Ein heißer, träger Tag in Hadera. Die Abgase
der Autos hängen wie ein bräunlicher Nebel über der Stadt zwischen Tel
Aviv und Haifa. An den Palmen schaukeln müde die Blätter. Zypora Frank
wohnt in einer ruhigen Gegend. Ihre beiden Söhne haben das Haus längst
verlassen. Ihr Mann starb vor drei Jahren.
Zypora Frank trägt ein fließendes
Seidenkleid. Ihr rosiges Gesicht ist umrahmt von goldblondem Haar. Es
sieht weich aus, fast wie Flaum. Aus der Küche duftet es süßlich, nach
frisch gebackenem Mandelkuchen. Der Tisch im Wohnzimmer ist gedeckt:
Kühles Mineralwasser in einer Glaskaraffe, dazu passende Gläser . Sie
führt ein aufgeräumtes Leben. "Ich bin eine praktisch denkende Frau. Und
bei allem, was ich durchgemacht habe, war ich immer stark", sagt sie.
"Deshalb verstehe ich nicht, warum mich das alles so mitnimmt. Es ist
doch nur ein Erbe, ein Stück Land. Aber dieser Ort macht mich . . ." Sie
redet nicht weiter.
Viele europäische Juden reden nicht
über die Zeit vor 1947
Ein sonniger Augusttag im Jahr 1987. Zypora
Franks Eltern sind zu Besuch. Rifka und Schmuel Jacoby sitzen am
Wohnzimmertisch, trinken Wasser und unterhalten sich. Zypora erzählt
ihren Eltern, sie habe eine Reise nach Polen gebucht, weil sie die
Konzentrationslager dort sehen möchte. Seit 1947 war keiner aus der
Familie mehr in Polen. Für einen Augenblick, erinnert sich Zypora Frank,
ist es still im Wohnzimmer. Dann sagt Rifka Jacoby zu ihrer Tochter: "Du
darfst da nicht hinfahren. Wir verbieten es dir." Zypora ist überrascht.
Immerhin ist sie über fünfzig. "Was habt ihr denn dagegen?" Ihr Vater
antwortet nur: "Wir wollen darüber nicht reden. Aber glaub’ uns, es ist
nicht gut für dich, dort hinzufahren." Als sie darauf besteht, dennoch
fahren zu wollen, stehen Rifka und Schmuel Jacoby auf und gehen.
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Sie war es gewohnt, daß ihre Eltern vieles
verschwiegen. Über die Zeit vor 1947, dem Jahr, in dem sie mit ihren
Eltern und ihrem Bruder Schaul in Palästina ankam, wurde bei den Jacobys
nicht gesprochen. Wie bei den meisten Einwanderern aus Europa. "Die
europäischen Juden verschwiegen, was sie erlebt hatten, weil die Sabres
hier lange Zeit nicht verstehen konnten, warum sie den Nazis keinen
Widerstand geleistet hatten", sagt Zypora Frank. Sabres, abgeleitet vom
hebräischen Wort für "Feigenkaktus", heißen die im Land geborenen Juden.
Erst 1961, als der Eichmann-Prozeß in Israel begann, sprach man auch
über den mutigen Widerstand vieler Juden: den im Warschauer Ghetto etwa,
oder in Auschwitz.
"Es war nicht das übliche
’Ich-will-nicht-darüber-sprechen‘", sagt sie. Schon lange hatte sie das
Gefühl, daß ihre Mutter etwas verbirgt. Seitdem die Familie vor der
Übersiedlung nach Israel noch einmal kurz nach Polen zurückgekehrt war,
hatte sich ihre Mutter verändert. Vorher hatte Rifka Jacoby viel
gelacht, mit den Kindern Lieder gesungen. Danach war sie oft stundenlang
still. Freunde sagten, sie trage eine tiefe Traurigkeit in ihren Augen.
Einen Tag nach dem Streit im Wohnzimmer
kommen die Eltern wieder. Diesmal haben sie einen großen braunen
Umschlag dabei. Der Vater öffnet ihn und nimmt ein transparentes Papier
mit schwarzen Linien und roten Zahlen heraus – die Karte eines
Grundstücks. Auf der Karte steht "Brzezinka" – polnisch für Birkenau.
"Birkenau gehört uns, Zypora. Ein Teil des Konzentrationslagers wurde
auf dem Grundstück meines Vaters gebaut", sagt die Mutter. "Er hatte
dort eine Teerfabrik." Da taucht es wieder auf, dieses Bild in ihrem
Kopf: wie sie als kleines Mädchen auf dem Schoß ihres Großvaters Josef
Meltzer sitzt, wie er sie im Arm hält. Manchmal spielte die kleine
Zypora auch im Hof der Fabrik, umgeben vom Dunst dampfenden Teers. Diese
Bilder kommen in ihr hoch. Sonst nichts. Der Tumult, der in ihrem Innern
losbricht, läßt keine andere Regung zu. Das ist es also: Wo einst die
Teeröfen ihres Großvaters standen, haben die Deutschen das größte aller
nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager gebaut:
Auschwitz-Birkenau.
"Als mir meine Eltern von dem Besitz
erzählten", sagt Zypora Frank, "verstand ich zwar, was sie sagten, aber
irgendwie glaubte ich ihnen nicht. Ich hörte, aber mein Gehirn war zu."
Von der Reise nach Auschwitz läßt sie sich nicht abhalten. Sie glaubt,
stark genug zu sein.
Auschwitz also. Ursprünglich hatten die
Deutschen das Konzentrationslager 1940 für die polnischen Gegner der
deutschen Besatzung gebaut. Bald wurde Auschwitz als das brutalste Lager
bekannt. Block 11, das Lagergefängnis mit seinen Stehzellen, nannten die
Häftlinge "Todesblock". Wer dort nicht starb, den erschossen die
Lageraufseher zumeist später an der "Todeswand" gleich daneben. Drei
Kilometer vom Stammlager entfernt liegt Birkenau, "Auschwitz II". Hier
kamen im März 1942 die ersten Güterwaggons mit europäischen Juden an. Im
Sommer begann die SS mit der Selektion, der Trennung in Schwache und
Arbeitstaugliche. Die einen mußten sich für deutsche Firmen zu Tode
schuften, die anderen gingen ins Gas.
Unter den vergilbten Dokumenten aus Polen,
die Zypora Frank von ihrer Mutter geerbt hat, ist auch eines, das den
Tod der gesamten Familie Meltzer bestätigt. Anna Meltzer und Zyporas
Tanten, Minda Nattel und Feiga Meltzer, auch Zyporas Cousine Ruth Nattel
kamen am 18. Februar 1943 nach Auschwitz. Sie wurden am selben Tag
ermordet. Ihr Großvater Joseph Meltzer starb am 15. Mai 1944 im
Konzentrationslager Blechhammer an Typhus. Wie ihr Großvater in dieses
Arbeitslager kam, das etwa 30 Kilometer westlich der heute polnischen
Stadt Gleiwitz liegt, sagen die Dokumente nicht. Wahrscheinlich wurde
die Familie gemeinsam nach Auschwitz deportiert, und nur ihren Großvater
stufte man bei der Selektion als arbeitsfähig ein. Josef Meltzer muß an
der Rampe unweit seiner Teerfabrik nach rechts gegangen sein, während
seine Frau, seine Töchter und seine Enkelin nach links geschickt wurden.
Links bedeutete den Tod innerhalb der nächsten Stunden.
Zypora Frank glaubte immer, alles über
Auschwitz zu wissen: Wie die Menschen ermordet wurden, wo man die
Leichen verbrannte. Als sie aber an dem Ort steht, wo sie als Kind
gespielt hat, wo 1,5 Millionen Juden ermordet wurden, darunter ihre
Familie, überwältigt sie die Trauer. Sie schreibt in ihr Tagebuch: "Du
merkst, daß du das nicht alles in dich aufnehmen kannst. Du kannst nicht
rational denken, und du willst eigentlich nur weinen und schreien. Aber
du kannst nicht darüber sprechen."
Als sie die Krematorien sieht, erinnert sie
sich an die Öfen aus der Fabrik ihres Großvaters. Darin kochten sie
Teer, um Dachschindeln und Isoliermaterial damit zu beschichten. In
Zypora Franks Kopf taucht plötzlich dieser Gedanke auf, die Nazis hätten
die Öfen ihres Großvaters übernommen, um darin Leichen zu verbrennen.
Als hätten seine Öfen den Massenmord erst möglich gemacht. Sie weiß, daß
das nicht stimmen kann. Denn die Öfen für Auschwitz baute eine deutsche
Firma, Topf & Söhne. Aber Wissen hilft nicht an diesem Ort.
Auschwitz verfolgt Zypora Frank. Seitdem sie
1987 zum ersten Mal dort war, hat sie immer wieder den gleichen
Albtraum: Sie ist ein kleines Mädchen in einer Menschenmasse. Um sich
herum sieht sie nur Beine, Schuhe, Stiefel. Sie schiebt die Beine zur
Seite, sucht nach etwas, das ihr Sicherheit gibt. Sie hat das Gefühl zu
fallen, ohne sich festhalten zu können. Dann wacht sie von ihren eigenen
Schreien auf. Niemals hätte Zypora Frank gedacht, daß die Eindrücke in
Auschwitz ihr Leben so verändern würden. Als sie nach Israel
zurückkehrte, verstand ihr Mann Zaki nicht, was mit ihr geschehen war.
"Ich konnte nachts nicht schlafen, tagsüber war ich nervös und begann
grundlos zu weinen", sagt sie. Immer wieder weckte ihr Mann sie nachts
auf, weil sie in ihren Träumen weinte.
Zypora Frank begann zu verstehen, warum ihre
Mutter nie über Auschwitz und den Familienbesitz dort sprechen konnte.
Während die Nazis ihre gesamte Familie ermordeten, hatte Rifka Jacoby im
sicheren Tadschikistan gelebt, nur sich selbst, ihren Mann und ihre
Kinder gerettet. Sie hatte die Verwandten nicht zur Flucht überredet.
Sie hatte den Mord an Eltern und Geschwistern auf dem eigenen Grund und
Boden nicht verhindert. Kurz nachdem die Deutschen im September 1939
Polen überfielen, floh Rifka Jacoby in einem Pferdekarren mit ihren
beiden Kindern über die Grenze nach Rußland. Ihr Mann kam wenig später
nach. Verwandte und Bekannte in Polen hielten diese Flucht für
übertrieben. Sie ahnten nicht, daß die deutschen Besatzer fast alle
Juden Polens ermorden würden.
In der UdSSR wurden die Jacobys zunächst in
ein Arbeitslager nach Sibirien geschickt. Zu dieser Zeit waren die
Feinde Deutschlands auch die Feinde der Sowjetmacht. Wieder sind es vor
allem Gerüche, die Zypora aus Sibirien in Erinnerung geblieben sind: der
süße Duft frischer Beeren zum Beispiel, die ihre Mutter im Sommer aus
dem Wald mitbrachte. Nach 18 Monaten ließen die Russen sie frei und
schickten sie nach Tadschikistan. Die nächsten vier Jahre verbrachten
die Jacobys in Leninabad, heute Duschanbe. Für Zypora roch ganz
Leninabad nach einem Gewürzladen: nach Kumin, Nelken und Kardamon.
Nach dem Ende des Krieges fahren Zypora
Frank, ihr Bruder und ihre Eltern mit dem Zug nach Polen. Endlich wieder
nach Hause, denkt sie. Der Tag, an dem die Familie die Grenze zu Polen
überquert, ist der 23. Mai 1946, Zyporas elfter Geburtstag. Als der Zug
in den polnischen Grenzbahnhof einrollt, schreit eine aufgebrachte
Menge: "Die Russen rauben unser Land, aber die Juden bringen sie wieder
zurück." Jemand wirft eine Handgranate in den Zug. Zwei Menschen
sterben, viele werden verletzt. Zyporas Geburtstagskleid ist von oben
bis unten mit Blut bespritzt. Die Eltern begreifen, daß Juden in Polen
unerwünscht sind. Wieder müssen sie fliehen. Die Familie fährt nach
Marseille, besorgt sich falsche Papiere für eine Einreise ins britisch
besetzte Palästina. Am 2. Juli 1947 läuft das Schiff im Hafen von Haifa
ein. Familie Jacoby beginnt ein neues Leben in Eretz Israel, dem
gelobten Land.
Rifka Jacoby läßt das Erlebte nicht mehr los.
Mit welchen Schuldgefühlen ihre Mutter noch Jahrzehnte später in Israel
kämpft, wird Zypora Frank erst kurz vor deren Tod bewußt. Rifka Jacoby
leidet an Alzheimer und erkennt am Ende die eigene Tochter nicht mehr.
Sie nennt sie Minda – so hieß ihre in Auschwitz ermordete Schwester. Sie
ruft nach Minda, weint und bittet um Vergebung.
Nach dem Tod der Eltern – die Mutter stirbt
im Dezember 1991, der Vater drei Monate später – erfährt Zypora, daß es
noch etwas gibt, das ihre Eltern bis zu ihrem Tod verschwiegen haben.
Jahrzehntelang hatte die Mutter versucht, Auschwitz, diese verfluchte
Erde, aus ihrem Gedächtnis zu streichen. Der Gedanke an das Erbe schien
sie zu zerfressen. Da ging die Mutter zum Gericht in Hadera und
überschrieb heimlich das Erbe auf den Namen ihrer Kinder. Sie glaubte,
dem Ganzen durch einen notariellen Akt ein Ende bereiten zu können.
Zypora Frank erfährt davon in einem Brief des Vaters, den er seinem
Testament beigelegt hat. Irgendwie, sagt sie heute, könne sie ihre
Mutter verstehen.
Als auch Zyporas Mann 1995 stirbt, weiß sie
mit ihrem Leben nichts mehr anzufangen. Immer noch quälen sie Albträume.
Irgendwann beschließt sie deshalb, die Wahrheit über das Familien-Erbe
selbst herauszufinden. Im Winter 1997 fliegt sie ein zweites Mal nach
Polen. Sie hofft, daß alles gar nicht wahr ist. Vielleicht, denkt sie,
haben sich die Eltern geirrt, und das Grundstück des Großvaters liegt
nicht in Auschwitz.
Zuerst fährt sie nach Krakau, um mit einem
Anwalt die Rechtslage im nun demokratischen Polen zu besprechen. Dann in
das Rathaus von Oswiecim. In großen Aktenschränken liegen dort die alten
Karten. Zypora Frank vergleicht das Transparentpapier aus ihrem Erbe mit
den Karten der Gemeindeverwaltung. Eine Angestellte findet das
Grundstück des Großvaters. Es liegt nicht, wie Zypora und ihre Eltern
angenommen hatten, in Birkenau. Auf der Karte ihrer Eltern steht zwar
Brzezinka. Aber nur, weil das Grundstück nach dem Krieg von dort
verwaltet wurde. Zuvor gehörte es zur Gemeinde Oswiecim, Auschwitz. Das
Land des Großvaters, sagt die Angestellte, sei Teil des Stammlagers
gewesen. Ob ihr Erbe in Auschwitz oder Birkenau liegt, ändert für Zypora
Frank nichts. Immer noch hofft sie, daß alles nur ein Irrtum ist, eine
Verwechslung. Die Hoffnung wird im Museum der Gedenkstätte Auschwitz
zerstört. Auf einer Karte im Archiv entdeckt sie den Besitz ihres
Großvaters Josef Meltzer, gekennzeichnet mit den Flurnummern 10 und 11.
Eine Historikerin des Museums berichtet, wie die Deutschen die Fabrik
ihres Großvaters konfiszierten. Sie rissen Teile davon ab und bauten
eine Zünderfabrik, die zeitweise von den Weichsel-Union-Werken betrieben
wurde. Hier mußten die Häftlinge arbeiten, zum großen Teil Frauen.
Das polnische Verkehrsministerium baute die
Fabrik in den sechziger Jahren um. Heute steht auf dem Gelände eine
Autowerkstatt. Auf eine Suchanzeige in einer Zeitung hatte sich kein
Eigentümer gemeldet. Wie auch – Rifka Jacoby lebte in Israel. Bedenken
gegen eine wirtschaftliche Nutzung des ehemaligen Konzentrationslagers
gab es keine. Das Grundstück liegt zwar innerhalb des früheren
KZ-Areals, ist aber nicht Teil der heutigen Gedenkstätte.
"Als habe Gott uns einen grausamen Streich
gespielt"
"Als ich im Archiv die Karte mit dem Namen
meines Großvaters sah, war es, als springe ein Schalter in mir an. Ich
fing an zu weinen und konnte nicht mehr aufhören", sagt Zypora Frank.
"Ich weinte, wie ich nicht mal beim Tod meines Mannes geweint habe." Und
dann, sagt sie, habe sie plötzlich Nasenbluten bekommen. Sie erschrak
darüber; so etwas war ihr nie zuvor passiert. "Ich wußte erst gar nicht,
was los war", sagt Zypora Frank. "Mir lief das Blut in den Mund, es
tropfte auf meine Bluse." In den Tagen danach bekam sie noch einige Male
Nasenbluten. Auch an jenem, an dem sie sich das ehemalige Fabrikgelände
ihres Großvaters ansah.
Zypora Frank kann nicht erklären, warum sie
ihr Erbe so bedrückt. "Ich bin ja für nichts verantwortlich, was dort
geschah", sagt sie, "und doch habe ich diese Schuldgefühle." Sie denkt
lange nach, wie sie beschreiben soll, was da in ihr vorgeht. Dann
erzählt sie, wie sie beim Besuch in Oswiecim mit einem jüdischen
Taxifahrer mitfuhr. Er sagte, seine Mutter und seine Großmutter seien in
Auschwitz gewesen. Auch sie hätten in der Zünderfabrik arbeiten müssen.
Es war das erste Mal, daß Zypora Frank mit einem Fremden sprach, der
eine persönliche Verbindung zu dem Gelände hatte. "Ich dachte nur: Oh
Gott! Laß sie nicht dort gestorben sein!" Als der Taxifahrer berichtete,
seine Mutter und Großmutter hätten überlebt, war sie erleichtert.
Heute denkt Zypora Frank oft, es wäre besser
gewesen, sie hätte nie von ihrem Eigentum erfahren. Kürzlich ließ sie
jedoch den Besitz auf ihren Namen überschreiben. "Ich trete dieses Erbe
an, weil ich offiziell festhalten will, daß Auschwitz auf jüdischem Land
gebaut wurde", sagt sie. Sie hat beschlossen, das Grundstück so zu
belassen, wie es ist. Ihr Anwalt in Krakau sagte, sie könne es verkaufen
oder Pacht von der Autowerkstatt verlangen. Doch sie will kein Geld aus
Auschwitz.
Zypora Frank sitzt in ihrem Wohnzimmer in
Hadera, inmitten ihrer Sammlung von Puppen, Ölbildern und
Porzellantassen. Aus der Küche duftet es wieder nach frisch gebackenem
Kuchen. "Eigentlich macht es doch keinen Unterschied, ob Auschwitz den
Juden gehört", sagt Zypora leise zu sich selbst, als wolle sie sich
trösten. "Es ändert nichts daran, was dort geschah." Aber irgendwie,
sagt sie, sei das, "als habe Gott uns einen grausamen Streich gespielt".
Sie kommt nicht damit zurecht, versucht sich
abzulenken, nicht alleine mit ihren Gedanken zu sein. Sie arbeitet
unentgeltlich auf der Röntgenstation des Krankenhauses. In jeder freien
Minute schreibt sie an ihrer Autobiographie. Immer noch sucht sie nach
Menschen, die ihren Großvater gekannt haben.
Seitdem sie in Auschwitz mit der Recherche
begann, hinkt sie. Weil sie ständig von einem Ort zum anderen hetzt,
überlastet sie ihre Beinmuskeln und Gelenke. "Ich habe Angst vor ruhigen
Momenten", sagt sie. "Dann fühle ich mich wie ein Ballon, aus dem die
Luft entweicht." Und wenn es nichts mehr zu tun gibt, wenn die Gedanken
sie quälen, dann geht Zypora Frank in die Küche und backt Mandelkuchen.
"Es beruhigt mich." Seither gibt es bei Zypora Frank immer frischen
Kuchen.
SZ vom 14.08.1998