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Meldungen aus den Jahren 1995 - 1999 |
Likrath haSchloschim:
Eines der letzten Interviews
Rabbiner Pinchas Paul Biberfeld s.l.
im Gespräch mit Chaim Frank
Chaim FRANK: Kvod ha-Rav, wir haben eine
Jüdische Kulturbühne geschaffen, die informativ und lehrreich sein soll.
Aber ohne ein religiöses Wort hätte diese Kulturbühne nicht die
Gewichtigkeit, die wir wünschen. Wir freuen uns also, daß wir hinkünftig
in jeder Nummer von Ihnen einen Text aufnehmen werden. Ich glaube unsere
Leser würden sich freuen, wenn sie ein bißchen über Ihr Leben erfahren
dürfen. Sie sind glaube ich in Berlin geboren.
Pinchas Paul Biberfeld
(Berlin um 1928; dritter von rechts)
(c) Dokumentations-Archiv,
Chaim Frank |
Rabbiner BIBERFELD:
Zur Person. Berlin Jahrgang 1915. Das war das Jahr der
Schlacht bei Tannenberg. Mein Vater war Rabbiner ebenso meine
beiderseitigen Großväter. Meine frühesten Jugenderinnerungen sind, daß
wir noch in Keller gehen mußten, weil noch die Spartakisten auf den
Dächern geschossen haben. Es gab in Berlin eine streng fromme Gemeinde
'Adass-Jisroel' die war im Gegensatz zu der großen Gemeinde
besonders religiös. Es war so ein eigenartiger Kontrast, wenn man am
Sabbatmorgen zur Synagoge ging, ringsherum war hoch aktives Leben, in
der Markthalle war Geschrei und alles hat gelebt und wir hatten so eine
Art religiöse Enklave, quasi eine Kulturenklave.
Chaim FRANK:
Ihre Familie väterlicherseits ist eine sehr bekannte
Rabbiner-Familie gewesen. Biberfeld ist ein sehr großer und berühmter
deutsch-jüdischer Name, der zurück reicht bis Breslau, heute Wrozlaw.
Rabbiner BIBERFELD:
Als Witz könnte ich sagen, man nennt in Israel immer die
sogenannten 'besetzten Gebiete', mein Großvater ist in Posen geboren und
mein Vater in Breslau, ich verlange von Polen, daß meine besetzten
Gebiete zurückgeben, denn diese Städte waren einmal deutsch. Posen war
ein großes jüdisches Kulturzentrum. Der Name, der auch vielen, die nicht
so gelehrt sind bekannt sein dürfte, ist der von Rabbi Akiba Eger. In
Breslau gab es auch viele bedeutende Rabbiner... Es ist immer meine
Stärke und meine Schwäche die Sachen mit einer Anekdote zu
versymbolisieren. |
Chaim FRANK:
Das ist ja das Interessante und Schöne, und, was wir an
Ihren Schilderungen so sehr schätzen!
Rabbiner BIBERFELD:
Nun ja, der Nachteil ist, daß die mittelmäßigen Hörer sich
dann eben nur die Anekdote merken, wohingegen die tiefer denkenden sich
dann auch über den Kern Gedanken machen. Also dieser Rabbi Akiba Eger
war ein großer Geistesfürst. Damals gab es in Posen schon die modernen,
sogenannten 'aufgeklärten Juden'. Und da wollte er einmal einer armen
Familie helfen, die im sozialen Elend war. Einmal ging er in ein
Cassino, wo auch reiche Juden hingingen und mit großen Einsätzen
spielten. Er war doch angesehen und da ging er schnurstracks auf die
Kasse zu und nahm den ganzen Einsatz der Kasse und sagte: Herz ist
Trumpf. Ich brauche das für eine arme Familie. Wohl oder übel hatte man
ihm den Einsatz der Kasse gegeben.
Chaim FRANK:
Ihr Vater ist von Breslau nach Berlin gegangen und war
dort auch Rabbiner.
Rabbiner BIBERFELD:
Mein Vater hatte einen eigenartigen Bildungsgang gehabt.
Er hatte bis zum 18 Lebensjahr nur 'Limude Kodesch', die
'Heiligen Studien' gehabt, und dann hat er beschlossen, das Abitur
zu machen, das war ganz kurz - nur zwei bis drei Jahre. Er hat mir immer
erzählt, beim Abitur hat ihn der Schulrat verhört, bitte lesen Sie mir
eine Partie von Homer vor, und der Schulrat gab ihm ein Exemplar. Da
sagte Vaters Lehrer, Biberfeld braucht kein Exemplar, der kann den Homer
auswendig. Also er war, abgesehen, daß er im talmudischen Wissenschaften
ein outstanding
Genie war, war er auch in allen Gebieten des klassisch-humanistischen
Wissens zu Hause.
Chaim FRANK:
Dieses Rabbiner-Seminar hatte einen bedeutenden Ruf.
Können Sie etwas über seine Lehrer erzählen?
Rabbiner BIBERFELD:
In Berlin war der bekannte Rabbiner Esriel Hildesheimer
(1820-1899), ein Mann von Weltrenomee, welcher (1873) in Berlin das
orthodoxe Rabbiner-Seminar gegründet hatte. Der Zweck war, nachdem die
sogenannte Aufklärung (man könnte sie auch als 'Verfinsterung des
Judentums' nennen, da sie immer betonte, daß nur sie das Monopol der
allgemeinen Bildung habe), daß die altfränkischen Juden nichts mehr
wußten, ... so war der Sinn des Rabbiner-Seminars: die Vereinigung von
moderner Bildung mit alten, echt jüdischen Tora-Glauben und Tora-Wissen.
Das nennt man 'Tora im Derech Erez'. Auch das, obwohl es nicht so
historisch interessant ist, spiegelte aber die patriarchalische und
familiäre Beziehung zwischen den Rebben – sprich: Meister – wider. Der
Rabbiner Hildesheimer wurde von seinen Schülern nur 'Rebbe'
genannt. Es war ein Fasttag, der bald wieder aktuell sein wird, im Tammus,
aber die Hörer kamen trotzdem zur Vorlesung, plötzlich erschien Rabbi
Hildesheimer im Hörsaal und hielt in der Hand eine Tasse dampfenden
Kaffes. Das war doch eine Desekration, eine schreckliche Entweihung vor
allen Schülern! Er ging durch die Bankreihen und blieb stehen vor dem
Seminaristen Biberfeld und sagte: Ich weiß doch, der Arzt hat ihnen
befohlen, zu Essen, ich weiß aber auch, daß Sie nicht folgen werden.
Damit Sie sofort den Tammus unterbrechen, habe ich schon mitgebracht
eine Tasse Kaffee, den Sie sofort trinken müssen. Das war vielsagend...
Chaim FRANK:
Sie haben ja die Zeit durchgemacht in Berlin, diese
schrecklichen Anfänge vom Nationalsozialismus, die schreckliche
Kristallnacht usw. Sie sind dann nach Erez Israel ausgewandert mit Ihrer
Familie. Können Sie etwas darüber erzählen, von den Anfängen in Berlin,
die Sie als orthodoxer Jude, als Rabbinats-Student, in dieser Stadt
erlebten?
Rabbiner BIBERFELD:
Es liegt mir noch gut in Erinnerung der 31 Januar 1933 und
dann der 9. November 1938. Mein Schlafzimmer war angrenzend zum
Synagogenraum. Mir klingt noch im Ohr, die Worte des
Synagogen-Vorstehers, es war 6 Uhr früh im Winter, ein Wintermorgen, da
sagte er zum Schames (Schuldiener): Heut wird nicht gebetet, die
Kaiserstraße brennt. Das fuhr mir in die Glieder, wie wenn einer zu
einem Londoner sagen würde der Big Ben brennt. Das war eine vornehme
feine Synagoge in der Kaiserstraße. Dies blieb mir wie eine
Blitzlichtaufnahme in meiner Erinnerung. Dann ein Tiefblick in die
deutsche Volksseele: Unser Haus war schon 200 Jahre alt. Es war schon
ein modernes Haus, aber der Grundstock war 200 Jahre alt. Unser Haus
wurde nicht verbrannt, die Synagoge, sie stand unter Denkmalschutz.
Kinder hat man vergast, Greise hat man verbrannt, Familien ruiniert und
getötet, aber ein 200 Jahre alte Synagoge steht unter Denkmalschutz. Das
ist so typisch für die moralische und historische Einstellung des
teutonischen Gastvolks.
Chaim FRANK:
Sie sind emigriert im Jahre 1939, direkt nach Palästina.
Können Sie etwas über die Emigration erzählen? Dies war ja damals eine
beschwerliche Reise - heute setzt man sich ins Flugzeug und ist in 4
Stunden schon in einer ganz anderen Welt.
Rabbiner BIBERFELD:
Ich werde anachronistisch etwas zurückgreifen. Insofern
muß ich sogar etwas gutes über Berlin sagen. Berlin, auch nichts gutes,
aber es war ein Zeichen für die raffinierte Einstellung der Nazis.
Berlin war das Zentrum der großen Botschaften und Konsulate, und der
internationalen Zentralen. Deswegen hatte man raffinierter Weise auf den
Straßen Berlins wenig - ich habe persönlich nie etwas verspürt, fast
nie, vielleicht mal eine verbale Anrempellung und daher ist mir diese
Zeit nicht so schrecklich in Erinnerung, wie sie vielleicht hätte sein
können. Dann sind wir im Jahre 1939 ausgewandert. Mein Vater war schon
lange leidend und so ist er, - dies war damals ein Novum - nach Venedig
geflogen und dann per Schiff weiter. Wieder eine Anekdote: Mein Bruder,
wir hatten da noch einen Arztkollegen, der auch schon nicht mehr
praktizieren durfte, als Begleiter mitgegeben. Als mein Vater in Venedig
und dann in Triest landete, da schob er vor sich hin den begleitenden
Arzt und sagte zu meinem Bruder: Jetzt wollen wir erstmals den Kollegen
auf die Füße stellen. Der Arzt hatte nämlich gelitten unter der
Flugkrankheit, wo hingegen mein Vater ganz fit war.
Chaim FRANK:
Und Sie haben ja dann wenig später auch diese Schiffsreise
von Triest aus gemacht, in Richtung Haifa. Können Sie etwas über Ihre
erste Zeit im damaligen Palästina erzählen? Es war ja damals noch nicht
der Staat Israel, sondern das Mandat. Und wissen Sie aus dieser Zeit
auch noch ein paar Anekdoten?
Rabbiner BIBERFELD:
Natürlich die zentrale Gestalt war der High-Commissioner
und daneben gab es den großen Rabbiner Kook. Es war diese Zeit, wo sehr
viele sogenannte 'illegale' Einwanderer ins Land kamen. Der
High-Commissioner hatte in Talpijot, einem vornehmen Wohnviertel
in Jerusalem, sein Haus. Und dahin kam einmal der greise Rabbiner Kook,
eine schone patriarchale Erscheinung und sagte: 'ich muß jetzt zum
High-Commissioner weil ein illegaler Einwanderer muß jetzt legalisiert
werden.' Da antwortete der wachhabende Soldat: 'That is against
the law, das ist gegen das Gesetz, ich kann Sie jetzt nicht
hereinlassen.' Da entgegnete der Rabbi: 'Hier existiert nur das
'law' von der Tora und ich bin ein Rabbiner', und hat ihn einfach
beiseite geschoben und ist zum High-Commissioner gegangen. Das war
natürlich auch wieder so eine Anekdote. Da war noch ein frommer
Rabbiner, der hieß Duschinski, und der High-Commissioner hatte eine
Rezeption gemacht für eine schwedische Prinzessin. Da hat er auch den
Rabbiner Duschinski, der gehörte dem rechten orthodoxen Flügel an,
eingeladen. Und als Rabbiner Duschinski kam, hat er gesehen, daß man ihn
ausgerechnet neben der schwedischen Prinzessin plaziert hatte. Und das
ist für einen orthodoxen Rabbiner unmöglich, denn eine 'Tischdame' kann
dieser nicht gebrauchen. Und da hatte er zu dem Sekretär gesagt: es ist
ja noch sehr früh, ich werde einfach verschwinden und sagen sie einfach
dem High-Commissioner, ich konnte nicht kommen. Nein, entgegnete dieser,
der High-Commissioner besteht darauf, daß der Herr Oberrabbiner dabei
ist. Und so hatte man ihn dann anders plaziert. Er sitze dann also neben
Ben-Gurion. Als man zu Tische bat, servierte man Geflügel und das war
natürlich nicht koscher. Duschinski hatte nur Obst gegessen und
Ben-Gurion - aus Takt - hat ebenfalls nur Obst gegessen. Und später,
immer wenn er einen Vertreter von der Agudat traf, sagte er stets: Die
Agudat ist mir eine Portion Geflügel schuldig. Das Ende war, daß die
Prinzessin ein Accident hatte und sie konnte zu diesen Empfang nicht
kommen. Als man sich verabschiedete, sagte der High-Commissioner zu
Rabbiner Duschinski: Sie haben sich doch etwa nicht um diesen Accident
im Himmel bemühen müssen?! Wir hatten Sie doch sowieso wo anders
hingesetzt. Wozu war also dieser Unfall notwendig?
Chaim FRANK:
Wenn man als Einwanderer in Palästina ankam, so mußte man
also in Haifa durch die Einwanderungsbehörde durchgehen.
Rabbiner BIBERFELD:
Ja, mein Vater war damals schon über 70 und so hatte man
es ihm damals etwas leichter gemacht. Dann ist man mit einem Spezial-
Auto nach Jerusalem gefahren. Das heißt wir waren zunächst ein bis zwei
Wochen in Haifa und dann fuhren wir erst nach Jerusalem. Als wir ankamen
- wer einmal in Haifa war, der kennt gewiß den Carmel-Berg, auf dem sehr
viel Laternen gebrannt hatten - da habe ich in naiver weise gesagt
'offenbar hatte man zuliebe unserer Ankunft alle illuminiert. Aber es
war nicht so, sondern es war die ganz normale Straßenbeleuchtung.
Chaim FRANK:
Und dann sind sie bald nach Jerusalem gefahren.
Rabbiner BIBERFELD:
Ja, bald nach unserer Ankunft sind wir nach Jerusalem
übersiedelt.
Chaim FRANK:
Und sie selber haben, so glaube ich, auch in Israel
geheiratet.
Rabbiner BIBERFELD:
Das ist richtig, ich habe in Jerusalem geheiratet.
Chaim FRANK:
Wie war das so Ende der 30er und 40er Jahre in Israel? Hat
man da auch mitbekommen, was dort in Deutschland passierte, das Morden
der Juden, der Holocaust überhaupt?
Rabbiner BIBERFELD:
Ja, ich erinnere mich. Ich hab damals in einer Jeschiva
gelernt und mein Schulweg morgens war ziemlich weit. Da hingen immer an
den Kiosken die Tageszeitungen und da habe ich immer jeden Morgen mit
Erschütterung gelesen, was sich da abspielte.
Chaim FRANK:
Ich besitze eine Dokumentation von einem Rabbiner
Breslauer, aus dem Jahre 1943, aufgelegt in Jerusalem. Er hat in seiner
Dokumentation geschrieben, ganz dicke, über die schreckliche Taten, die
in Dachau, Auschwitz und Mauthausen usw. passierten.
Rabbiner BIBERFELD:
In verschiedenen Kreisen hatte man sogar verdächtigt, daß
die Zionisten lange Zeit die Wahrheit vorenthalten haben, weil sie
sagen, das schädigt die Appeals für die zionistischen Forscher. Wie weit
das wahr ist, weiß ich nicht. Nachher hat sich aber die Wahrheit doch
durchgesetzt.
Chaim FRANK:
Es war bestimmt nicht leicht das Leben in den 30erJahren
in Palästina. Denn der Groß-Mufti von Jerusalem war doch einerseits ein
persönlicher Freund von Hitler und andrerseits gab es doch große
Auseinandersetzungen zwischen der arabischen und der jüdischen
Bevölkerung, was ja teilweise von diesem Groß-Mufti gefördert wurden.
Rabbiner BIBERFELD:
Nun ja, sehr viel ist mir nicht in Erinnerung. Aber leider
muß ich zum Lobe auch der (bösen) Engländer sagen, solange der Krieg
angängig war, hat man die Araber streng in Schach gehalten. Sie hatten
sich nicht viele Schießereien erlaubt. Danach wurde es dann kritischer.
Titelblatt von haNe'eman |
Chaim FRANK:
War in Jerusalem die Klagemauer damals zugänglich für
Juden?
Rabbiner BIBERFELD:
Ja das war sie. Aber da fällt mir eine Geschichte dazu
ein: Rabbiner Sonnenfeld, der war das Oberhaupt der extremen Orthodoxen,
und da traf er einmal die Führer der Misrachi-Organisation, das waren
doch die aus dem mehr linken Flügel, und die sagten: Rabbi segnet uns.
Da entgegnete er: Dieses Jahr haben sie nur eine Wand gehabt, nächstes
Jahr sollen sie schon 4 Wände haben - das ist, daß der Tempel steht. Da
fragten die Führer des Misrachi: Und wer wird der Hohe Priester sein im
Tempel? Da sagte Rabbi Sonnenfeld: 'Der Rabbiner von Jaffa!' Das war
Rabbi Kook. Da antworteten sie erstaunt: 'Ja, aber das ist doch Ihr
Gegner, und Sie wollen, daß Rabbi Kook Hoher Priester wird? Ja, Hoher
Priester, weil da ist kein besserer als er; - nur Oberrabbiner soll er
nicht werden!
Natürlich, auch das bleibt mir in Erinnerung: Es gab
damals einen Minister, Dov Josef, der hatte einiges eingeführt. Die
Auslagen der Obstgeschäfte waren dürftig und es gab fast nichts. Dann
gab es sehr wenig zu essen. Darum sagte man auch einen Witz über Dov
Josef. Es gab damals 'leben', das war ein sehr armes Milcherzeugnis, wo
wenig drinnen war, und dann gab es 'Lebenija', das war mehr fett. Und
einmal hatte Dov Josef das Lebenija gegessen, und da sagt er: Das
schmeckt ja ganz gut, das muß man verbieten! Das spiegelt ungefähr so
den Zeitgeist von damals wider.
Chaim FRANK:
Wann sind Sie zurückgekommen nach Deutschland?
Rabbiner BIBERFELD:
Von 1939 bis 1982 lebte ich in Israel. |
Chaim FRANK:
Das heißt Ihr Sohn Michael, der jetzt in London lebt und
gleichfalls Rabbiner ist, wurde in Israel geboren.
Rabbiner BIBERFELD:
Ja, das ist richtig. Michael Biberfeld ist in Tel Aviv
geboren.
Chaim FRANK:
1982 sind sie nach München gekommen und waren lange Zeit,
10 Jahre, Oberrabbiner in der IKG-München, die Sie religiös und
erfolgreich geleitet haben. Sie waren damals sehr aktiv und haben auch
viel in der Gemeindezeitung geschrieben, Schiurim gehalten und vieles
mehr.
Rabbiner BIBERFELD:
Der Pegasus war damals noch fliegend, aber jetzt fliegt er
nicht mehr so ganz ...
Chaim FRANK:
Haben Sie auch vor eine Biographie zu schreiben. Sie
hatten doch ein sehr bewegtes Leben gehabt, Sie haben viele Menschen
getroffen in Ihrem Leben und so wäre es doch interessant eine Biographie
von Ihnen zu lesen.
Rabbiner BIBERFELD:
Ja, das stimmt, ich muß mich mal darin ankurbeln. Sie
haben mir darin einen 'Schokel' gegeben und ich werde mich bemühen.
Chaim FRANK:
Was hat Sie nach München verschlagen und wieso sind Sie
nicht wider nach Berlin gegangen?
Rabbiner BIBERFELD:
Ich hatte einen Vorgänger, Rabbiner Grünewald, der hat
erstmals resigniert in der sicheren Erwartung man wird ihn bitten zu
verlängern. Das tat die Gemeinde aber nicht und so blieb sie plötzlich
ohne Rabbiner. Und ich vermute, daß damals der Dr. Lamm - ein
hochgebildeter Mensch - gesagt hat, den alten Rabbiner Biberfeld werden
wir schnell mal als Lückenbüßer anstellen und den können wir dann wieder
bald loswerden. Das gelang ihnen aber nicht, nachdem ich hier war und
auch einige Anhänger gewonnen hatte.
Chaim FRANK:
Sie hatten sehr viele Anhänger und viele denken noch gerne
an die Zeit zurück, wo Sie Oberrabbiner dieser Gemeinde waren. Momentan
ist ja eine etwas gespannte Situation in Puncto Rabbiner.
Rabbiner BIBERFELD:
Dies ist ja leider bedauerlich.
Chaim FRANK:
Meine Empfindung ist, daß man allgemein einem Rabbiner
heute nicht mehr diese Koved abzollt, wie man sie ihm vielleicht
früher gegeben hat, zumindest vor dem Krieg. Empfinden Sie dies auch so?
Rabbiner BIBERFELD:
Ja, das ist ziemlich schon seit einiger Zeit so. Schuld
daran ist die sogenannte Aufklärung mit der man in einem Rabbiner nicht
mehr die zentrale Persönlichkeit gesehen hat. Das ist zu bedauern, aber
es ist 'a matter of facts'.
Chaim FRANK:
In Osteuropa, zum Beispiel in Bukarest wo Dr. Moses Rosen
Oberrabbiner ist, und der ist auch schon über 70 Jahre alt, habe ich es
erlebt, daß seine Kojach, und seine Wortkraft weit über viele
Grenzen hinwegreicht, sogar bis hinüber ins Bessarabische und
Bukowinische Gebiet. Überall wird er gebührlich verehrt.
Kann es sein, daß aufgrund des Krieges und Auschwitz - zumal ja der größte
Teil der Ostjuden vom Unglück betroffen waren -, zwischen Ost und West
so große Diskrepanzen existieren, vor allem im Bezug auf einer
religiösen Person, wie die eines Rabbiners, sie galt in Osteuropa als
Respektsperson, die er eigentlich auch heute ist und zu sein hat?
Cover zum Buch
(c) Dokumentations-Archiv
Chaim Frank |
Rabbiner BIBERFELD:
Die Juden in Deutschland hatten schon auch ihren
Rabbinern die Ehre gegeben, wenn ich bedenke z.B. einem Rabbiner Samson
Raphael Hirsch, einem Bamberger oder Biberfeld. Nein, nein, man hatte
hier auch einem Rabbiner schon die nötige Koved, d.h. Ehrerbietung
erwiesen.
Der Chassidismus ist im Osten entstanden weil die Lage
sehr trostlos war. Nach den Verfolgungen, nicht lange nach Chmjelnicki,
haben die Zaddikim, die chassidischen Wunderrabbis, dem jüdischen Volk
wieder Hoffnung und Lebensmut zurückgegeben. Dadurch entstand aber auch
eine sehr tragische Diskrepanz. Der Rabbiner, der sorgen muß für die
Durchführung des Gesetzes, die rituellen Speisegesetzen, die
Ehegesetzen, die alle zum Teil sehr schwer sind. Der Rabbiner wurde
dadurch ein bißchen in den Schatten gerückt er mußte für den Kaschrut
sorgen, daß die Schächtereien in Ordnung sind. Der Chassidismus hatte
sich hingegen mehr der mystischen Lehre, der Kabbala, verschrieben.
Jetzt entstand die Tatsache, daß die Einwanderer die nach Deutschland,
aus Polen und Rußland kamen, innerlich mehr für die mystischen Rabbis
begeistert waren, als für den trockenen Rabbiner der für die
Durchführung des Gesetzes sorgen mußte. Das war eben in einem gewissen
Sinne tragisch. |
Chaim FRANK:
Kvod ha-Rav, ich danke Ihnen für das Interview.
(Das Gespräch führte Chaim Frank vom Dokumentations-Archiv
für die Jüdische Kulturbühne, am 17. Juli 1992)
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