Österreich:
Angst vor Schweizer Verhältnissen
Nach der Einigung über Ansprüche der klagenden Überlebenden der Schoa mit
UBS und Credit Suisse richtet sich das Augenmerk verstärkt auf Ansprüche
gegenüber österreichische Unternehmen.
Wien, 23. August 1998 - Seit Erlangung der
eigenstaatlichen Souveränität nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Schweiz
Vorbild für Österreich, und ganze Generationen sind mit dem Vorbild der
Schweizer Neutralität und der Schweizer wirtschaftlichen Prosperität
aufgewachsen. Bei der historischen und juristischen Auseinandersetzung
über die Rolle der Banken und sonstiger Unternehmen bei der Entrechtung
und Enteignung von Juden während der nationalsozialistischen Verfolgung
findet sich Österreich erneut in den Fußstapfen des eidgenössischen
Nachbars wieder. Reaktionen auf die Schweizer Einigung und auf
angekündigte Forderungen von Überlebenden zeigen Parallelen - trotz des
wesentlichen Unterschieds, daß die Beteiligung der österreichischen
Firmen über die finanzielle Bereicherung hinaus bis zur mittelbaren und
unmittelbaren Beteiligung an der Schoa - etwa durch Zwangsarbeit bis zum
Tod - reichte. Parallelen bestehen auch insofern, als das Unrecht und
die Bereicherung in der Schweiz wie auch in Österreich auch nach dem
Nationalsozialismus fortdauerten.
Reaktionen auf die Schweizer Einigung
Seitens der Israelitischen Kultusgemeinde in
Wien wird die Einigung als "Ansporn für Österreich" bezeichnet (die IKG
hatte bereits im Juli - die Rundschau berichtete - eine "von Österreich"
ausgehende Klärung der arisierten Vermögen angeregt). Auch Simon
Wiesenthal wird mit einem "Besser spät als nie" als Anerkennung der
Einigung über die Zahlung von 1,25 Mrd. USD zitiert.
Anders einige Pressestimmen, die - wie etwa
der Kommentator der Tageszeitung "Die Presse" - davon sprechen, daß
selbst "den prinzipiell Zahlungswilligen das Messer angesetzt" worden
wäre, und den Verdacht äußern, "extreme Flügelmänner des Konflikts"
könnten "weiterzündeln". Von "überzogenen Vorwürfen" ist in der
Boulevardzeitung "Kurier" zu lesen, deren Herausgeber zugleich
selbstkritisch fordert, "aus den Fehlern der Schweizer zu lernen". Es
handle sich bei den Klägern um eine selbstbewußte Generation, die "nicht
irgendeine Art von Wiedergutmachung, sondern schlicht ihr Recht"
verlange. Für Österreich fordert der "Kurier" eine "schonungslose
Aufklärung".
Österreichische Banken
In der Zwischenzeit wird über die
Involvierung der beiden österreichischen Banken Creditanstalt-Bankverein
(CA) und Länderbank in die Goldtransaktionen der Deutschen Bank bzw. der
Reichsbank diskutiert, nachdem der New Yorker Anwald Edward Fagan vor
zwei Wochen eine Klage der heutigen CA-Eigentümerin, der Bank Austria,
öffentlich überlegt hatte. Die CA, die ab 1938 zum Einflußbereich der
Deutschen Bank zählte, und ab 1942 mehrheitlich der Deutschen Bank
gehörte, ist in Transaktionen mit Raubgold involviert gewesen. Das
stellte die von der Deutschen Bank beauftrage Historiker-Kommission
unter der Leitung von Jonathan Steinberg fest. Entsprechende Geschäfte
sind mit Istanbul und der Schweiz aktenkundig. Mittlerweile ist auch die
damalige Länderbank, die von der Dresdner Bank übernommen worden war,
als Mitbeteiligte ins Gerede gekommen. Detailliertere Erkenntnisse über
die Involvierung der Länderbank verspricht der für Oktober angekündigte
Bericht des Hannah-Arendt-Institutes an der TU Dresden. Beide Banken
sind mittlerweile in der heutigen Bank Austria (vormals:
Zentralsparkasse der Stadt Wien) aufgegangen. Die Bank Austria hüllte
sich nach anfänglichem Bekenntnis zur umfassenden
Kooperationsbereitschaft in eisernes Schweigen.
Die C.H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung in
München stellt übrigens die englische Fassung des Historiker-Berichts
der Kommission unter der Leitung von Jonathan Steinberg über die
Goldtransaktionen der Deutschen Bank und die Verbindung zu Österreichs
Creditanstalt bis zur deutschen Buchveröffentlichung via Internet zur
Verfügung:
www.beck.de/gw/index.html.
Österreichische Unternehmen als Profiteure von
Zwangsarbeit
Wie die österreichische Presseagentur APA
vermeldete, bereitet die ebenfalls in New York ansässige Anwaltskanzlei
Melvyn Weiss mittlerweile eine Sammelklage gegen mehrere österreichische
Unternehmen, die Zwangsarbeiter einsetzten und die
Wirtschaftsbeziehungen zu den USA unterhalten, vor. Der Inhalt der Klage
soll nicht die vorenthaltenen Löhne und Gehälter der Zwangsarbeiter,
sondern die Gewinne betreffen, die die Firmen aufgrund der Rekrutierung
von Zwangsarbeitern lukrierten. In einigen Fällen könnten Firmen auch
wegen grausamer Behandlung der Zwangsarbeiter in den - innerhalb der
Ostmark zumeist dem Konzentrationslager Mauthausen angeschlossenen -
"Arbeitslagern" belangt werden.
Zeithistoriker haben bereits seit den
Achtziger Jahren recherchiert, daß so gut wie alle größeren Firmen vom
Einsatz von Zwangsarbeitern profitierten. Das Verzeichnis der nun zu
belangenden Firmen liest sich denn auch wie das "Who is Who" des
österreichischen Wirtschaftslebens: Betriebe der VOEST (ehemalige
Hermann-Göring-Werke), Steyr-Daimler-Puch, Universale, Stuag und andere.
Die Zahl der in Österreich eingesetzten
Zwangsarbeiter ist schon alleine deswegen unvorstellbar hoch, weil neben
80.000 KZ-Häftlingen sowie - gegen Kriegsende - rund 10.000 ungarischen
Juden und Kriegsgefangenen auch rund 580.000 Zwangsarbeiter aus dem
eroberten Osten als "Zivile Ausländer" in praktisch allen Bauernhöfen
eingesetzt waren.
Arisiertes Vermögen
Hinsichtlich des arisierten Vermögens
(Wertgegenstände, Liegenschaften, Wohnungen, etc.) vermeldet die
Tageszeitung "Kurier" ebenfalls eine Wende: die Rückstellungsgesetze,
die die Rückgabe von enteignetem Vermögen regeln sollten, könnten vor
dem Verfassungsgerichtshof angefochten werden. Zeitzeugen berichteten
schon seit langem, daß die nach diesen Gesetzen abgewickelten Verfahren
stets zu ihren Ungunsten abgelaufen wären, weil etwa die Beibringung
nicht vorhandener und auch nicht duplizierbarer Dokumente gefordert
worden wäre, oder weil Zwangsverkäufe als rechtmäßig anerkannt worden
wären. Erst im Jänner dieses Jahres war die Öffentlichkeit durch die
spektakuläre Beschlagnahme von zwei Schiele-Gemälden aus der
österreichischen Sammlung Leopold, die im New Yorker Museum of Modern
Art ausgestellt waren, auf diese Problematik aufmerksam geworden. Im
Zuge der Berichterstattung wurden sogar etliche Fälle von Erpressungen
nach dem Krieg bekannt: Kunstwerke durften etwa nur dann aus Österreich
exportiert werden, wenn zugleich eine Schenkung wertvoller Exponate an
ein österreichisches Museum erfolgte (die Familie Rothschild wurde so zu
einer großzügigen "Spenderin" für das Kunsthistorische Museum in Wien).
Die Frage nach der Rückstellung arisierten
Vermögens betrifft einen riesigen Vermögenskomplex, zu dem 70.000 in
Wien arisierte Wohnungen sowie 26.000 arisierte Betriebe, aber auch
Autos, Wertgegenstände wie etwa Musikinstrumente, Bilder und Plastiken,
Einrichtungsgegenstände jeder Art sowie Lagerbestände und das Inventar
von Firmen zählen sollen - eine genaue Dokumentation steht freilich noch
aus.
Gekürzte Fassung in: Jüdische Rundschau, Maccabi 808-98)
Anton Legerer, Jr.
A-1100 Wien, Tel & Fax ++43-1-606 5365
Leserbriefe zum Thema finden Sie z.B.
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Überzogene Forderungen???
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Samstag, 14. Dezember 2013 |