Liebe Gemeindemitglieder!
Ein neues Jahr steht vor der Tür, das Jahr 5759 nach
der jüdischen Zeitrechnung. Dies ist immer ein Anlaß für den Präsidenten
seiner Gemeinde die besten Wünsche für das kommende Jahr aus zusprechen.
Und weil ich uns allen, und damit auch Ihnen persönlich, lieber Leser,
liebe Leserin, das Allerbeste für dieses kommende Jahr wünsche, verbinde
ich diesen Wunsch mit einem Vorsatz:
Ich werde alles in meiner Kraft Stehende daran
setzen, das Jahr 5759 für Sie zu einem Jahr zu machen, an das Sie später
als ein gutes Jahr zurückdenken werden. Denn es ent spricht dem
menschlichen Wesen, daß man Glück und Frieden erst schätzt, wenn sie
einmal ausbleiben, das heißt man kann die ''guten Zeiten" oft erst dann
erkennen, wenn man zurückblickt. Wir nehmen wahrscheinlich Wohlstand und
Frieden oft zu selbstverständlich. Ich werde also versuchen, das
kommende Jahr für unsere Gemeinde zu einem, historisch gesehen, guten
Jahr zu machen.
Ein Neubeginn ist stets auch ein Anlaß, eine Bilanz
über das abgelaufene Jahr zu ziehen. Wie sieht unsere jüdische Welt im
Mikro und im Makro aus? Ich betrachte die bittere Realität, ohne die
Hoffnung auf eine Verbesserung zu verlieren. Ich kann zwar schwer an
Wunder glauben, aber ganz ohne Wunder wären wir vielleicht nach 5759
Jahren nicht mehr da.
53 Jahre nach der Schoah erleben wir ein gespaltenes
jüdisches Volk. Orthodoxie und Reformjudentum haben fast schon jede
Gesprächsbasis verloren. Uns ist es gelungen in Österreich eine
Einheitsgemeinde zu bewahren, die sich bemüht allen Richtungen eine
eigenständige Existenz zu ermöglichen.
50 Jahre nach der Entstehung des Staates Israel sind
''Linke" und ''Rechte", ''Orthodoxe" und ''Sekuläre" zerstrittener denn
je. Dennoch ist Israel stark, zählt heute zu den entwickelten
wohlhabenden Industrienationen der Welt und ist ein Garant für die
Zuflucht und Sicherung der Existenz aller Juden in der Galluth.
In den meisten Gemeinden in der Galluth erleben wir
eine drastisch steigende Assimilation. Teile unseres Volkes könnten in
den nächsten Jahrzehnten völlig ''verschwinden". In Wien kämpfen wir
gegen die Assimilation durch Schaffung jüdischer Schulen und
Unterstützung der jüdischen Sport- und Jugendorganisationen an.
Vergleichen Sie das reiche Angebot an jüdischem Leben mit dem vor noch
zwanzig Jahren.
Wenn auch die politischen und religiösen
Auseinandersetzungen immer sehr emotional und heftig ausgetragen werden,
so dürfen Meinungsdifferenzen unter Brüdern nicht zu unüberwindlicher
Feindschaft ausarten.
Wenn wir alle darauf achten, daß wir die Regeln des
demokratischen Diskutierens einhalten und nicht unsin nige persönliche
Feindschaften erzeugen, dann sollte das kommende Jahr ein fruchtbares,
von jüdischer Koexistenz geprägtes Jahr für uns alle werden. Ich werde
jedenfalls, alles in meiner Kraft Stehende dazu beitragen.
Schanah tovah umevorachat, ein
gesegnetes neues Jahr 5759