"Ich empfinde eine eigenartige
Faszination angesichts von Ruinen, Steinen und der stummen Welt der
Vergangenheit" sagt Ron Havilio irgendwann einmal, im zweiten Kapitel
des Films. Die Bilder wandern dabei über eine Grabplatte. Der dort
begraben liegt, auf dem alten jüdischen Friedhof an den Hängen des
Ölbergs, ist Rabbi David Havilio, ein früher Vorfahre des Filmemachers.
Zwölf Jahre folgte er den Spuren der Vergangenheit
seiner Geburtsstadt
Jerusalem und seiner Familie, sephardisch väterlicherseits,
aschkenasisch die mütterliche Linie. Er durchkämmte Archive,
Bibliotheken, fotografierte, filmte. Entstanden ist aus der schier
unendlichen Fülle des Materials ein sechsstündiges, sehr persönliches
Porträt der Heiligen Stadt. Mit der gelassenen Geste des belesenen
Flaneurs durchquert Havilio die Gassen Jerusalems, läßt seine Kamera
über Jahrhunderte alte Steinmauern gleiten und folgt assoziativ ihrer
Vergangenheit.
Ausgangspunkt der filmischen Reise sind
Fotonegative. Sie zeigen das zugemauerte Jaffator. Damals, in Havilios
Jugend, war Jerusalem eine geteilte Stadt. Seit 1967 ist das Tor wieder
eröffnet, doch noch immer durchziehen unsichtbare Grenzen die Stadt,
trennt das Jaffator das neuerstandene, moderne Jerusalem von der
jahrtausendealten Innenstadt, trennt jüdisches von arabischem Leben. Für
Havilio ist es zentrales Symbol einer vielschichtigen Stadtgeschichte.
Impressionen früherer Jerusalembesucher unterlegt
er mit zeitgenössischen Stichen oder originalen Fotografien, um
unvermittelt überzublenden in Alltagsszenen der Gegenwart. Stets zeigt
sich das Heute mit Vergangenheit erfüllt. Unsichtbare Fäden verknüpfen
die Geschichte der Steine mit den Lebensläufen ihrer Bewohner, deren
Schicksal Havilio am Beispiel seiner Familie nachspürt.
Er folgt ihr bis in die Küche seines eigenen
Hauses, zu seiner Frau und seinen Töchtern. Eine lyrische Ruhe liegt
über den zwanglos, ohne erkennbare Ordnung einander folgenden Ansichten,
die Havilio als Erzähler kommentiert. Unmerklich aber runden sich die
Fragmente zu einem in seinem persönlichen Charakter einzigartigen
Porträt des Jerusalems, von welchem die Steine stumm berichten.
Metro, 21.10., 13.30 (Teil 1) und 17.00 (Teil 2)