Schätzungsweise 2000 Männer und Frauen, aus Israel
und allen Teilen der Republik eingeflogen, standen also pünktlich auf
der Freitreppe des Berliner Schauspielhauses Schlange, um sich an den
Sicherheitskräften vorbei in den Festsaal schleusen zu lassen und
harrten dort eines Festprogramms, das keines sein würde.
Die Masse der Gäste – unter ihnen ein Pope, ein
Rabbiner und hier und da Lametta – bildeten, überragt von der massigen
Gestalt des Kanzlers, die vornehmlich dunkel gewandete Komparserie einer
Veranstaltung, die nicht einmal zum symbolischen Akt taugte. Zwei Reden,
ein bißchen Ringelpietz und ein paar Häppchen – der Jubliäumsempfang des
israelischen Botschafters anläßlich der Staatsgründung Israels vor 50
Jahren, völkerverständigend genau zwischen den Jahrestag laut jüdischem
Kalender am 30. April und dem offiziellen Datum der UNO-Deklaration am
14. Mai gelegt, fiel, das ist noch nett gesagt, bescheiden aus.
Israels Botschafter Avi Primor, von dem man in den
vergangenen Jahren auch schon scharfe, mutige und deutliche Worte gehört
hat, hatte sich diesmal ausschließlich aus dem Zettelkasten
verbrüdernder Worthülsen bedient, erzählte wieder mal etwas vom
zionistischen Traum, der Wirklichkeit geworden ist und dem
wirtschaftlichen Aufschwung eines den Sümpfen abgerungenen Landes.
Primor warf mit zuckersüßen Nußecken nach seinen deutschen Gästen, ließ
die Wiedergutmachungspolitik Adenauers hochleben und richtete mit
bibbernder Emphase an Kanzler Kohl das Wort: ''Was Sie für Deutschland
und die Welt getan haben, haben Sie auch für Israel getan.''
Wobei ihm als versöhnliches Bild nichts anderes
einfiel als das Bild Helmut Kohls Hand in Hand mit François Mitterrand
auf den Schlachtfeldern von Verdun. Kohl fing den Ball auf, stellte
sich, was in diesem Zusammenhang gar nicht einleuchten wollte, abermals
ganz als der Mann der deutschen Vereinigung und eines vereinten Europa
dar, und bot sich Israel, so es gewünscht sei, als Vermittler bei der
europäischen Union an: ''Als Freund zu unseren Freunden stehen''. Seine
Rede, bei der er vorsichtig, ja geradezu einfühlsam alle Fettnäpfchen
umschiffte, revidierte allerdings auch zum wiederholten Male und
endgültig das fatale Diktum ''Von der Gnade der späten Geburt''.
Der Kanzler gebraucht inzwischen das Wort
''Schoah'', auch wenn er es noch, gut deutsch, auf der ersten Silbe
betont. Und zwischen all den Beschwörungsformeln von Frieden und
Völkerfreundschaft, den ''Glück- und Segenswünschen an die Bürgerinnen
und Bürger des Staates Israel'', hinter all den verbalen Verbeugungen –
''Wir dürfen Ihnen zurufen: Wir bewundern diese Aufbauleistungen'' – und
den vielfältigen Variationen der Begriffe ''dankbar'' und
''Dankbarkeit'' für alles mögliche in den deutsch-jüdischen und
deutsch-israelischen Beziehungen, die die Rede des Kanzlers
leitmotivisch durchzogen, konnte man heraushören, daß auch ein Kanzler
mit den Jahren lernt.
Daß die Vernichtung der europäischen Juden als
historische Last diese Beziehungen prägt, daß für diese Geschichte auch
von den folgenden Generationen die Verantwortung zu übernehmen sei, ist
nun offenbar fest in Helmut Kohls Denken verankert. Er erinnerte aber
auch an gemeinsame kulturelle Wurzeln. Doch um die Kultur war es bei
diesem Empfang schlecht bestellt, um die Kunst zumal.
Das Publikum wurde nicht etwa mit einem festlichen
Konzert verwöhnt, sondern mit einem folkloristischen Ringelreihen
traktiert, wie er in den ersten Jahren nach der Staatsgründung an
Gemeindeabenden in der Diaspora üblich gewesen sein mag. Und dann aßen
sie alle Kuchen, blau und weiß wie die Fahne Israels. Lieb, lieb –
Kindergeburtstag für einen jungen Staat.
EVA-ELISABETH FISCHER