften und Konsulate, und der internationalen Zentralen. Deswegen hatte man raffinierter Weise auf den Straßen Berlins wenig - ich habe persönlich nie etwas verspürt, fast nie, vielleicht mal eine verbale Anrempellung und daher ist mir diese Zeit nicht so schrecklich in Erinnerung, wie sie vielleicht hätte sein können. Dann sind wir im Jahre 1939 ausgewandert. Mein Vater war schon lange leidend und so ist er, - dies war damals ein Novum - nach Venedig geflogen und dann per Schiff weiter. Wieder eine Anekdote: Mein Bruder, wir hatten da noch einen Arztkollegen, der auch schon nicht mehr praktizieren durfte, als Begleiter mitgegeben. Als mein Vater in Venedig und dann in Triest landete, da schob er vor sich hin den begleitenden Arzt und sagte zu meinem Bruder: Jetzt wollen wir erstmals den Kollegen auf die Füße stellen. Der Arzt hatte nämlich gelitten unter der Flugkrankheit, wo hingegen mein Vater ganz fit war.

Chaim FRANK:

Und Sie haben ja dann wenig später auch diese Schiffsreise von Triest aus gemacht, in Richtung Haifa. Können Sie etwas über Ihre erste Zeit im damaligen Palästina erzählen? Es war ja damals noch nicht der Staat Israel, sondern das Mandat. Und wissen Sie aus dieser Zeit auch noch ein paar Anekdoten?

Rabbiner BIBERFELD:

Natürlich die zentrale Gestalt war der High-Commissioner und daneben gab es den großen Rabbiner Kook. Es war diese Zeit, wo sehr viele sogenannte 'illegale' Einwanderer ins Land kamen. Der High-Commissioner hatte in Talpijot, einem vornehmen Wohnviertel in Jerusalem, sein Haus. Und dahin kam einmal der greise Rabbiner Kook, eine schone patriarchale Erscheinung und sagte: 'ich muß jetzt zum High-Commissioner weil ein illegaler Einwanderer muß jetzt legalisiert werden.' Da antwortete der wachhabende Soldat: 'That is against the law, das ist gegen das Gesetz, ich kann Sie jetzt nicht hereinlassen.' Da entgegnete der Rabbi: 'Hier existiert nur das 'law' von der Tora und ich bin ein Rabbiner', und hat ihn einfach beiseite geschoben und ist zum High-Commissioner gegangen. Das war natürlich auch wieder so eine Anekdote. Da war noch ein frommer Rabbiner, der hieß Duschinski, und der High-Commissioner hatte eine Rezeption gemacht für eine schwedische Prinzessin. Da hat er auch den Rabbiner Duschinski, der gehörte dem rechten orthodoxen Flügel an, eingeladen. Und als Rabbiner Duschinski kam, hat er gesehen, daß man ihn ausgerechnet neben der schwedischen Prinzessin plaziert hatte. Und das ist für einen orthodoxen Rabbiner unmöglich, denn eine 'Tischdame' kann dieser nicht gebrauchen. Und da hatte er zu dem Sekretär gesagt: es ist ja noch sehr früh, ich werde einfach verschwinden und sagen sie einfach dem High-Commissioner, ich konnte nicht kommen. Nein, entgegnete dieser, der High-Commissioner besteht darauf, daß der Herr Oberrabbiner dabei ist. Und so hatte man ihn dann anders plaziert. Er sitze dann also neben Ben-Gurion. Als man zu Tische bat, servierte man Geflügel und das war natürlich nicht koscher. Duschinski hatte nur Obst gegessen und Ben-Gurion - aus Takt - hat ebenfalls nur Obst gegessen. Und später, immer wenn er einen Vertreter von der Agudat traf, sagte er stets: Die Agudat ist mir eine Portion Geflügel schuldig. Das Ende war, daß die Prinzessin ein Accident hatte und sie konnte zu diesen Empfang nicht kommen. Als man sich verabschiedete, sagte der High-Commissioner zu Rabbiner Duschinski: Sie haben sich doch etwa nicht um diesen Accident im Himmel bemühen müssen?! Wir hatten Sie doch sowieso wo anders hingesetzt. Wozu war also dieser Unfall notwendig?

Chaim FRANK:

Wenn man als Einwanderer in Palästina ankam, so mußte man also in Haifa durch die Einwanderungsbehörde durchgehen.

Rabbiner BIBERFELD:

Ja, mein Vater war damals schon über 70 und so hatte man es ihm damals etwas leichter gemacht. Dann ist man mit einem Spezial- Auto nach Jerusalem gefahren. Das heißt wir waren zunächst ein bis zwei Wochen in Haifa und dann fuhren wir erst nach Jerusalem. Als wir ankamen - wer einmal in Haifa war, der kennt gewiß den Carmel-Berg, auf dem sehr viel Laternen gebrannt hatten - da habe ich in naiver weise gesagt 'offenbar hatte man zuliebe unserer Ankunft alle illuminiert. Aber es war nicht so, sondern es war die ganz normale Straßenbeleuchtung.

Chaim FRANK:

Und dann sind sie bald nach Jerusalem gefahren.

Rabbiner BIBERFELD:

Ja, bald nach unserer Ankunft sind wir nach Jerusalem übersiedelt.

Chaim FRANK:

Und sie selber haben, so glaube ich, auch in Israel geheiratet.

Rabbiner BIBERFELD:

Das ist richtig, ich habe in Jerusalem geheiratet.

Chaim FRANK:

Wie war das so Ende der 30er und 40er Jahre in Israel? Hat man da auch mitbekommen, was dort in Deutschland passierte, das Morden der Juden, der Holocaust überhaupt?

Rabbiner BIBERFELD:

Ja, ich erinnere mich. Ich hab damals in einer Jeschiva gelernt und mein Schulweg morgens war ziemlich weit. Da hingen immer an den Kiosken die Tageszeitungen und da habe ich immer jeden Morgen mit Erschütterung gelesen, was sich da abspielte.

Chaim FRANK:

Ich besitze eine Dokumentation von einem Rabbiner Breslauer, aus dem Jahre 1943, aufgelegt in Jerusalem. Er hat in seiner Dokumentation geschrieben, ganz dicke, über die schreckliche Taten, die in Dachau, Auschwitz und Mauthausen usw. passierten.

Rabbiner BIBERFELD:

In verschiedenen Kreisen hatte man sogar verdächtigt, daß die Zionisten lange Zeit die Wahrheit vorenthalten haben, weil sie sagen, das schädigt die Appeals für die zionistischen Forscher. Wie weit das wahr ist, weiß ich nicht. Nachher hat sich aber die Wahrheit doch durchgesetzt.

Chaim FRANK:

Es war bestimmt nicht leicht das Leben in den 30erJahren in Palästina. Denn der Groß-Mufti von Jerusalem war doch einerseits ein persönlicher Freund von Hitler und andrerseits gab es doch große Auseinandersetzungen zwischen der arabischen und der jüdischen Bevölkerung, was ja teilweise von diesem Groß-Mufti gefördert wurden.

Rabbiner BIBERFELD:

Nun ja, sehr viel ist mir nicht in Erinnerung. Aber leider muß ich zum Lobe auch der (bösen) Engländer sagen, solange der Krieg angängig war, hat man die Araber streng in Schach gehalten. Sie hatten sich nicht viele Schießereien erlaubt. Danach wurde es dann kritischer.

6k

Titelblatt von haNe'eman

Chaim FRANK:

War in Jerusalem die Klagemauer damals zugänglich für Juden?

Rabbiner BIBERFELD:

Ja das war sie. Aber da fällt mir eine Geschichte dazu ein: Rabbiner Sonnenfeld, der war das Oberhaupt der extremen Orthodoxen, und da traf er einmal die Führer der Misrachi-Organisation, das waren doch die aus dem mehr linken Flügel, und die sagten: Rabbi segnet uns. Da entgegnete er: Dieses Jahr haben sie nur eine Wand gehabt, nächstes Jahr sollen sie schon 4 Wände haben - das ist, daß der Tempel steht. Da fragten die Führer des Misrachi: Und wer wird der Hohe Priester sein im Tempel? Da sagte Rabbi Sonnenfeld: 'Der Rabbiner von Jaffa!' Das war Rabbi Kook. Da antworteten sie erstaunt: 'Ja, aber das ist doch Ihr Gegner, und Sie wollen, daß Rabbi Kook Hoher Priester wird? Ja, Hoher Priester, weil da ist kein besserer als er; - nur Oberrabbiner soll er nicht werden!

Natürlich, auch das bleibt mir in Erinnerung: Es gab damals einen Minister, Dov Josef, der hatte einiges eingeführt. Die Auslagen der Obstgeschäfte waren dürftig und es gab fast nichts. Dann gab es sehr wenig zu essen. Darum sagte man auch einen Witz über Dov Josef. Es gab damals 'leben', das war ein sehr armes Milcherzeugnis, wo wenig drinnen war, und dann gab es 'Lebenija', das war mehr fett. Und einmal hatte Dov Josef das Lebenija gegessen, und da sagt er: Das schmeckt ja ganz gut, das muß man verbieten! Das spiegelt ungefähr so den Zeitgeist von damals wider.

Chaim FRANK:

Wann sind Sie zurückgekommen nach Deutschland?

Rabbiner BIBERFELD:

Von 1939 bis 1982 lebte ich in Israel.

Chaim FRANK:

Das heißt Ihr Sohn Michael, der jetzt in London lebt und gleichfalls Rabbiner ist, wurde in Israel geboren.

Rabbiner BIBERFELD:

Ja, das ist richtig. Michael Biberfeld ist in Tel Aviv geboren.

Chaim FRANK:

1982 sind sie nach München gekommen und waren lange Zeit, 10 Jahre, Oberrabbiner in der IKG-München, die Sie religiös und erfolgreich geleitet haben. Sie waren damals sehr aktiv und haben auch viel in der Gemeindezeitung geschrieben, Schiurim gehalten und vieles mehr.

Rabbiner BIBERFELD:

Der Pegasus war damals noch fliegend, aber jetzt fliegt er nicht mehr so ganz ...

Chaim FRANK:

Haben Sie auch vor eine Biographie zu schreiben. Sie hatten doch ein sehr bewegtes Leben gehabt, Sie haben viele Menschen getroffen in Ihrem Leben und so wäre es doch interessant eine Biographie von Ihnen zu lesen.

Rabbiner BIBERFELD:

Ja, das stimmt, ich muß mich mal darin ankurbeln. Sie haben mir darin einen 'Schokel' gegeben und ich werde mich bemühen.

Chaim FRANK:

Was hat Sie nach München verschlagen und wieso sind Sie nicht wider nach Berlin gegangen?

Rabbiner BIBERFELD:

Ich hatte einen Vorgänger, Rabbiner Grünewald, der hat erstmals resigniert in der sicheren Erwartung man wird ihn bitten zu verlängern. Das tat die Gemeinde aber nicht und so blieb sie plötzlich ohne Rabbiner. Und ich vermute, daß damals der Dr. Lamm - ein hochgebildeter Mensch - gesagt hat, den alten Rabbiner Biberfeld werden wir schnell mal als Lückenbüßer anstellen und den können wir dann wieder bald loswerden. Das gelang ihnen aber nicht, nachdem ich hier war und auch einige Anhänger gewonnen hatte.

Chaim FRANK:

Sie hatten sehr viele Anhänger und viele denken noch gerne an die Zeit zurück, wo Sie Oberrabbiner dieser Gemeinde waren. Momentan ist ja eine etwas gespannte Situation in Puncto Rabbiner.

Rabbiner BIBERFELD:

Dies ist ja leider bedauerlich.

Chaim FRANK:

Meine Empfindung ist, daß man allgemein einem Rabbiner heute nicht mehr diese Koved abzollt, wie man sie ihm vielleicht früher gegeben hat, zumindest vor dem Krieg. Empfinden Sie dies auch so?

Rabbiner BIBERFELD:

Ja, das ist ziemlich schon seit einiger Zeit so. Schuld daran ist die sogenannte Aufklärung mit der man in einem Rabbiner nicht mehr die zentrale Persönlichkeit gesehen hat. Das ist zu bedauern, aber es ist 'a matter of facts'.

Chaim FRANK:

In Osteuropa, zum Beispiel in Bukarest wo Dr. Moses Rosen Oberrabbiner ist, und der ist auch schon über 70 Jahre alt, habe ich es erlebt, daß seine Kojach, und seine Wortkraft weit über viele Grenzen hinwegreicht, sogar bis hinüber ins Bessarabische und Bukowinische Gebiet. Überall wird er gebührlich verehrt.
Kann es sein, daß aufgrund des Krieges und Auschwitz - zumal ja der größte Teil der Ostjuden vom Unglück betroffen waren -, zwischen Ost und West so große Diskrepanzen existieren, vor allem im Bezug auf einer religiösen Person, wie die eines Rabbiners, sie galt in Osteuropa als Respektsperson, die er eigentlich auch heute ist und zu sein hat?

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Cover zum Buch
(c) Dokumentations-Archiv
Chaim Frank

Rabbiner BIBERFELD:

Die Juden in Deutschland hatten schon auch ihren Rabbinern die Ehre gegeben, wenn ich bedenke z.B. einem Rabbiner Samson Raphael Hirsch, einem Bamberger oder Biberfeld. Nein, nein, man hatte hier auch einem Rabbiner schon die nötige Koved, d.h. Ehrerbietung erwiesen.

Der Chassidismus ist im Osten entstanden weil die Lage sehr trostlos war. Nach den Verfolgungen, nicht lange nach Chmjelnicki, haben die Zaddikim, die chassidischen Wunderrabbis, dem jüdischen Volk wieder Hoffnung und Lebensmut zurückgegeben. Dadurch entstand aber auch eine sehr tragische Diskrepanz. Der Rabbiner, der sorgen muß für die Durchführung des Gesetzes, die rituellen Speisegesetzen, die Ehegesetzen, die alle zum Teil sehr schwer sind. Der Rabbiner wurde dadurch ein bißchen in den Schatten gerückt er mußte für den Kaschrut sorgen, daß die Schächtereien in Ordnung sind. Der Chassidismus hatte sich hingegen mehr der mystischen Lehre, der Kabbala, verschrieben. Jetzt entstand die Tatsache, daß die Einwanderer die nach Deutschland, aus Polen und Rußland kamen, innerlich mehr für die mystischen Rabbis begeistert waren, als für den trockenen Rabbiner der für die Durchführung des Gesetzes sorgen mußte. Das war eben in einem gewissen Sinne tragisch.

Chaim FRANK:

Kvod ha-Rav, ich danke Ihnen für das Interview.

(Das Gespräch führte Chaim Frank vom Dokumentations-Archiv für die Jüdische Kulturbühne, am 17. Juli 1992)

Die hier archivierten Artikel stammen aus den "Anfangsjahren" der breiten Nutzung des Internet. Damals waren die gestalterischen Möglichkeiten noch etwas ursprünglicher als heute. Wir haben die Artikel jedoch weiterhin archiviert, da die Informationen durchaus noch interessant sein können, u..a. auch zu Dokumentationszwecken.


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