Heute
sieht das Bild anders aus. Hamburgs einziges Geschäft für koschere
Lebensmittel hat weder Schaufenster noch große Verkaufsräume, und kein
Ladenschild lockt Kunden. Shlomo Almagor betreibt sein kleines
Unternehmen im vierten Stock eines Bürohauses in der Schäferkampsallee.
Und man muß schon von seiner Existenz wissen, um es auch zu finden.
Als Almagor von Tel Aviv nach Deutschland kam und
1991 in Hamburg ein Im- und Exportgeschäft gründete, wollte er auch hier
koscher leben. Und stellte schnell fest, daß es viele dafür nötige
Lebensmittel nicht einfach so zu kaufen gab. Frisches Fleisch und
Geflügelprodukte ließ er sich aus Frankfurt oder München kommen,
bestimmte Spezialitäten mußten eingeführt werden - aus Belgien und
Holland, aus Paris und natürlich Israel. "Da hab ich gedacht, wenn es
für mich eine Lösung gibt, kann das auch für andere Leute gelten. Ich
habe eigentlich angefangen mit Autoteilen, aber wenn jemand im Im- und
Exportgeschäft ist, sind die Regeln eigentlich gleich, nur die Produkte
sind anders. So bin ich zu den Lebensmitteln gekommen. Unser Laden ist
1994 eröffnet worden."
Grundregel koscherer Ernährung ist die strikte
Trennung milchiger Lebensmittel bzw. Zutaten von fleischigen. Das kann
man in der eigenen Küche durchaus organisieren. Problematischer wird
aber der Einkauf: in vielen Produkten sind tierische Bestandteile
versteckt enthalten, die noch dazu nicht aus koscherer Tierhaltung und
Schlachtung stammen - ein Tabu für toratreue Juden.
Almagors
Geschäftsidee fiel in eine günstige Zeit, denn zu Beginn der neunziger
Jahre fing Hamburgs jüdische Gemeinde wieder zu wachsen an. "Es hing
natürlich auch von der Nachfrage ab. Natürlich ist es nicht wie vor dem
Krieg, aber die Leute haben jetzt die Möglichkeit, überhaupt wieder
koschere Lebensmittel zu bekommen. Unser kleines Lager ist der erste
koschere Laden seit Ende des Krieges - das gab es vorher nicht."
Anfangs war der Verkauf koscherer Lebensmittel und
israelischer Spezialitäten mehr ein Anhängsel von Almagors übrigen
Unternehmungen. Neben dem Im- und Export betreibt er nämlich auch ein
auf Israel spezialisiertes Reisebüro. Und wer später Wein oder
Delikatessen aus dem Urlaubsland suchte, fand sie wiederum bei Almagor.
Almagor schaltet keine Anzeigen, und sein Geschäft
tritt auch sonst nicht öffentlich in Erscheinung. "Klar, es gab zur
Eröffnung einen Zeitungsartikel", erzählt der Inhaber, "und es stand im
Rundbrief der jüdischen Gemeinde, aber eigentlich ist es Mundpropaganda.
Oder die Leute rufen bei der jüdischen Gemeinde an und erfahren so von
uns."
Seine Kunden nehmen oft lange Anfahrtswege in Kauf:
das Einzugsgebiet reicht von Flensburg und Kiel bis Bremen und Hannover.
Die nächsten Läden für koschere Lebensmittel finden sich erst wieder in
Kopenhagen, Frankfurt oder Berlin. Doch Almagor hat nicht nur jüdische
Kunden: "Wir liefern auch an die christliche Gemeinde, die brauchen zu
Ostern Matze und Wein, und das beziehen sie von uns. Koschere
Lebensmittel sind nicht nur für Juden; wir haben auch Moslems, die bei
uns kaufen."
Ein kleines Zimmer neben Almagors Büro ist Lager und
Verkaufsraum zugleich. Zwei Kühltruhen summen, auf einem Holzregal sind
Dosen und Gläser aufgebaut, stehen Packungen und Flaschen. Schon der
erste Blick verrät: hier gibt es eher ausgefallenere Dinge, und das auch
nicht in großen Mengen.
"Ich habe bestimmte Ware immer da - Wade, Schulter,
Gulasch, diverse Hähnchenprodukte, Ente. Und wenn die Leute etwas
besonderes möchten, Lammkotelett oder Roastbeef, dann können wir es
besorgen. Wein ist nicht selbstverständlich koscher, aber es gibt eben
auch koscheren Wein und Sekt, und da herrscht große Nachfrage. Sonst
führen wir eher Spezialitäten - israelische Produkte wie Salzgurken und
Oliven; wir haben gefillte Fisch und natürlich Matze, Kneidlach und
Latkes, das sind so Kartoffelpuffer."
Almagor ist sich eines Problems wohl bewußt:
"Koscher ist leider nicht billig. Man muß immer den Transport bezahlen,
und es sind oft nur kleine Mengen, die man umsetzen kann. Und das
Rabbinat muß alles kontrollieren, das kostet auch etwas Geld. So kommt
alles zusammen. Leider ist das so - wir sind hier nicht in Israel oder
New York; da hat man alles billiger..."
Doch sein potentieller Kundenkreis wird größer. "Im
Moment hat die jüdische Gemeinde in Hamburg mehr als 3.000 Mitglieder.
Bis 91 oder 92 waren es nur ungefähr 800, aber durch die russische
Einwanderung ist sie gewachsen. Nun, die Russen leben nicht streng
koscher, sie kaufen vor Pessach Matze und Wein, aber sonst das ganze
Jahr über nichts. Wie die Familien tatsächlich leben und was sie zuhause
essen, weiß ich natürlich nicht. Wir haben nicht alle Produkte; man kann
auch im Supermarkt andere Waren finden - man muß nur wissen, welche. Es
gibt Listen vom Rabbinat, welche Dinge man kaufen kann."
Shlomo Almagor rechnet mit einer nur langsamen
Entwicklung des Umsatzes. "Man sagt, diese Generation der Einwanderer
ist nicht so wichtig - es ist die Frage, wie die neue Generation erzogen
wird, ob sie koscher leben will. Aber man muß auch verstehen, daß die
Einwanderer in Rußland nicht viel Geld hatten, und sie bekommen auch
hier teilweise nur Sozialhilfe, was schon manchmal nicht reicht, um ganz
normale Produkte zu kaufen. Wenn jemand drei, vier, fünf Kinder zuhause
hat - das ist nicht wie mit Schuhen, die kauft man ein oder zweimal im
Jahr. Lebensmittel braucht man immer, und die teuer einzukaufen, ist
ganz klar ein Luxus. Das erlaubt man sich allenfalls für Feiertage."
In: Die Tageszeitung (Ausgabe
Hamburg) 7.September 1998.
Nachdruck nur mit Genehmigung des Autors.