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Frage: Was können sich
die Juden in Deutschland von der neuen Regierung erwarten, was wird
sich ändern? Friedman: Negative
Entwicklungen gibt es zum einen bei der Diskussion um das
Holocaust-Mahnmal in Berlin, wo sich Kulturbeauftragter Michael
Naumann gegen das Mahnmal ausgesprochen hat. Gerhard Schröder wieder
hat sehr seltsame Dinge zum Thema Zwangsarbeiter gesagt. Er hat sich
zwar mit der Industrie getroffen, um sie zu Aktivitäten motivieren,
aber dann im zweiten Satz gesagt, man müsse die deutsche Industrie
schützen. Vor wem eigentlich?, hab ich mich dann gefragt.
Gleichzeitig hat er gesagt, irgendwann im Jahr 2000 muß dann
wirklich Schluß sein mit Reparationszahlungen. Insgesamt bin ich
nicht optimistisch, daß die Impulse von der neuen Regierung in
dieser Frage sehr viel Tragendes beinhalten werden ...
Frage: ... obwohl rot-grün eine
Gesetzesinitiative zur Einrichtung eines Entschädigungsfonds
einbringen möchte ...
Friedman: Das halte ich für sehr richtig und
wichtig. Der Motor sind hier die Grünen. Das ist ein gutes und
wichtiges Signal, aber die Aussagen der neuen Bundesregierung
insgesamt sind mir zu konfus, um Endgültiges sagen zu können. |
Frage: Und die Chancen für das Mahnmal in dieser
Legislaturperiode?
Friedman: Das Mahnmal wird kommen. Trotz Michael
Naumann, und trotz Gerhard Schröder. Weil denn doch die Parteien im
Parlament - die Grünen, die CDU, die FDP und auch die SPD - eher für das
Mahnmal votieren werden.
Frage: Glauben Sie, war die Rede von Martin Walser
ein erstes Indiz für einen Wechsel in der deutschen Gesinnung?
Friedman: Ich halte diese Rede für ein weiteres
Indiz. Wir können seit Jahren in der intellektuellen Szene eine
deutliche Verschiebung beobachten. Rechtskonservative und
rechtsnationale Intellektuelle brechen unverschämter Tabus, versuchen
offensiver in der Gesellschaft zu testen, wie weit sie gehen können,
drücken - diesmal in den Salons und Diskussionforen - deutlicher aus,
was früher höchstens in Kneipen ausgesprochen wurde. Sie tun das zwar in
gepflegterer Sprache, aber gepflegte Sprache allein macht das Giftige
nicht ungefährlicher, sondern teilweise sogar gefährlicher, weil sie
verdeckt, was da in die Gesellschaft gebracht wird, also es gibt sehr
vieles, was beunruhigend ist, sehr beunruhigend.
Frage: Wird da eine intellektuelle Legitimation für
neonationalsozialistisches Gedankengut vorbereitet?
Friedman: Es muß differenziert werden. Ich glaube
nicht, daß man Menschen wie Martin Walser und andere mit den
Nationalsozialisten der Nazibewegung in einem Atemzug nennen darf. Aber
das, was die machen, führt zu einer Salonfähigkeit, zu einer Gewöhnung,
zu einer alltäglichen Darstellung, wo zum Beispiel Neonazis sich
plötzlich auf sogenannte anständige Menschen berufen können, sie
zitieren können. Das ist ausgesprochen gefährlich, und die Hemmschwellen
verändern sich. Die Stichworte, ihre Assoziationen und Reaktionen darauf
verändern sich, und dies gerade im Wechsel der Generationen, wo die
Überlebenden nur noch wenige Jahre leben werden. Das ist eine
Entwicklung, wie ich sie mir eigentlich nicht vorgestellt habe, und die
ich mit großem Argwohn beobachte.
Frage: Jüdisches Leben war im Deutschland der
letzten Jahren aufgeblüht - würden Sie heute einer jüdischen Familie aus
Rußland oder Georgien empfehlen, nach Deutschland zu kommen?
Friedman: Da ich selbst in Deutschland lebe, hielte
ich es für heuchlerisch, jemandem zu sagen: "Komm nicht nach
Deutschland". Jeder Mensch muß das für sich entscheiden. Ich lebe
beispielsweise in Deutschland, und ich gehöre nicht zu denen, die
anderen Eijzes geben, wo sie leben sollen. Ich habe einen Bruder in
Israel mit drei Söhnen. Sie alle würden unser Interview nicht verstehen.
Und das finde ich gut so.
Frage: Ein Phänomen, von dem sowohl Schweizer,
deutsche wie österreichische Firmen und Banken betroffen sind, sind die
Sammelklagen von Überlebenden. Was halten Sie davon?
Friedman: Diese Institution der
Sammelklage hat einen Aufbruch und ein Zerbröckeln der Mauer des
Schweigens seitens der Deutschen, der Österreicher und anderer
Länder Industrie- und Bankenwelt bewirkt. Bis dahin war es eine der
unerträglichsten Situationen, daß diejenigen, die geraubt und
gestohlen haben, und die Menschenleben für Sklavenarbeit ge- und
mißbraucht haben, über 50 Jahre hindurch versucht haben, sich die
Hände in Unschuld zu waschen. Dabei geht es auch nicht um
Wiedergutmachung, sondern um Rechtsansprüche. Es sind die Konten,
die denen gehören, die sie vor Jahrzehnten eingerichtet hatten. Und
es ist die Lebensarbeit gewesen, von denen, die als Sklaven
mißbraucht wurden, und deswegen bin ich froh, daß das Thema endlich
so weit unter Druck geraten ist, daß die Unternehmen wissen, sie
können jedenfalls ihre bisherige Haltung nicht mehr
aufrechterhalten. Frage:
Sie schließen sich demnach der Aussage von Ignaz Bubis, die zuletzt
in der österreichischen Tageszeitung "DER STANDARD" zitiert wurde,
wonach Fagan "mit seiner Methode über Leichen" ginge, nicht an. |
Fotos: Michel Friedman im Gespräch
Foto: Annunziata Schmid-Chiari |
Friedman: So habe ich das nicht gesagt: ich bejahe
das Institut der Sammelklage prinzipiell, wie übrigens auch Ignaz Bubis.
Wovon wir heute reden ist, daß die Anwälte nun nicht ihrerseits Lösungen
zugunsten der Betroffenen im Wege stehen dürfen. Denn das oberste
Prinzip, die wichtigste Priorität ist, daß die Opfer, um die es geht,
die mittlerweile alt und krank sind, endlich zu einer Lösung kommen -
und zwar solange sie noch leben. Und ich verlange und erwarte von den
Anwälten, daß sie ihrerseits auf vieles für sich verzichten, sowohl
ökonomisch wie auch strategisch, um diesen Menschen eine Chance auf
Einigung anzubieten, die den Namen einer Einigung würdig ist.
Frage: Sie wenden sich also dagegen, daß es sich bei
den Sammelklagen und normale anwaltliche Geschäfte handelt?
Friedman: Ich bin selbst Anwalt und habe
Verständnis, daß Anwälte für ihre Arbeit ein Honorar bekommen wollen.
Das ist nicht das Problem. Aber man muß auf dem Teppich bleiben, und man
muß verstehen, daß man es hier nicht mit einem "normalen Rechtsfall" zu
tun hat. Und man darf auch den eigenen Klienten, die sich einigen
Wollen, nicht im Wege stehen, indem man sie falsch berät. Momentan ist
die Strategie dieser Anwälte, allen voran Ed Fagan, kontraproduktiv. Das
ändert aber nichts daran, daß das, was er und seine Kollegen vor Jahren
begonnen haben mit der Sammelklage, ein konstruktives und wertvolles
Moment war, um das Thema zu dynamisieren. Auch die Politisierung in
Amerika, als etwa einige Bundesstaaten einen Boykott von Banken und
Unternehmen in Erwägung gezogen hatten, war sehr hilfreich. Damit wurden
die Unternehmen gezwungen, sich sehr genau zu überlegen, mit welcher
Strategie sie den größeren Schaden haben würden.
Frage: Ihre so vielfältigen Tätigkeiten in der
Öffentlichkeit, sei es als Funktionär bei jüdischen Gemeinden seit
früher Jugend oder bei Fernsehinterviews mit Daniel Goldhagen oder
Steven Spielberg, haben bei mir den Eindruck geweckt, sie hätten mit
Suche nach Identität zu tun. Ist dieser Eindruck richtig?
Friedman: Ich habe eine sehr gefestigte Identität.
Aus dieser Identität heraus bin ich süchtig nach Leben. Und süchtig nach
Leben bedeutet neugierig zu sein, Lernen wollen. Ich kann gar nicht
genug tun und lernen. Und sie werden mich noch in ganz anderen Rollen
und Aufgaben beobachten können. Das ist das Faszinierende am Leben:
zwischen den Welten zu leben.
Anton Legerer, Jr.