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DER TAGESSPIEGEL

Die Quellen des Hasses

Religionen und Ideologien spielen mit, wenn Menschen sich gegen Menschen wenden. Die Wiesenthal-Konferenz in Wien versuchte, die Motivationen von Krieg und Gewalt zu ergründen

VON CLEMENS WERGIN

Es sollte ein Geschenk zum 90. Geburtstag sein für den großen alten Kämpfer gegen das Vergessen. Doch in seinem Alter muß man schon einmal auf den Arzt hören und bei einer Erkältung zu Hause bleiben. Simon Wiesenthal war trotzdem im Geiste präsent, schließlich war das Tagungsthema "Über die Quellen des Hasses" seine Idee. Wien ist dafür auch nicht die schlechteste Adresse, ziert doch das "Haus zum großen Jordan" am Judenplatz als Erinnerung an die Judenpogrome noch heute die lateinische Inschrift: "Um die furchtbaren Verbrechen der hebräischen Hunde zu sühnen, tobte 1421 der Haß durch die Stadt."

Über hundert Intellektuelle aus aller Welt waren für zweieinhalb Tage in die Hofburg gekommen, um den Ursachen dieses Gefühls auf den Grund zu gehen, das oft als anthropologische Konstante gesehen wird, nur durch aufgeklärte Rationalität zu beherrschen. Der österreichische Bundespräsident Thomas Klestil ging daher in seiner Eröffnungsrede auf den ersten biblischen Mord ein: als Kain seinen Bruder Abel erschlug, "da überlief es ihn heiß", weiß die Heilige Schrift und hatte damit fast schon mehr über den psychischen Gehalt gesagt, als den vom Institut für die Wissenschaft des Menschen Geladenen in den nächsten Tagen einfallen sollte.

Haß kann aus Angst oder Unterlegenheitsgefühlen entstehen, daß er aber auch Lustgewinn bringen kann, wurde nicht gesehen. Man befaßte sich lieber mit dem geistigen Überbau, den Ideologien und Religionen. Der israelische Politikwissenschaftler Shlomo Avineri wies darauf hin, daß auch der biblische Brudermord im Kern schon einen Religionskonflikt barg. Immerhin hatte Kain Abel aus Wut darüber erschlagen, daß Gott das Opfer des Bruders vorzog.

Dies war der Paukenschlag, mit dem sich der Monotheismus in die Geschichte einführte und ein bis dahin unbekanntes Maß an Eiferertum an den Tag legte. Wie bei fast allen Fortschritten der Menschheitsgeschichte ist das Ergebnis ambivalent: Zwar erhoben die monotheistischen Religionen den Menschen, indem sie ihn mit eigener Würde ausstatteten und zu einem dem Bilde Gottes nachgeformten Wesen machten. Gleichzeitig fiel jeder Ungläubige damit umso tiefer: Nicht nur, daß er an diesem Bund unbeteiligt blieb, er galt zudem noch als ewig Verdammter.

Während Polytheisten synkretistisch dachten und für sie attraktive Gottheiten einfach in das eigene Pantheon eingemeindeten, kam mit dem Judentum, dem Christentum und dem Islam die monotheistische Unerbittlichkeit in die Welt. Wie der ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde zeigte, brauchte der Katholizismus erst den Schock des Holocaust, bis sich die Kardinäle auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil darauf einigten, daß die Menschenrechte für alle, auch für die Ungläubigen, gelten. Religionen geht es schließlich um ihren Alleinerkenntnisanspruch auf die absolute Wahrheit.

Diese fixe Idee ging auch nach der allmählichen Überwindung religiöser Welterklärungsmodelle in der Aufklärung nicht verloren. Wahrheit wurde Erkenntnisziel wissenschaftlicher Forschung, alles bestimmender Fluchtpunkt. Über Religion sei man sich, so der Islamkundler Bernard Lewis aus Princeton, unter "post-christlichen, post-jüdischen und post-muslimischen Agnostikern" schnell einig. Die Bedingungen zu untersuchen, unter denen Wissenschaft Haß befördert, war jedoch eine ungleich höhere Herausforderung.

Der amerikanische Sozialwissenschaftler Glenn Loury zeigte anhand der Studie "The Bell Curve" von Richard Herrstein und Charles Murray, die einen Zusammenhang zwischen Sozialstaatsprogrammen und geringerer durchschnittlicher Intelligenz der farbigen Bevölkerung in Amerika nahezulegen scheint, daß Wissenschaft sich immer in einem gesellschaftlichen Kontext bewegt. Forscher müßten sich bewußt sein, daß "Rasse, Geschlecht und sexuelle Orientierung Themen sind, die der Gefahr der Politisierung ausgesetzt sind".

Nicht immer ist das Problem aber eines der Instrumentalisierung durch die Welt außerhalb des Elfenbeinturms. Die amerikanische Wissenschaftshistorikerin Londa Schiebinger zeigte, daß Forschung nicht erst seit den Rassentheorien selber negative Ergebnisse produziert: Um Frauen aus den Wirtschaftsprozessen herauszulösen und ihnen einen Platz am Herd zuzuweisen, erfanden aufgeklärte Wissenschaftler die Mär von der Andersartigkeit der Frau aufgrund ihres besonderen Skelettes - ein geringerer Kopfumfang und ein breiteres Becken reichten den Herren Aufklärern, um wissenschaftlich nachzuweisen, daß Frauen mit der Kinderfürsorge besser aufgehoben sind. Wissenschaftliche Arbeit vertrage sich nun mal nicht mit Weiblichkeit.

Zwar führte dies zunächst nur zum Ausschluß von Frauen, nicht zum Haß, verdeutlicht aber einen Aspekt schlechter Wissenschaft: "Bad Science" kann einmal darin bestehen, daß Forscher zwar methodisch korrekte Ergebnisse erzielen, Ableitungen daraus aber an weitverbreitete Vorurteile anknüpfen, die dadurch die Aura wissenschaftlicher Evidenz erhalten. Eine andere Kategorie schlechter Wissenschaft sind Forschungen an KZ-Häftlingen, die auf grausame Weise als Versuchskaninchen mißbraucht wurden. Dennoch gingen Erkenntnisse wie die Unbrauchbarkeit der Temperaturmethode zur Schwangerschaftsverhütung in die Forschung ein.

Natürlich wurde auf der Tagung auch immer wieder auf Rassentheorien und Eugenik verwiesen.

Unklar blieb aber, ob diese offensichtlichen Abweichungen vom aufklärerischen Ethos nun als Instrumentalisierung der Wissenschaft durch Politik anzusehen sind, oder einfach als Pseudowissenschaft, oder ob hierin ein in dem System Wissenschaft angelegtes Problem offenbar wird. Es blieb Roman Herzog in seiner Festrede am Sonnabend vorbehalten, auf die deutschen Wissenschaftler hinzuweisen, die sich den Nazis geradezu angedient hatten, um deren "Theoriedefizit" aufzubessern. Selbst keineswegs immer ideologisch im Nazismus verankert, erlagen sie der Versuchung, die Weltläufe mitbestimmen zu wollen, oder es ging ihnen schlichtweg um einen lukrativen Universitätsposten. Dennoch blieb die Frage, ob im wissenschaftlichen Denken nicht Verführungspotentiale grundsätzlich angelegt sind.

Während heute die Tendenz zu immer ausdifferenzierteren Theoriemodellen vorherrscht, um in immer feineren Detailwendungen Realität nachzuzeichnen, war die Situation im vorigen Jahrhundert anders: Man neigte zu gröbsten Verallgemeinerungen, immer auf der Suche nach der einen Weltformel, die alle Phänomene erklären sollte. Daß solch ein Zeitgeist irgendwann auf Oberbegriffe wie Rasse und Blut kommen würde, lag auf der Hand und war umso verheerender, da die Naturwissenschaften in Deutschland hohes Ansehen genossen. Daß Forscher aber überhaupt zu solchen Ergebnissen kommen konnten, zeigt nicht nur ein ethisch-gesellschaftliches, sondern auch ein Versagen nach den Kategorien der Zunft selbst. Der Biologismus hätte eigentlich auch nach streng wissenschaftlichen Kriterien als Skandal erkannt werden müssen.

Auf einer Tagung, in der viel über die Externalisierung des Bösen und die Projektion auf den vermeintlich Anderen gesprochen wurde, mag scheinen, daß auch die Wissenschaft ihrem Versagen an den eigenen Maßstäben nicht so recht ins Auge blicken wollte. Auch war ein deutliches Vorherrschen geistesgeschichtlicher Ansätze zu vermerken: Herausgearbeitet wurden die Ambivalenzen von Ideologien. Manchmal schürten sie Haß, manchmal wurden sie nur herangezogen, um niedere Bedürfnisse zu überhöhen, ihnen eine religiöse, wissenschaftliche oder andere Begründung überzustülpen.

Das Problem hat der Wiener Chansonnier Georg Kreisler auf den Punkt gebracht, als er über den nationalsozialistischen Eifer seiner Mitbürger bemerkte: "Für die Wiener war es ja gar nicht so interessant, ein Teil Deutschlands zu werden. Was sie interessiert hat, war: sie wollten die Wohnung von Herrn Kohn haben."

Tagesspiegel

haGalil onLine - Montag 07-12-98

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