Die außerordentliche Fleißarbeit zweier
Männer hat ein außergewöhnliches Werk hervorgebracht. Die 500 Seiten starke
Dokumentation über den Affaltracher Judenfriedhof wurde jetzt in der
früheren Synagoge des Obersulmer Ortsteils vorgestellt.
Gras ist darüber gewachsen, Erde, Moos und Laub decken Geschichte zu.
Auf dem Affaltracher Judenfriedhof ist Stille eingekehrt. Grabsteine
zerfallen. Wind und Wetter machen Buchstaben nahezu unleserlich. - Diese
Situation findet Gil Hüttenmeister im September 1992 vor. Der Experte für
die Dokumentation jüdischer Friedhöfe arbeitet damals beim Landesdenkmalamt
in Karlsruhe. Mit sieben jungen Erwachsenen der Israelgruppe Aktion
Sühnezeichen-Friedensdienste legt er 305 Grabsteine frei, säubert und
fotografiert sie. Das ist der Auftakt für eine intensive Forschungsarbeit,
die vom Landesdenkmalamt mit einer überdurchschnittlichen Zuwendung bedacht
wird. Die Behörde zahlt für die 60 000 Mark teure Dokumentation 35 000 Mark.
Im Sommer 1993 geht die Arbeit mit Schülern aus Obersulm weiter.
Insgesamt werden 639 Grabsteine freigelegt und und katalogisiert.
Gil Hüttenmeister präsentierte jetzt das Werk, das durch seine mühsame
Arbeit erst möglich gemacht wurde. In der Synagoge stellte er ein Buch vor,
das auf fast 500 Seiten die Geschichte des jüdischen Friedhofes beschreibt,
über Grabinschriften Zusammenhänge herstellt und verschiedene Judenfriedhöfe
im Unterland skizziert. Die eigentliche Recherche und die Schreibarbeit
oblagen Bejamin Nir aus Tel Aviv und dem Obersulmer Lehrer Martin Ritter,
der sich nach dem aktiven Berufsleben ganz dieser Herausforderung stellte.
1994: Benjamin Nir bleibt ein halbes Jahr in Deutschland, um sich
ausschließlich der Übersetzung der hebräischen Schrift auf den Grabsteinen
zu widmen. Viele Abkürzungen, eine fehlerhafte Grammatik und falsche
Schreibweisen auf den steinernen Zeitzeugen machen diese Forschungsarbeit
nicht gerade einfach. Auf einigen Grabplatten fehlen Inschriften ganz. Sie
stammen vermutlich von jenen Menschen, die 1940/41 vom jüdischen Altersheim
Stuttgart ins Eschenauer Schloß umquartiert wurden. Der Tod ersparte elf von
ihnen die Deportation nach Theresienstadt und das Vernichtungslager in
Auschwitz.
Bewegende Geschichten und Bilder sind mit dem Affaltracher Friedhof
verknüpft. Oft stundenlang sitzt Benjamin Nir vor den Grabsteinen, um noch
mehr Informationen aus den verwitterten Inschriften herauszuarbeiten.
Martin Ritter ist im Anschluß daran derjenige, der vier Jahre lang den
Informationen den erforderlichen redaktionellen Schliff verleiht.
Lob von allen Seiten gab's in der Synagoge für die Autoren, aber auch für
den Obersulmer Bürgermeister Harry Murso, bei dem man offene Türen
eingerannt habe. Landrat Klaus Czernuska bezeichnete die Dokumentation als
"Wegweiser und Einstiegshilfe zur sichtbaren Geschichte", die ihm wertvoller
als große Denkmäler sei. Die jüdischen Friedhöfe seien die ältesten
Zeugnisse des Lebens und der Kultur der Juden in dieser Gegend. "Namen,
Zeichen und Formen der Grabmale spiegeln Jahrhunderte wider."
Sabine Leutheußer-Holz vom Landesdenkmalamt unterstrich die Bedeutung
solcher Arbeiten: "Unbekannte Denkmale, die keiner kennt, sind wertlos." In
Baden-Württemberg sind 144 jüdische Friedhöfe mit 25 000 Grabstellen erfaßt.
Der Affaltracher Judenfriedhof zählt mit seinen über 600 Grabstellen zu den
großen, daher auch die hohe Landesförderung.
Die Dokumentation mit einer ersten Auflage von 50 Exemplaren ist bei dem
Vorsitzenden des Freundeskreises "Ehemalige Synagoge Affaltrach", Pfarrer
Helmut Krause, unter Telefon 07134/3199 zu bestellen. Das Werk mit einem
Produktionspreis von 1000 Mark pro Exemplar kann aufgrund der öffentlichen
Förderung für 540 Mark an Behörden beziehungsweise für 350 Mark an private
Interessenten abgegeben werden. Bei Bedarf will der Verein 50 weitere,
bereits gedruckte Exemplare binden lassen.