SZ vom 7.1.1998, Feuilleton
Berlin, wie es
keiner kennt
Rafael Seligmann sammelt Stilblüten und drischt Phrasen: "Der Musterjude"
Moische Bernstein, 40, unverheiratet, abgebrochenes Studium,
Betreiber des elterlichen Jeansladens, Monatsgehalt 2 500 Mark: Ein Loser, wie
er im Buch steht. Das Buch heißt "Der Musterjude" und erzählt vom kometenhaften
Aufstieg seines traurigen Helden in die Höhen der deutschen Medienwelt.
Der Aufstieg beginnt mit einem dümmlich-provokanten Essay zum Thema "Hitler",
den Bernstein für ein Nachrichtenmagazin hingerotzt hat. Weil es ein Jude ist,
der den neurechten Mist geschrieben hat, wird der Artikel zum nationalen
Medienereignis und sein Autor ein Star.
Vom Kolumnisten steigt Moische rasch auf zum Chefredakteur eines
Boulevardblatts. Auch privat hat er endlich Erfolg: Statt mit Schicksen oder
einer fetten arbeitslosen Russin teilt er sein Bett jetzt mit einer
wunderschönen jüdischen Millionenerbin. Doch der Erfolg steigt Bernstein zu
Kopf. So rasch wie sein Aufstieg verläuft auch der Crash, den er
selbstzerstörerisch selbst inszeniert. Zum Schluß ist Bernstein wieder da, wo er
angefangen hat: Im Jeansladen und in den Klauen seiner jiddischen Mamme.
Soweit die Story. Allzu plausibel ist sie nicht. Aber das hat der
Autor wohl auch nicht im Sinn gehabt. Seligmann hat eine Groteske schreiben
wollen über jüdische Neurosen, deutschen Philosemitismus und die Medienbranche.
Und Grotesken sind nun einmal keine realistische Literatur. Dem Autor deshalb
vorzuwerfen, daß seine - jüdischen und nichtjüdischen - Figuren Karikaturen
sind, daß es in keiner Redaktion der Welt so zugeht, wie er sich das ausgedacht
hat, daß der Plot sich nicht entwickelt, sondern nachvollziehbar hüpft - das
wäre unfair: Überzeichnung gehört zum Genre.
Vorwerfen aber kann man dem Autor etwas anderes: Daß er schlecht
schreibt. Das Buch wimmelt nur so von Phrasen. Moische raucht nicht einfach,
nein er "sog den Rauch tief in seine Lungen". Eine Kellnerin, mit der er
flirtet, hat, wie könnt' es anders sein, den "Schalk in den Augen" und bewegt
"sich mit kräftigen, doch geschmeidigen Schritten". Seine Verlobte fährt nicht
bloß Auto, sondern "jagte ihren himmelblauen Jaguar über die Avus". Sätze, wie
aus der Bäckerblume, oder um Seligmann selbst zu zitieren: "Er verzapfte
Banalitäten."
Ähnlich kreativ ist Seligmann, wenn es um das Lokalkolorit geht. Ein
Gutteil des Romans spielt in Berlin, einer Stadt, die der Autor offenbar nicht
kennt. Deshalb behilft er sich damit, diverse Kneipen, Restaurants und Bars zu
nennen, durch die sein Held zieht - in der Manier von Provinzlern, die, aus der
Großstadt heimgekehrt, am Stammtisch damit prahlen, in welch tollen Lokalen sie
gewesen sind.
Apropos prahlen: Viel Raum nehmen die sexuellen Aktivitäten des Helden
ein, der nicht nur über eine für sein Alter ungewöhnliche Potenz verfügt,
sondern auch, scheint's, unwiderstehlich ist. Nun gehören Bettszenen natürlich
zu jedem ordentlichen Unterhaltungsroman. Die Libido des Lesers will
angesprochen werden. Seligmanns Sex-Szenen allerdings kitzeln eher das
Zwerchfell. Siehe diese Cunnilingus-Beschreibung: "Er hielt sich an den weichen
Äpfeln ihres Gesäßes fest ... Er schmeckte die salzige Feuchtigkeit ihres
Geschlechts ... Ihr Lustwürmchen fand wie von selbst seinen Weg zwischen seine
Lippen." Na Mahlzeit!
Die Liste der Seligmannschen Stilblüten ließe sich noch lange
fortsetzen. Doch es ist nicht alleine die Summe dieser einzelnen Peinlichkeiten,
die den "Musterjuden" so miserabel macht. Das Buch ist insgesamt mißglückt.
Hätte der Autor sich wirklich darauf beschränkt, eine Groteske in Sitcom-Manier
zu schreiben, es hätte eine nette Urlaubsstrandlektüre dabei herauskommen
können.
Doch Seligmann hält das Genre nicht durch. Gelegentlich versucht er
sich in Realismus, der stilistisch allerdings eher an Schulaufsätze des Typs
"Mein schönster Ferientag" gemahnt. Dann wieder führt er in Art eines
Schlüsselromans dünn kaschierte Promis wie Michael Wolffsohn, Michel Friedmann
oder Lea Rosh vor. Und zwischendurch fühlt Seligmann sich offenbar zu Höherem
berufen und langweilt uns mit essayähnlichen Ergüssen über Gott und die Welt,
Juden, Israel und die Schoa. (Wobei er gelegentlich seine Wissenslücken
offenbart: Marx wird zum Erfinder beziehungsweise Entwickler des dialektischen
Prinzips, weil Jude. Irrtum, Rafael, es war der Goj Hegel!)
Und immer wieder, wie schon in früheren seligmannschen Büchern kommt
ein verzweifeltes Epigonentum zum Vorschein. Rafael Seligmann eifert ebenso
offenkundig wie vergeblich einem großen Vorbild nach: Philip Roth und dessen "Portnoy's
Complaint". Im Unterschied zu Seligmann jedoch besitzt Roth die Fähigkeit zur
künstlerischen Distanz seinem Alter ego gegenüber, den ironischen Abstand, der
die autobiographischen Elemente, die in seine Bücher einfließen, amüsant machen.
Seligmann aber agiert bloß seine Obsessionen aus. Sein "Musterjude" liest sich
wie der feuchte Traum eines Pubertierenden. Ein Portnoy für Arme.
Rafael Seligman: Der Musterjude. Claassen Verlag, Hildesheim 1997, 360
S., DM 39,80 |