Sieben Tore gewähren Einlaß in die Altstadt
Jerusalems. In ihr liegen die heiligsten Symbole der drei
Schriftreligionen - Felsendom, Klagemauer und Grabeskirche. Uns zieht es
immer wieder zum Damaskustor und zum dahinterliegenden Suq, dem
arabischen Markt. Alle orientalische Exotik findet sich in dessen
dunklen Gäßchen. Pinkfarbener Blumenkohl. Eingelegte Oliven. Der Duft
von Kardamom und Pfefferminz. Schöne Gesichter alter arabischer Frauen.
Das Geschrei der Gemüsehändler.
Auf einer Treppenstufe gegenüber dem Damaskustor
sitzt ein Junge und brüllt sich die Seele aus dem Leib, um bunte
Wischtücher zu verkaufen. Nur der Wasserverkäufer, auf seinem Rundgang
durch die Altstadt, kann ihn kurz zum Schweigen bringen. Durch eine
leichte Verbeugung fließt das Wasser aus dem Schnabel einer großen
Messingkanne in den Plastikbecher. Der Junge trinkt hastig wie abwesend,
um danach seine Wischtücher unvermindert laut anzubieten. Einige der
Gemüsehändler machen sich über den Jungen so lustig, daß er schließlich
mit gesenktem Kopf im Suq verschwindet.
Menschen strömen in das Viertel. Zwischendrin bahnen
sich kleine Trecker mit Anhängern ihren Weg durch die Gassen. Der
Brotverkäufer zetert mit einer Araberin, die einen mit Tomaten gefüllten
Karton auf dem Kopf trägt und die Hände zum Gestikulieren nutzt. Wir
lassen uns treiben, getragen vom Geruch der Gewürze, vorbei an Gemüse,
Brot, Lederwaren, Souvenirläden und vielen "Please, madam, visit my
shop!". Der Weg führt uns nun ins Christenviertel.
Vor der Erlöserkirche ertastet sich ein blinder
Mönch seinen Weg vorbei an Touristen, die mit einem mobilen
Schmuckhändler verhandeln. Im dunklen Vorraum der Grabeskirche fallen
drei ältere Frauen auf die Knie, um die kalte Steinplatte zu küssen, die
zur Grablegung Jesu gedient hat. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis
zum Jaffator und dem Davidsturm, auf dessen Spitze die israelische Fahne
weht.
Der Spaziergang durch das etwas ruhigere armenische
Quartier führt uns ins jüdische Viertel. Vorbei an einem großen
Steinbogen, einem Überbleibsel der 1948 zerstörten Hurva-Synagoge,
gelangen wir zu einem der israelischen Kontrollpunkte, der zum Erreichen
der Klagemauer passiert werden muß. Wir treten durch die elektronische
Schleuse. Wortlos werden die Taschen durchsucht, ehe man uns mit einer
kurzen Handbewegung den Weg durch den dunklen Tunnel freigibt. An dessen
Ende empfängt uns, sonnenüberflutet, der große Platz vor der Klagemauer.
Auf der linken Seite der Mauer beten die Männer.
Etwa eine Handvoll Orthodoxe, schwarz gekleidet, verbeugen sich im
Sekundentakt. Die Thora in den Händen, rezitieren sie Verse, daß die
Schläfenlocken unter ihren schwarzen Hüten nur so wippen. Rechts
daneben, durch ein Gitter abgeteilt, die Frauen, still betend. Bis auf
eine etwa vierzigjährige Frau, die ihren Kopf ständig gegen die Mauer
schlägt. Sokrates soll einmal gesagt haben: "Glauben heißt, man muß den
Verstand verlieren, um Gott zu gewinnen."
Gläubige können sogar ein Fax an Gott schicken, das
ein Rabbiner dann in eine Spalte der Klagemauer steckt. Jede noch so
kleine Ritze zwischen den Steinquadern ist gespickt mit Zettelchen, die
nur für das Auge Gottes bestimmt sind. Der Platz vor der Klagemauer gilt
als heiligste Stätte der Juden; sogar RekrutInnen werden hier vereidigt.
Eine Weile sehen wir noch den patrouillierenden Militärs und den über
den Platz schleichenden Orthodoxen zu. Eine Touristengruppe,
ausstaffiert mit gelben Halstüchern und Fähnchen, steuert die
Al-Aqsa-Moschee an.
5.000 Gläubige können sich gleichzeitig in dieser
größten Moschee Jerusalems gen Mekka verbeugen. Erbaut wurde das
Gotteshaus an jener Stelle, die der Prophet Mohammed, so sagt es die 17.
Sure des Korans, nach einer wundersamen Nachtreise aus Mekka besuchte.
Daher der Name al- Aqsa - die Entfernte. Die ständig heulenden
Alarmanlagen vom Dung-Gate zwingen uns zum Aufbruch.
Doch vorher wollen wir noch die nach Mekka und
Medina heiligste Stätte der Muslime ansehen, den Felsendom, in dessen
goldener Kuppel sich die Sonne spiegelt. Gebaut wurde die Stätte über
einen Felsen, von dem aus der Prophet Mohammed einst auf seinem Schimmel
in den Himmel geritten sein soll. Um diesen Tempelbezirk kämpfen
jüdischer Eiferer, weil sie hier ihren antiken Tempel wiedererrichten
wollen, den die Römer vor fast 2.000 Jahren zerstörten. Juden ist es
aber verboten, auf dem Tempelberg zu beten.
Eine Weile genießen wir noch den Anblick, bevor es
wieder zurückgeht in das Gewusel der Gassen. Im muslimischen Viertel
hängen buntbestickte Kleider über manchen Ladentüren. Händler locken uns
mit Tee. In der El-Ward-Straße kaufen wir eine Postkarte,
heruntergehandelt um die Hälfte auf zwei Schekel: "Jerusalem im Schnee".
An holzgeschnitzten Kamelen haben wir kein Interesse.
Wenige Meter weiter langweilen sich vier junge
Polizisten. Sie bewachen das Haus des rechtskonservativen Ministers
Ariel Sharon, der sich hier provokativ im Ostteil der Stadt eingenistet
hat. Zigarettenrauchend lehnen sie an der Hauswand und scherzen mit dem
Falafel-Händler, der gemächlich die kleinen Püreekugeln in heißes Fett
fallen läßt. Langsam schlendern wir weiter und gelangen so zum
Österreichischen Hospiz, das sich wenige Meter vor dem Damaskustor an
der Ecke Via Dolorosa befindet. Dort wollen wir auf eine Tasse Kaffee
einkehren.
Auf unser Klingeln hin wird das kameraüberwachte
Eingangstor geöffnet. Auf der Dachterrasse des nun als Hotel dienenden
Krankenhauses genießen wir einen wunderbaren Blick über die Altstadt bis
hinauf in den Westteil Jerusalems. Anschließend gehen wir in den Garten
und trinken eine Melange, lauschen dem Ruf des Muezzins vom Minarett der
nahe gelegenen Moschee und genießen den Apfelstrudel.
In der Via Dolorosa sitzen Teppichhändler auf
Schemeln teetrinkend vor ihren Läden und bieten jedem Vorbeikommenden
ein "Welcome" und gute Preise an. Fast immer erkennen sie auf Anhieb die
Nationalität der Besucher und wechseln mühelos in die vermutete Sprache.
Auf der Motorhaube des an der Ecke stehenden Militärjeeps liegen zwei
junge Soldaten in der Sonne, zwei weitere kippeln mit ihren Stühlen
gelangweilt gegen die Mauer. Je näher wir wieder dem Damaskustor
entgegengehen, desto dichter wird der Strom der Menschen.
Wieder geht es nur langsam vorwärts. Vor dem
"Money-Changer" sitzt eine alte Araberin vor einem Bündel Minze und
einer Flasche Olivenöl. Der Preis erscheint uns zu hoch. Wir gehen - und
fünf Schekel weniger lautet ihr nächstes Angebot. Der Handel wird
freundlich mit "Friede sei mit dir" abgeschlossen.
Am Damaskustor wieder das Geschrei der Händler, das
Hupen der Autofahrer auf der Sultan-Suleiman-Straße und der Gesang der
Sammeltaxifahrer. Sie fahren aber erst los, wenn der "Transit-Salon"
gefüllt ist. Ramallah heißt das Ziel. Wenige Meter vom Damaskustor
entfernt, am Platz mit den Palmen, vor dem die vielen Reisebusse halten,
die ihre Gäste von hier aus in die Altstadt entlassen, hält ein
buntgeschmücktes Kamel vor einer roten Ampel, Vater und Sohn auf dem
Höcker.
Zwei Jungen schlagen auf einen bockigen Esel ein,
der mit den Hinterbeinen ausschlägt, weil er keine Lust zu haben
scheint, die steile Straße zum Neuen Tor hochzugehen. Im schmalen
Schatten einer hohen Palme liegt schlafend ein Arbeiter auf der Wiese.
Einem der Omnibusse entsteigt aufgeregt lärmend eine Touristengruppe.
Aus dem gegenüberliegenden "Schmidt's Girls' College" kommt ein Schwarm
schnatternder Schulmädchen in blauen Schulkitteln heraus. Sie werden vom
Rauch der Holzkohle eines Straßenhändlers eingenebelt, der seine
Fleischspieße mit schneller Hand wendet.
Der Wasserverkäufer hat seine große Kanne wieder
aufgetankt und ist auf einem weiteren Rundgang durch den Suq. Er ist
nicht nur Wasserverkäufer, sondern auch Nachrichtenhändler. Wieder und
wieder rufen ihm die Händler etwas zu. Er antwortet kurz oder hält hier
und da ein Schwätzchen.
Um den Tag abzurunden, machen wir uns auf zum nahe
gelegenen Jerusalem Hotel, um dort ein frisches, nach deutschem
Reinheitsgebot gebrautes palästinensisches Taybeh-Bier zu trinken. Dazu
bekommen wir ein Schälchen Erdnüsse, hören die englischen Nachrichten
und beobachten das verstrubbelte Kätzchen, das auf dem Boden noch eine
alte Kartoffelfritte entdeckt.
Jerusalem ist eine schöne Stadt. Seine Melodie ist
im Rhythmus des Lebens. Zumindest im Shuk.