
''DAIMLER-BENZ IN THE THIRD REICH"
VON NEIL GREGOR ERREGT VERDIENTES INTERESSE
Hitlers ''Drittes
Reich'' bestand nicht nur aus gläubigen Nazis. sondern auch aus
unzähligen Opportunisten aus allen Lebensgebieten. Von Professoren.
Raketenspezialisten und Physikern, bis zu Bankern, Rechtsanwälten,
Richtern und Journalisten, die ihren Namen und ihr Talent dem
herrschenden Regime zur Verfügung stellten. Nicht nur uniformierte
Kräfte des Nazireiches hatten sich übler Kriegsverbrechen schuldig
gemacht, sondern auch viele -- wenn auch keineswegs alle - Zivilisten.
Opposition war selten und auch dann erst, als sich die Niederlage
Hitlers klar abzuzeichnen begann. |
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Daß die deutsche Industrie
eifrig mit geholfen hatte die Kriegsmaschine der Wehrmacht und Luftwaffe
aufzubauen, Waffen statt Privatautos herzustellen, ist sowohl eine
Binsenweisheit als auch eine natürliche Entwicklung von Deutschlands Big
Business auf dem Wege zum Krieg und im Kriege. Dennoch dürften sogar
Kenner der Materie verblüfft sein. aus Neil Gregors soeben erschienener,
wohldokumentierter Studie ''Daimler Benz in the Third Reich" (Yale
University Press, 276S., illustriert), das wahre Ausmaß des
Komplizentums der Besitzer und Direktoren des großen Autokonzerns an den
tödlichen Exzessen des Naziregimes zu erfahren.
Während der Hersteller von
Hitlers Lieblingswagen - des Mercedes Benz - Panzer, Lkws und
Flugzeugmotoren auf laufendem Band für Hitlers Streitkräfte produzierte,
bildete er zugleich eine Transitstelle auf dem Wege in die Todeslager.
''ln Verfolgung ihrer eigenen
Interessen", stellt Gregor in seinem aufsehenerregen den Buch fest,
''haben (deutsche) Firmen aktiv an der Ausbeutung fremder Arbeitskräfte,
KZ-Insassen und jüdischer Sklavenarbeiter an der ''Arisierungs"-Politik
und der Ausbeutung okkupierter Gebiete mitgewirkt. Daimler-Benz stellt
hier keine Ausnahme dar."
Als alliierte Flugzeuge in
Vergeltung der nazistischen Terrorangriffe gegen Großbritannien und
besetzte Teile Europas mit Bombenangriffen auf industrielle Ziele tief
im deutschen Hinterland begannen, wurden beschädigte Betriebe in ab-
gelegene Gebiete oder unterirdische Anlagen verlegt. Der Bedarf an
Sklavenarbeitern wuchs mit der Abwanderung deutscher Arbeitskräfte zum
militärischen Einsatz auf der Ost- und Westfront. Das führte nicht nur
zu einer Interessengemeinschaft zwisehen Daimler-Benz und der SS,
sondern auch zu einigen Interessengegensätzen. Der zum Waffenkonzern
''avancierte" Autohersteller brauchte immer mehr gelernte und ungelernte
Arbeitskräfte um die Produktion zu erhalten und die Profite zu steigern.
Die SS brauchte hingegen immer mehr Kandidaten für die Gaskammern von
Auschwitz und anderer Todeslager, um die vorgeschriebenen Mordquoten zu
erfüllen.
Innerhalb der
Daimler-Benz-Werke hat sich mittlerweile eine nazistische
Rassenhierachie entwickelt. Tausende jüdische Sklavenarbeiter wurden
sogar noch schlechter als die polnischen behandelt, schreibt Gregor ''in
anderen Worten, sobald die Firma Ersatzkräfte ausgebildet hat, war sie
bereit Juden zur Deportation freizugeben - in vollem Bewußtsein dessen,
was das für die betroffenen Juden bedeute. Doch für Daimler-Benz war
lediglich die Sicherstellung voller Produktion wichtig."
Daimler-Benz, wie andere
Waffenschmieden des Dritten Reiches, wurde zu einer Haltestelle vor
Auschwitz. Nur ein paar Juden waren glücklich genug, durch den Einsatz
in der Fabrik der Gaskammer lange genug auszuweichen, um von den
Alliierten gerettet zu werden. was jedoch nicht die Sorge, geschweige
denn Absicht der Daimler-Benz-Direktion war. ''Die Identifizierung mit
der Firma war wichtiger als jene mit dem Leiden menschlicher Wesen",
schreibt Gregor. ''Die Firma konnte bis zum Kriegsende in relativ
gesunder Position nur auf Kosten der Gesundheit und in vielen Fällen
auch des Lebens von tausenden Opfern der Sklavenarbeit überdauern". Eine
''Schindlers Liste" hat es bei Daimler-Benz nie gegeben.
In einem eigenartigen
Kompliment an Daimler-Benz erweckt Gregor den Eindruck, die Besitzer und
Direktoren der Werke wären raffinierter als Hitler, seine Komplizen und
die SS gewesen. Abgesehen von einigen Ausnahmen hatten diese nicht für
die barbarischen Ideale des Dritten Reiches, sondern für die Zukunft
ihrer Firma gekämpft. Als gegen Kriegsende die SS auf eine Erhöhung der
Waffenproduktion drückte, tat man so als ob, war aber in Wirklichkeit um
die Rettung der kostbaren Maschinen für die Produktion von Autos und
Lkws in der Nachkriegszeit bemüht. Denn Kriege finden über kurz oder
lang ihr Ende, doch Business ist Business.
Gregors Buch geht weder auf
die Frage der persönlichen Profite der Direktoren aus der Sklavenarbeit
Tausender ein, noch auf die strafrechtliche Verantwortung der deutschen
Industriellen für das Geschehen in ihren Firmen. Ihr Oberbonze,
Rüstungsminister Albert Speer, wurde als Kriegsverbrecher zu 20 Jahren
Kerker verurteilt.
Das Buch ''Daimler-Benz in
the Third Reich" ist zwar im Ton unpolemisch, aber die vernichtenden
Fakten sprechen für sich. Der Autor, Dozent für europäische Geschichte
an der Southampton University in Großbritannien, genoß Zugang zu
Daimler-Benz-Archiven und schließlich auch zu Dokumenten, die bis zur
Wiedervereinigung Detrtschlands unzugänglich waren. Das Ergebnis ist
zwar äußerst unschmeichelhaft für Daimler-Benz, stellt aber eine
bedeutende Erweiterung der Kenntnisse der Businesspraktiken unter den
Nazis dar.
Gregor demonstriert grafisch
die Bedeutung der Industrie für Hitlers Träume der Eroberung und
Herrschaft Europas. Sein Buch wird neben William L. Shirers ''Aufstieg
und Fall des Dritten Reiches", Primo Levis ''Survival in Auschwitz" und
Arthur D. Morses ''While Six Million Died" zu den wichtigsten Büchern
über jene Geschichtsepoche gehören.
Unmittelbar nach Drucklegung
des Buches wurde die Verschmelzung von Daimler-Benz in Stuttgart mit der
amerikanischen Chrysler Corporation in
Detroit verkündet. Das steigerte zweifellos den Aktualitätswert des
Buches. Dennoch darf kein Mercedes-Fahrer damit rechnen, Gregors Buch
demnächst im Handschuhfach seines Wagen zu finden.
Stern und Hakenkreuz
Daimler-Benz AG: Das Geschichtsspiel -
daimler-benz.de
Neil Gregor: Stern und
Hakenkreuz
Daimler Benz im Dritten Reich.
Propyläen Verlag, Berlin 1997. 450
Seiten. 68 DM.
Georg Vrbovan
Illustrierte Neue Welt
8/9 August/September 1998
Daimler-Benz in the Third Reich

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