Netanjahu könnte, so das Wochenmagazin, von dem vor
zwei Wochen in Rom von 120 Staaten (gegen die Stimmen von Israel, China
und den USA) beschlossenen Internationalen Strafgerichtshof angeklagt
werden. Tatbestand von Netanjahus Kriegsverbrechen: "Transfer von Teilen
der eigenen Bevölkerung durch die besetzende Macht in das besetzte
Gebiet". Dieser
Tatbestand würde auf die Siedlungstätigkeit in den von Israel besetzten
Gebieten im Westjordanland, in Ostjerusalem und im Gazastreifen
zutreffen, nachdem Netanjahu nach seinem Regierungsantritt 1996 den
Baustopp für jüdische Siedlungen in besetzten Gebieten aufgehoben hatte.
Der in Wien ansässige Sozialpsychologe Joe Berghold,
der sich seit etlichen Jahren mit Feindbild-Mechanismen und Xenophobie
beschäftigt, hält die journalistische Qualifizierung Netanjahus als
Kriegsverbrecher in einer Reihe mit angeführten Massenmördern im
Gespräch mit der Rundschau für "sehr problematisch" und "im Sinne der
Idee einer internationalen Gerichtsbarkeit zur Ahnung von
Kriegsverbrechern für überaus bedenklich" - trotz aller
"Kritikwürdigkeit der Politik des Premierministers". Berghold kritisiert
in diesem Zusammenhang auch, dass "im deutschsprachigen Raum die
englische Bezeichnung 'crimes against humanity' noch immer als
'Verbrechen gegen die Menschlichkeit' missverstanden" werde, und nicht
"als - wie es der intendierten Begriffsbildung nach heissen sollte und
wie nicht zuletzt Hannah Arendt bereits in den 60ern (in ihrem Buch
'Eichmann in Jerusalem') betont hatte - 'Verbrechen gegen die
Menschheit'". Berghold vermutet das Wirken unbewußter Abwehrmechanismen
innerhalb des deutschsprachigen Kulturkreises, durch die "das
universellere und für die Zukunft der menschlichen Gesellschaft
einschneidendere Verständnis des Verbrechens der Schoa", das mit der
ursprünglichen englischen Bezeichnung zum Ausdruck gebracht werden
sollte, abgeschwächt werde.
Kurz als "Geschmacklosigkeit sondergleichen"
bezeichnete IKG-Präsident Ariel Muzicant diese Gleichsetzung des
israelischen Premiers mit verbrecherischen Diktatoren in einer ersten
Stellungnahme gegenüber der Jüdischen Rundschau, Netanjahu sei
"demokratisch gewählter Ministerpräsident und sicher kein
Kriegsverbrecher".
Der erst seit 23. Juli amtierende Pressesprecher der
israelischen Botschaft in Wien, Ilan Ben-Dov, zeigte sich in einer
ersten telefonischen Stellungnahme "erschüttert über einen derartigen
Vergleich in einer österreichischen Zeitung - 53 Jahre nach Auschwitz".
Er argumentierte, daß Israel "seit den 50er Jahren die Errichtung eines
internationalen Strafgerichts vorgeschlagen" habe. Die Siedlungen in den
besetzten Gebieten hätten aber "nichts mit Kriegsverbrechen zu tun" und
wären schliesslich Gegenstand von Verhandlungen auf internationaler
politischer Ebene. Dass das österreichische Nachrichtenmagazin
Netanjahus Foto in einer Reihe mit international berüchtigten Diktatoren
plazierte, stelle einen "völligen Irrtum in der redaktionellen
Aufbereitung" dar.