Innensenator Jörg Schönbohm:
Deutschtümelnd, brauner Muff,
Blut- und Boden-Ideologie
Andreas Nachama, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu
Berlin, attackiert den Innensenator wegen dessen Äußerungen zu
Ausländern
VON
ANDREAS NACHAMAInnensenator Jörg Schönbohm
(CDU) machte unlängst "Quartiere" in unserer Stadt aus, in denen "man
sich nicht in Deutschland" befände. Zugleich sprach er sich strikt gegen
eine multikulturelle Gesellschaft aus; die "Ghettos" sollten
schrittweise aufgelöst und all jenen Ausländern, die sich angeblich
nicht integrieren wollten, weil sie immer noch kein Deutsch könnten, die
Rückkehr in die Heimat nahegelegt oder die Sozialhilfe gekürzt werden.
Die Vorstellungen, die der CDU-Mann mit solchen Aussagen
verbreitet, stehen in krassem Widerspruch zur Haltung von Politikern aus den
eigenen Reihen wie Eberhard Diepgen oder Klaus-Rüdiger Landowsky, die aus
der etwas tumben, lokalprovinziellen CDU der 70er Jahre eine moderne und
liberale Großstadtpartei gemacht hatten und diese mit einen Volker Hassemer
als Kultursenator krönten, bei dem sich Befürchtungen von
"Law-and-Order"-Ägiden im kulturellen Bereich alles andere als
bewahrheiteten.
Die anti-multikulturellen Vorstellungen des
Innensenators muten da wie ein Rückgriff in die Mottenkiste an, die
nicht nur sämtliche gesellschaftlichen Entwicklungen ignorieren, sondern
zugleich ein abgeschottetes und auf sich selbst bezogenes Weltbild
propagieren, das letztendlich über das Schmoren im eigenen Saft nicht
hinauskommen will. Die Auslassungen enthalten den bräunlich
angedunsteten Muff von Stammtischen. Schönbohms deutschtümelnde
Ansichten verwundern um so mehr, als der Innensenator sich bei der
Optimierung des Berliner Polizeiwesens ausgerechnet an New York
orientiert. Der weit gereiste Mann sollte es eigentlich besser wissen.
Ein Berlin, das sich in der ersten Reihe der Weltstädte sehen will, kann
nicht nur "deutsche Hauptstadt" sein. Mit seinen vielen kosmopolitischen
Einrichtungen, wie etwa dem "Haus der Kulturen der Welt", ist Berlin
längst zur multikulturellen Stadt geworden, und dies erst prädestiniert
es auch zu einer Hauptstadt mit Weltniveau.
Oder strebt der Innensenator statt Berlin 2000
vielleicht doch lieber "Germania 2000" an - jenes gescheiterte Konzept,
von dem es zum Glück nur noch ein architektonisches Modell aus der Zeit
des Dritten Reiches gibt? Daß der einstige "Schutthaufen bei Potsdam" in
53 Jahren wieder zu einer weltoffenen und für Menschen
unterschiedlichster Kulturen attraktiven Stadt geworden ist, sollte der
CDU-Politiker als eine Auszeichnung begreifen, statt eine Bürde.
Inwieweit es gelingen kann, Kinder ausländischer Berliner sowohl
sprachlich als auch kulturell zu integrieren, hängt letztlich vom
Integrationsbegriff und dessen Liberalität ab. Es sei darauf
hingewiesen, daß von den "Bouletten" bis zum "Döner" die Berliner Kultur
von den Zuwanderern mitgeprägt wurde. Schließlich sei auch daran
erinnert, daß die 1685 nach Berlin eingewanderten Hugenotten immerhin
noch bis 1806 auf der ihnen vorbehaltenen Eliteschule, dem heutigen
Französischen Gymnasium, ausschließlich in ihrer eigenen Sprache
Unterricht erhielten, und daß die Gottesdienste in ihrer Kirche bis ins
20. Jahrhundert hinein in Französisch abgehalten wurden.
Der preußiche König vertrat offensichtlich einen
multikulturellen und liberaleren Integrationsbegriff als unser heutiger
Innensenator. Letzterem ist in diesem Zusammenhang die Rückbesinnung auf
preußische Tugenden zu empfehlen. Überdies stellt sich die Frage, wann
denn eine Integration à la Schönbohm erfolgreich abgeschlossen wäre?
Vielleicht wenn alle den gleichen grauen Drillich tragen, da eine
uniformiert antretende Gesellschaft einem ehemaligen General womöglich
am besten zusagt. Statt nur Begriffe wie "Ghetto" aus seinen
Ausführungen zu streichen, die verunglückten Aussagen zurückzuziehen,
sollte er beherzt für ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht nach dem
Prinzip des Geburtsortes - dem "ius soli" - eintreten; statt dessen
verharrt Schönbohm jedoch in traurig guter Gesellschaft mit den
Vertretern einer Blut- und Boden-Ideologie, die letztlich Ursache aller
ethnisch geprägten Konflikte in Europa war, zuletzt und leider noch
immer in Ex-Jugoslawien.
Ich hätte mir gewünscht, wenn nicht nur die Parteien
protestiert hätten, sondern es einen Aufschrei durch die Gesellschaft
gegeben hätte. Nur fehlten hauptsächlich die Stimmen der für Moral
zuständigen Bischöfe und anderen christlichen Geistlichen, denn hier
geht es um die Grundbedingung unserer Gesellschaft: um die soziale
Integration der Ausländer. Schon in der Hebräischen Bibel wird die
größte soziale Errungenschaft der Menschheit, der Sabbat, ausdrücklich
auch auf die Fremden ausgedehnt und nicht von sprachlicher Integration
abhängig gemacht. Aber offenbar ist das eher jüdisches als christliches
Bibelverständnis. Insofern geht es nur darum, die Integration zu
optimieren und nicht zu bürokratisieren. Jede Stimmungsmache gegen
Ausländer ist dabei zu vermeiden.

98-Juni
|