Der Rede ist von der ältesten und einzigen in
den USA verlegten deutsch-jüdischen Publikation: die Emigrantenzeitung
Aufbau. 1934 wurde der Aufbau als Vereinsblatt des New Yorker
German-Jewish-Clubs gegründet. Unter der Führung des ehemaligen
Ullstein-Redakteurs Manfred George hatte der Aufbau schon bald eine
Auflage von mehr als 50.000 Exemplaren pro Woche.
Während des Nationalsozialismus war das Blatt
die Stimme der aus Deutschland geflohenen Juden. Die Zeitung war für
viele Flüchtlinge eine konkrete Hilfe und gab so manchen guten Tip, um
sich in der Fremde zurechtzufinden. Vom Sprachunterricht bis hin zur
Wohnungsvermittlung half der Aufbau den Emigranten. Über diese
Dienstleistungen hinaus war die Zeitung das Sprachrohr der deutschen
Exilkultur. Über Stefan Zweig, Oskar Maria Graf, Thomas Mann bis hin zu
Lion Feuchtwanger schrieben alle bekannten, emigrierten deutschen
Schriftsteller für die Zeitschrift.
'Man hat uns nicht geglaubt'
Der Aufbau entwickelte sich zur führenden
Zeitung der deutschen jüdischen Szene. Schon Anfang 1942 berichtete man
über den sich anbahnenden Holocaust. Trotz der Meldungen über
Massendeportationen und Augenzeugenberichten aus den Vernichtungslagern
war die amerikanische Öffentlichkeit nicht willens, mehr europäischen
Juden Asyl zu gewähren. Nach der Niederschlagung des deutschen
Faschismus, und als das Ausmaß der Shoa offenbar wurde, erschienen in
der Zeitung Photos von ausgemergelten KZ-Überlebenden. Die ohnmächtig
anklagende Textzeile zu diesen Bildern: 'Man hat uns nicht geglaubt.' In
der Nachkriegszeit veröffentlichte der Aufbau seitenweise Namenslisten
sowie Suchanzeigen. Dadurch haben Shoa-Überlebende Freunde und Verwandte
wiedergefunden. 'Das war die größte Leistung der Zeitung', sagt Monika
Ziegler, die seit knapp zwanzig Jahren dem kleinen Redaktionsteam
angehört.
'Auch heute bekommen wir noch nach jeder
Ausgabe Anfragen', ergänzt Tekla Szymanski. Die in Berlin geborene
Journalistin ist vor drei Jahren vom israelischen Rundfunk zum Aufbau
gekommen. 'Oft entdecken die Leser in Artikeln verschollene Freunde und
Verwandte wieder. Wir dienen auch nach so langer Zeit immer noch der
Familienzusammenführung', sagt sie.
Auch im 65. Jahr ihres Erscheinens ist die
Zeitung immer noch das Bindeglied für die deutschen Juden, die durch die
Emigration über die ganze Welt verteilt leben. Das Blatt berichtet über
aktuelle Themen aus Deutschland, Israel und den USA. Mit einer Mischung
aus Politik und Kultur informiert und unterhält der Aufbau seine
Abonnenten. Doch die Todesanzeigen in jeder Ausgabe bezeugen, daß dem
Blatt die Leserschaft wegstirbt. Im Herbst 1997 stand der Aufbau kurz
vor dem Aus. Mit dem Hilferuf 'Quo vadis Aufbau', wandte man sich an die
Öffentlichkeit. Zahlreiche Solidaritätsbekundungen aus aller Welt gingen
im Büro am Broadway 2121 ein. Darüber hinaus meldeten sich Sponsoren,
die dem Aufbau finanzielle Unterstützung anboten.
Die Zeitung erhielt eine moderne
Telephonanlage und ein paar Computer. Bis vor einigen Monaten wurden die
Artikel einer Seite noch einzeln geklebt. Erst im Frühjahr 1998 wurde
die Redaktion modernisiert. Die technischen Voraussetzungen für einen
Weiterbestand des Aufbaus sind somit erfüllt. Für Tekla Szymanski ist
eines jedoch schon lange klar: 'Solange noch ein Emigrant lebt, wird der
Aufbau erscheinen', aber: 'Langfristig müssen wir neue Leserschichten
erschließen.' Die Macher sind optimistisch. Das Interesse an der
ältesten deutsch-sprachigen Emigrantenzeitung ist immer noch vorhanden.
Die Zahl der Neu-Abonnenten steigt langsam, aber stetig. Es melden sich
jedes Jahr zahlreiche junge Deutsche, die ein Volontariat bei der
Zeitung machen wollen. 'Bis zum Jahre 2001 ist unsere Praktikantenliste
voll', sagt Monika Ziegler. Mit der Ausbildung der deutschen
Nachwuchs-Journalisten trägt der Aufbau auch zur deutsch-jüdischen
Verständigung bei.
Von jetzt an im Internet
'Wir werden nicht aufhören, der Opfer des
Holocaust zu gedenken und ihr Martyrium zu ehren, aber das Leben geht
weiter, und wir richten den Blick nach vorne', das sei die Aufgabe der
Zeitung, sagt Tekla Szymanski. Der Aufbau will ein Forum für alle sein,
die an einem transatlantischen deutsch-jüdischen Dialog interessiert
sind. 'Denn die Trends, die sich im amerikanischen Judentum entwickeln,
werden auch einen direkten Einfluß auf Deutschland haben', sagt die
Journalistin. 'Der Aufbau hat deshalb heute mehr denn je eine große
Aufgabe.' Von der nächsten Ausgabe an - sie erscheint am 20. November
1998 - ist der Aufbau auch im Internet vertreten. Unter
http://www.aufbau.com sind die aktuelle Nummer und ausgewählte
Beiträge zur Geschichte der Zeitung abzurufen. 'Der Aufbau ist eine
kleine Zeitung', resümiert Tekla Szymanski, 'aber wir haben eine große
Reichweite.'
JIM G. TOBIAS
18.11.98 Medien - SZonNet
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