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Süddeutsche Zeitung

In Erinnerung an Eike Geisel:
Wahrheit gegen den Versöhnungskitsch

Geisels Genre war die zeithistorisch argumentierende Polemik aufs Hier und Jetzt

Hier ist von Anpasserei, Lügen und Doppelmoral die Rede. Hier bleibt einem manche Formulierung im Halse stecken, und das war beabsichtigt. Keine leichte Kost, aber klar und unverblümt formuliert, häufig gallebitter, selten humorvoll, garantiert nicht ausgewogen und manches Mal mit dem Hang zur Besserwisserei. Nachsicht hatte der Leser nicht zu erwarten, dazu erschienen Eike Geisel die Zustände in diesem Land viel zu selbstgefällig.

Jüdisches Leben in Deutschland – völlig normal mittlerweile? ''Zumeist ein Hochsicherheitstrakt, vom Kindergarten bis zum Synagogenbesuch.'' Deutsche Intellektuelle? ''Immer auch Stellenanwärter.'' Die Bürger? ''Otto Normalvergaser'' glaubte, ''daß Auschwitz gewissermaßen ein – vielleicht etwas überzogener – Akt putativer Selbstverteidigung gewesen war''. So fliegen einem die Bonmots wie Platzpatronen um die Ohren – aber um des Effekts willen wurden diese Formulierungen selten gesetzt. Hier schrieb einer, der nicht an Denkfaulheit ersticken wollte.

Eike Geisel galt als ein ''unnachgiebiger Kritiker des deutsch-jüdischen Verbrüderungskitsches'', schrieb Klaus Bittermann über seinen Freund und Kollegen: ''Zwar schätzten viele Redakteure seine Arbeiten, aber die Veröffentlichung überließen sie gerne ihren Kollegen von der Konkurrenz, weil sie sich selber keinen Ärger einhandeln wollten.

So erschienen Geisels Arbeiten vor allem in Konkret und der umgemodelten Jungen Welt, gelegentlich in der taz, der inzwischen untergegangenen Wochenpost, in der ZEIT, FR. Essays, Rezensionen, Kommentare. Eike Geisel ließ es sich nicht nehmen, ''die Herrenmenschen von der ZEIT'' anzugreifen; er polemisierte auch gegen den Gutmenschen wie Walter Jens, wenn er ''nichts als marktgängigen Edelkitsch und Aufklärung von der Stange zu bieten'' hatte; er nannte den Schriftsteller Peter Schneider einen ''freischaffenden Einkaufsberater für die seelische Innenausstattung der Nation''. Geisel kritisierte die tränenselige Begleitung von Steven Spielbergs ''Schindlers Liste'' und erklärte die allgemeine Einmütigkeit: ''Nach dem guten Opfer war endlich das Gegenstück zu Anne Frank gefunden – der gute Täter.''

Das Holocaust-Mahnmal in Berlin bezeichnete er als Monument der Vernichtungsgewinnler und nationale Kuschelecke. Eike Geisel betrieb Geschichtsschreibung und Journalismus. Er verfaßte über das Internierungslager Westerbork in den Niederlanden eine Geschichte; eine Reportage schrieb er über Juden, die in der Nachkriegszeit an Nazis Selbstjustiz übten. Kein Genre war ihm fremd, aber am besten war er in dem, das er prägte: die mit historischen Fakten gesättigte Polemik, die ganz aufs Heute zielt.

Am dichtesten und aufregendsten ist der letzte Beitrag im Buch, Geisels Text zum Dokumentarfilm von 1990: ''Hannah Arendt, Eichmann und die Banalität des Bösen''. Hier findet sich die Quintessenz seiner Überlegungen. Er zeigt, wie Arendt verfolgt und verunglimpft wird, weil sie den guten Ton verletzt hatte; hier führt er ein Volk von Befehlsempfängern vor, das immer bloß seine Pflicht getan hat, egal ob das für andere im KZ endete oder im Stasi-Knast; hier zeigt sich auch seine Bitterkeit nach ’89, als er sah, daß die Deutschen sich wiederfinden im Verdrängen ihrer Vergangenheit.

Klaus Bittermann hat 21 Texte aus den Jahren 1990 bis 1995 ausgewählt, darunter auch schwer zugängliche Vorträge und Katalogbeiträge. Es ist ein Nachlaßband geworden. Am 6. August 1997 starb Eike Geisel im Alter von 52 Jahren. Die Sammlung ist ein Geschichtsunterricht der erhellenden, bitteren Art, Störmanöver gegen saturiertes Bewußtsein, immer bemüht, Ursache und Wirkung in die richtige Reihenfolge zu bringen, Fakten statt Vorurteile zu liefern. Wie schrieb Geisel über Lichterketten und Fackelumzüge? ''Anstatt die Frage zu beantworten, warum die Deutschen wie eine Hammelherde hinter ihren Führern hergetrottet waren, beschäftige man sich lieber mit dem in eine Frage gekleideten Vorwurf, warum die Juden sich damals nicht gewehrt hätten, warum sie wie Schafe zur Schlachtbank gegangen seien.''

Nur einmal gibt Eike Geisel Wünsche und Sehnsüchte preis. In den USA, in Cincinnati, war alles ganz anders gewesen, freies Kommen und Gehen war möglich auf dem Gelände des Hebrew Union College. Lauter jüdische Einrichtungen und nirgendwo Polizei. Kein Panzerwagen vor dem College, keine Metalldetektoren im Archiv, keine Personenkontrollen am Museumseingang. Nirgendwo eine Kamera, nirgendwo ein Zaun. Soviel zur deutsch-jüdischen Normalität.

STEFAN BERKHOLZ Der Rezensent ist Journalist in Berlin - SZ 0698

Eike Geisel:
Triumph des guten Willens
Gute Nazis und selbsternannte Opfer
Die Nationalisierung der Erinnerung.

Herausgegeben von Klaus Bittermann
Edition Tiamat, Berlin '98. 208 Seiten, 30,00DM

haGalil onLine: Samstag, 14 Dezember 2013

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