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Amos Oz:
Fragen an das Land von Dani, Rami und Uzi

Große Erwartungen, große Enttäuschungen:
Warum Israel Kritik von außen ungern hört

Wenn ich kritische Äußerungen über Israel, über den Zionismus, über alles mögliche in diesem Land lese, packt mich meistens die kalte Wut – sogar wenn ich derselben Meinung bin wie der Kritiker. Was ist es, das mich an den meisten von außen hereintönenden kritischen Stimmen ärgert – und auch an einem guten Teil der innerisraelischen Gewissensforschung –, da ich selbst doch seit vielen Jahren in genau dasselbe Horn puste?

Kritik an Israel läßt mir den Kamm schwellen, wenn sie von gewissen Juden im Ausland geübt wird, die glühende Zionisten sind, solange Israel auf der Erfolgswelle schwimmt, denen aber die Hochrufe auf das eigene Team im Hals stecken bleiben, sobald es unterzugehen droht. Ihre Solidarität mit Israel ist grenzenlos in den Tagen von Entebbe und Oslo, löst sich aber in Luft auf, wenn es mal nicht so gut läuft und Israel negative Schlagzeilen macht. Sie halten es für die Pflicht Israels, der Familie Naches zu verschaffen – lustvolle Befriedigung. Sobald Israel diese Erwartung nicht erfüllt, betrachten sie es als nicht mehr zur Familie gehörig.

Familienangelegenheiten

     Vielschichtiger zusammengesetzt ist die Wut, die in mir aufsteigt, wenn intelligente, großzügig denkende Bewohner des Weltdorfs jene Frage aufwerfen, die ich mir selbst auch schon gestellt habe: Was war der moralische Preis für die Gründung des Staates Israel, und was ist der moralische Preis, der für den Fortbestand dieses Staates weiterhin entrichtet werden muß? Wieviel Leid wurde den Palästinensern – und wird ihnen noch – durch die Gründung Israels zugefügt? Und andererseits: Welche Gefahren beschwört die Existenz Israels für das friedliche Miteinander der Europäer, der „nördlichen“ Völker, herauf?
     Um es nochmal zu sagen: Die Kritik dieser intelligenten, weltoffenen Leute, die nur das Beste wollen, ist manchmal deckungsgleich mit der meinen. Es steht ihnen somit durchaus zu, mich zu zitieren und dann voller Ratlosigkeit zu fragen, weshalb ich ihnen nicht zustimme, weshalb ich, schlimmer noch, so verschnupft reagiere. Von einer Facette meines Ärgers weiß ich genau, woher sie rührt: Wenn ich eines meiner Kinder anherrsche: „Du Idiot!“, wird es mich nicht besonders freuen, wenn der Nachbar den Kopf aus dem Fenster streckt und mir zuruft: „Sie haben absolut recht, Ihr Kleiner ist wirklich ein Idiot.“
     Aber es gibt da noch eine andere Sicht meiner Wut, ausgelöst durch die besagten Äußerungsformen israelischer Selbstmarterung. Es gibt mittlerweile Leute hierzulande, die sagen, der Staat Israel sei nicht nur auf den Ruinen der Palästinenser errichtet worden, sondern auch auf denen der orientalischen Juden, auf deren Identität wir angeblich herumtrampeln, und auf denen der ultraorthodoxen Juden, denen wir angeblich mit Gewalt die Schläfenlocken abschneiden, und auf denen der europäischen Juden, für die Zion angeblich keinen Finger gerührt hat, als es gegolten hätte, sie den Klauen Hitlers zu entwinden, und auf denen der jiddischen Sprache, der dieser Staat angeblich im Dunkel der Nacht demonstrativ mit der Axt die Wurzeln abgehackt hat.
     Was kommt heraus, wenn wir alle diese Anklagen addieren? Eine Art Horrorfilm im Zeitraffer, in dem Ben-Gurion und einige seiner Freunde vom Rat der Weisen von Zion, die im Zuge der zweiten Alija (der zionistischen Einwanderungswelle von 1904–14) aufkamen, sich in einem finsteren Keller zusammensetzten und das Szenario für ein teuflisches machtpolitisches Spiel formulierten. Es besagte, daß das europäische Judentum verschwinden müsse, weil nur durch seine Opferung der Zionismus genügend Schubkraft entwickeln könne, um die Araber vertreiben und anschließend die orientalischen Juden unter falschen Vorspiegelungen ins Land locken zu können (von vornherein in der Absicht, ihnen ihre Identität zu rauben und ihre religiösen Überzeugungen auszuradieren). Sinn und Zweck dieses teuflischen Planes wäre es also gewesen, die jiddischsprachigen europäischen Juden, die orientalischen Juden, die Orthodoxen, die Palästinenser, die jemenitischen Kinder und so weiter zu opfern und aus ihrem Blut zionistische Mazzen zu backen.
     Zu den akzeptierten Wahrheiten dieser Kritik gehört weiter, daß die Weisen von Zion dieses diabolische Vorhaben mittels Genmanipulation oder mit Hilfe eines esoterischen Pentagramms in die Tat umsetzten, dergestalt, daß sie in okkulten Laboratorien, die sie in den Kibbuzim des Jezreel-Tales oder in der Landwirtschaftsschule von Kedouri einrichteten, ein paar hundert blonde Monsterwesen erschufen – Dani und Rami und Uzi –, die, als sie erwachsen waren, darangingen, den islamischen und den jüdischen Glauben ebenso in Grund und Boden zu stampfen wie die orientalische und die jiddische Kultur. Die Pointe ist die, daß wenn man diese blonden Monster nur wieder in die Kibbuz-Reagenzgläser zurückstopfen könnte, aus denen sie einst schlüpften, dies dem jüdischen Volk, dem Nahen Osten, ja im Grund der ganzen Welt unverzüglich die paradiesischen Verhältnisse wiederbringen würde, die, wie jedermann weiß, zu Beginn unseres Jahrhunderts herrschten.
     Unter den Bedingungen des real existierenden Zionismus im Israel des Jubeljahres neige ich dazu, mich just mit denen zu identifizieren, die auf die Anklagebank gesetzt worden sind unter dem Vorwurf, diese Litanei von Kalamitäten verursacht zu haben. Ja, ausgerechnet mit denjenen „das Land Israel bestellenden“ Eiferern, deren innere Widersprüche, deren Heuchelei und deren ungezügelte Arroganz ich dreißig Jahre lang protokolliert habe. Jetzt, da sie untergebuttert werden, bin ich mir plötzlich nicht mehr sicher, ob ihre Nachfolger aus Schas-Partei oder aus den Siedlungen in den besetzten Gebieten oder aus dem postzionistischen Treck ein Jota besser sind. Ich bezweifle es sogar.
     Und da ist noch eine andere Quelle des Zorns, entspringend aus der Tatsache, daß ein guter Teil der gegenwärtig kursierenden Kritik offen oder latent um die Frage kreist: „Hat es sich eigentlich gelohnt?“ Die Frage enthält implizit schon die Antwort, die die Leute nicht hinausposaunen wollen, aber zwischen den Zeilen durchklingen lassen: „Eigentlich nicht. Eigentlich hat es sich nicht gelohnt.“

Pervers und abwegig

     Wir sind übrigens nicht die einzigen, die dieser Tage ein Jubiläum begehen. Ein paar Dutzend Länder wurden, wie wir, nach dem Zweiten Weltkrieg unabhängig. Syrien und Indien, Pakistan und Jordanien sind als Staaten ungefähr in unserem Alter. Ich habe aber nichts läuten hören von tiefschürfenden Symposien in Indien oder Syrien anläßlich des Jubeljahres, gewidmet der Frage: „Hat es sich eigentlich gelohnt?“ Diese Frage, die uns jetzt an den Kopf geworfen wird, hat etwas – ich möchte vermeiden zu sagen – Perverses oder Abwegiges, deshalb sage ich lieber: etwas Verbohrtes. Sie beruht auf der unausgesprochenen Annahme, die Juden hätten sich zu Beginn dieses Jahrhunderts in der Wertpapierbörse der Geschichte getroffen und darüber beraten, in welchen historischen Aktienfond sie ihr „Kapital“ investieren sollten – und heute sei klar zu erkennen, daß diejenigen, die damals beschlossen, ihr Geld in die Errichtung des Staates Israel zu stecken, einen großen Fehler begingen.
     In Wirklichkeit begab sich nichts dergleichen. Die Juden hatten zu Beginn des Jahrhunderts kein geschichtliches Investitionskapital zur Verfügung. Und sie hatten kaum Wahlmöglichkeiten. Die große Mehrheit der in Israel lebenden, aber nicht in Israel geborenen Juden kam hierher, weil es für sie keine Alternative gab. Viele von ihnen wären lieber anderswohin gegangen.

Rechtfertigungszwänge

     Zu fragen, ob die Errichtung des Staates Israel eine gute Investition war, heißt eine perverse Frage zu stellen. Rund eine halbe Million Juden, zumeist aus Europa, kam hierher auf der Flucht vor Hitler. Wären sie nicht gekommen, man hätte sie ermordet. Das ist Grund genug. Mehr Rechtfertigung für die Gründung Israels braucht es nicht. Nicht einmal aus der Warte eines Palästinensers, der eines Morgens erwacht und feststellt, daß während der Nacht Flüchtlinge in sein Haus eingedrungen sind, ihre Habseligkeiten ausgepackt und sich in einigen Ecken seiner Wohnung niedergelassen haben.
     Welches Recht habt ihr, hierherzukommen? Wir sind auf der Flucht vor einem Mörder. Warum seid ihr ausgerechnet durch diese Tür gekommen? Weil wir früher einmal hier gelebt haben und weil alle anderen Türen verschlossen waren, während diese einen Spalt breit offen stand. Diese Antwort rechtfertigt natürlich nicht die Taubheit, die viele von uns gegenüber den Leiden der Palästinenser und gegenüber ihren berechtigten Ansprüchen an den Tag legen. Noch weniger rechtfertigt sie das rohe Bedürfnis vieler unserer Landsleute, den Palästinensern ihr nationales Rückgrat zu brechen.
     Wenn ich aufgeklärten Leuten aus der Welt von heute zuhöre, bekomme ich manchmal das Gefühl, die Gründung Israels habe auf sie eine ähnliche Wirkung gehabt wie eine christliche Katharsis. Schuldgefühle gegenüber den Juden schwächten sich ab, das drangsalierte Lamm kehrte auf die grünen, freundlichen Weiden seiner Kindheit zurück. Doch als diese wohlgesonnenen Menschen plötzlich feststellten, daß das jüdische Lamm auch Raubtierqualitäten entfalten konnte, schlug ihre Genugtuung um in Wut, Abscheu, oft in schieren Haß. Dieser Haß kommt zum Vorschein, wenn dieselben Leute, die uns eben noch zugeredet haben, wir sollten Verständnis für den Terrorismus der Palästinenser aufbringen – schließlich hätten die so schwer gelitten und seien so fürchterlich gedemütigt worden –, einen Atemzug später erklären: „Ihr? Ihr, die ihr so schwer gelitten habt und so fürchterlich gedemütigt worden seid – wir könnt ihr nur zu solchem Terror fähig sein?“
     Israels eigene Söhne und Töchter messen ihr Land, ebenso wie das internationale Publikum es tut, vor allem an der Höhe der von seinen Gründern geweckten Erwartungen. Der neue Staat sollte der biblischste, sozialistischste, heroischste, moralischste, ästhetischste auf Erden werden. Ein leuchtendes Vorbild für die Nationen, das Gewissen der Welt; schöpferischer und gerechter als alle anderen. Und wenn schon, warum dann nicht auch produktiver und reicher als alle anderen? „Große Erwartungen“ – Charles Dickens möge die Anleihe verzeihen – ist im Grunde zum zweiten Vornamen auf der Visitenkarte Israels geworden. Israel wird danach beurteilt – und beurteilt sich selbst danach –, wie es im Vergleich zu den Träumen, die der Stoff seiner Erschaffung waren, abschneidet. Und es waren zweifellos grandiose Träume. Alle, nicht nur die Religiösen, waren messianisch: die Bewegung „das Land Israel bestellen“ war messianisch, die zionistisch-marxistische Linke war messianisch, die Revisionisten waren messianisch. Sogar die beschauliche bürgerliche Mittelschicht, die sich nicht mehr erträumte als ein Häuschen mit rotem Dach, ein Leben in wirtschaftlicher Sorgenfreiheit, Ruhe und gute Manieren, war messianisch, ja auch sie. Vielleicht messianischer noch als die anderen.
     Doch selbstverständlich war es unmöglich, alle diese Träume wahrzumachen, schon weil nicht alle miteinander kompatibel waren: ein Paradies für Marxisten und Revolutionäre, ein angenehmes Refugium für das erholungsbedürftige jüdische Volk, eine Reproduktion osteuropäischer Schtetl, eine Reinkarnation des Königreichs von David und Salomo, ein sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaat – ein regelrechter Harem voller Phantasien. Phantasien, die einander annullierten. Aus einigen wurden Alpträume. Andere gerieten in Vergessenheit oder verdunsteten zu fernen Visionen. Einige wurden Wirklichkeit. Doch selbst die, denen Leben eingehaucht wurde, nahmen im Lauf der Zeit jenes verschlissene, unansehnliche Aussehen an, das das typische Endstadium in Erfüllung gegangener Traum ist.
     Das Israel, das seine Gründerväter und -mütter sich ausmalten, war eine naive Wunschvorstellung. Heute ist es höchstens noch die Erinnerung an eine Wunschvorstellung. Oder eine Sehnsucht. Manchmal auch ein Standardwitz bei Familientreffen.

Der größte Hyde Park Corner

     Was ist dabei herausgekommen? Eine Gesellschaft von Debattierern. Setzen Sie sich in ein Café oder in einen Bus, und Sie bekommen mehr Debatten zu hören, als Sie Anwesende zählen können. Israel ist wahrscheinlich der größte Hyde Park Corner der Welt – jedermann steht auf einem Steinquader und deklamiert. Alle brüllen pausenlos aufeinander ein. Wir haben es hier nicht mit einer Non-Stop-Stadt oder einem Non-Stop-Land zu tun, sondern mit einem Non-Stop-Chor, bestehend aus Millionen von Menschen, die alle überzeugt sind, recht zu haben. Sogar im Schlaf wissen sie, daß sie recht haben. Und zwar immer.
     Doch selbst das läßt nach. Die meisten Ambitionen schrumpfen, wenn auch nicht alle. Das „Frieden-jetzt“-Lager ist ausgelaugt und verbittert, obwohl seine Forderungen jetzt größtenteils in die Tat umgesetzt werden. Ähnlich ist die Stimmung im „Groß-Israel“-Lager: Auch dort Erschöpfung und Verbitterung, obwohl man unauslöschlich Markierungen gesetzt und irreversible Werke vollbracht hat.
     Sieht man von einigen kleinen Gruppen ab, die im Spiegelkabinett ihrer je eigenen, hysterisch erzählten Geschichte gefangen sind, so scheint sich gerade so etwas wie eine Atempause über das Land zu legen. Ich weiß nicht, wie lange sie anhalten wird. Ich weiß nicht, wohin sie führen wird. Unter dem Strich bin ich leidlich glücklich, in diesem Land und in dieser Generation zu leben. Der Preis ist hoch, gewiß, aber es ist eine unvergleichlich intensive, kathartische Erfahrung.
       Bin auch ich enttäuscht? Vom Stück? Von der Regie? Von den meisten Akteuren? Vielleicht auch ein wenig vom Text? Sicher. Ein wenig. Trotz alledem ist es irgendwie ein denkwürdiger Abend gewesen. Es ist gut, daß ich hiergewesen bin, in dieser Zeit.

© Amos Oz 1998. Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber / SZ vom 09.05.1998

haGalil onLine - Samstag, 14. Dezember 2013

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