Die Goldhagen-Kritik wird obszön:
"Holoporn" -
Der Fall Finkelstein
Von Wolfgang Wippermann
Jungle World - 20.Mai 98
"Holocaust der Wale" und andere mißbräuchliche
Anwendungen und Entstellungen des Begriffs Holocaust kannte ich schon. Doch
den Ausdruck "Holoporn" kannte ich noch nicht. Gemeint ist eine Verbindung
aus Holocaust und Pornographie. Dabei soll es sich um ein neues "Genre"
handeln, das Goldhagen "erfunden" habe. Goldhagen habe keine
"wissenschaftliche Untersuchung" vorgelegt, sondern eine "Wahnsinnsthese"
vertreten, mit der er von der "Holocaustindustrie" profitiere. Er sei ein
"Holocaust-Ideologe" und sein Buch ein weiteres Produkt der
"Holocaust-Literatur", die sich grundlegend von der "Holocaust-Wissenschaft"
unterscheidet. Weitere Vertreter dieser unwissenschaftlichen
"Holocaust-Literatur" seien Yehuda Bauer, Lucy Dawidowicz, Israel Gutman und
andere jüdische und israelische Holocaustforscher. Sie und andere nicht
genannte "jüdische Intellektuelle" hätten nach dem Sieg Israels im
Sechs-Tage-Krieg den Holocaust "entdeckt", um den "jüdischen Staat" als eine
"Bastion der westlichen Zivilisation gegen die arabischen Horden" zu feiern
und ihn "immun" zu machen "gegen legitime Mißbilligung seiner Politik".
Der Holocaust als Propaganda-Instrument der bösen
Zionisten. Dies kommt mir alles bekannt vor. Derartiges kann man an
deutschen Stammtischen hören und in den Schriften von rechten und linken
Antisemiten und Revisionisten lesen. Ich habe jedoch nicht aus einer
revisionistischen Postille, sondern aus einem wissenschaftlichen Buch
zitiert, das Beiträge der Chefhistorikerin der Abteilung für
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit des kanadischen
Justizministeriums, Ruth Bettina Birn, und des Professors für Zeitgeschichte
an der Universität Bochum, Hans Mommsen, enthält. Haben Birn und Mommsen
nicht gelesen, was ihr Koautor da alles von sich gegeben hat?
Es handelt sich um den Professor für Politikwissenschaft
an der New York University, Norman G. Finkelstein. Er wird im Klappentext
des Buches als "Spezialist für Israelfragen" bezeichnet. Was sind
"Israelfragen"? Sollten wir uns nach der "Endlösung der Judenfrage" nicht
langsam abgewöhnen, Israel in Frage zu stellen? Tatsächlich ist Finkelstein
kein Israel-Experte, sondern ein vehementer Anwalt der Sache der
Palästinenser, über die er 1995 ein ziemlich apologetisches Buch ("Image and
Reality of the Israel-Palestine Conflict") geschrieben hat. Dagegen wäre
noch nicht viel einzuwenden, wenn Finkelstein nicht gleichzeitig Israel und
den Zionismus in überaus scharfer und, wie ich finde, auch ungehöriger Weise
kritisieren würde. Mommsen zählt Finkelstein zu den "pointiertesten
Kritikern des Zionismus".
Kritiker des Zionismus bezeichnet man allgemein als
Antizionisten. Viele, aber nicht alle Antizionisten werden leider leicht zu
Antisemiten. Finkelstein ist in Gefahr, einer zu werden. Davor schützen ihn
seine jüdische Herkunft und linke Gesinnung nicht. Es ist gerade sein
Selbstverständnis als linker amerikanischer Jude, das ihn anfällig macht.
Deutlich wird dies an seinen Angriffen gegen Goldhagen und andere
amerikanische Juden. Sie hätten den Holocaust entdeckt, um davon abzulenken,
daß sie mit der "Bürgerrechtsbewegung" der Schwarzen "gebrochen" hätten,
"als sie (sich) nicht mehr nur gegen die Kastenunterschiede (...), sondern
eher gegen ökonomische Privilegien" richtete. "Jüdische Neokonservative"
hätten "auf die Holocaust-Karte" gesetzt, weil "sie sich an prominenter
Stelle an den Angriffen gegen die Armen" beteiligt hätten.
Nun ist Finkelstein alles andere als ein etwas naiver
Linker oder weltfremder Professor. Er weiß sehr wohl, daß sein Antizionismus
als Antisemitismus ausgelegt werden kann. Daher attackiert er mit Bedacht
Elie Wiesel, der in der Tat linke Kritik an Israel als antisemitisch
denunziert hat, womit er jedoch, wie ich finde, in der Regel recht hatte.
Der Nobelpreisträger Elie Wiesel sei für das "Gedenken des Holocaust" das,
was "Goldhagen für die Holocaust-Literatur" ist, nämlich ein "Vertreter
einer ahistorischen monokausalen Lesart der Vergangenheit". Nicht genug
damit, stellt Finkelstein auch noch die Glaubwürdigkeit Wiesels, der
bekanntlich Auschwitz und Buchenwald überlebt hat, als "Zeuge" in Frage.
Dies ist nun wirklich zu viel. Wie konnte dieser
bekennende Antizionist, der sich selber niemals mit dem Holocaust
beschäftigt hat, zum Kritiker des Holocaustforschers Goldhagen aufgewertet
werden? Warum hat der Spiegel im August 1997 Auszüge aus seinem Machwerk
gebracht? Warum muß es jetzt dem deutschen Publikum präsentiert werden?
Warum hat sich Birn nicht von Finkelstein distanziert? Warum hielt es
Mommsen für notwendig, ein Vorwort zu schreiben, in dem er Finkelstein zwar
vorwirft, seine Argumentation gegen Goldhagen etwas "überzogen" zu haben, um
Finkelstein aber gleichzeitig zu bescheinigen, "eine ebenso scharfe wie
umfassende kritische Auseinandersetzung" mit Goldhagens Buch vorgelegt zu
haben?
Davon kann doch überhaupt nicht die Rede sein. Finkelstein
tischt lauter Halbwahrheiten auf und ist mehr als einmal in Gefahr, den
Holocaust durch den Vergleich mit den Verbrechen anderer zu relativieren und
"die Deutschen" von ihren Verbrechen frei zu sprechen. Für diese furchtbare
vergleichende Aufrechnerei nur einige Beispiele:
Die deutsche Judenverfolgung wird mehr als einmal mit der
Behandlung der Schwarzen in den amerikanischen Südstaaten verglichen. Dies
kommt einer Relativierung des Holocaust gleich. Ähnliches gilt für die
Parallelen, die zwischen dem Holocaust und der Bombardierung japanischer
Städte durch "konventionelle" und atomare Bomben gezogen werden. Ein
ultralinker und hierzulande Gott sei Dank überwundener Vergleich ist der
zwischen der Ermordung der europäischen Juden und dem Krieg in Vietnam.
Völlig unerträglich wird es, wenn Finkelstein das sadistische Verhalten der
deutschen KZ-Wärter mit dem der - meist ausländischen - Kapos aufrechnet,
wobei er sich bezeichnenderweise auf den Kommandanten von Auschwitz, Rudolf
Höß, stützt. Deutsche Revisionisten wie Alfred Schickel wird es entzücken,
daß Finkelstein schließlich noch Hitler mit Roosevelt vergleicht: "Hitlers
durch und durch rassistisches Argument ist nur eine schwächliche Version des
Rooseveltschen."
Dagegen werden die lieben Deutschen geradezu systematisch
weiß gewaschen. Es habe in Deutschland "vor Hitler nur episodische
Gewaltausbrüche gegen Juden" und keine "bösartigen antisemitischen
Ausschreitungen" gegeben. Nach 1933 hätten "die Deutschen den
antisemitischen Terror" "in ihrer überwältigenden Mehrheit" verurteilt. Es
sei "der wissenschaftliche Konsens (...), daß die meisten ganz gewöhnlichen
Deutschen Hitler nicht wegen seines Antisemitismus gewählt und unterstützt
haben, daß sie sich vielmehr der Gewalt der Nationalsozialisten widersetzt
und den Völkermord mißbilligt haben". Muß man einen derartigen Schwachsinn
noch kommentieren und richtig stellen?
Ruth Bettina Birns Kritik an Goldhagen ist sachlicher.
Neben quellenkritischen Details, auf die hier nicht näher einzugehen ist,
wirft sie Goldhagen vor allem vor, das Du-sollst-vergleichen!-Gebot der
modernen Sozialgeschichte mißachtet zu haben. Wenn sie den Vergleich
zwischen dem Schicksal der Juden und dem der "anderen Opfer" einfordert,
stimme ich ihr zu. Problematischer ist schon die Forderung, die Verbrechen
der deutschen Täter mit denen der "Nichtdeutschen" zu vergleichen, die
freiwillig und gezwungen in den Einheiten der Polizei und der Wehrmacht
dienten. Nicht sehr hilfreich ist ihr Aufforderung, den Antisemitismus der
Deutschen mit dem anderer Völker zu vergleichen. Darauf hat Goldhagen
bekanntlich die lapidare Antwort bereit: "No Germans - No Holocaust",
worüber wiederum Birn ihren wissenschaftlichen, aber zugleich unzweifelhaft
deutschen Kopf schüttelt, aber auch nicht bestreiten kann, daß es Deutsche
und keine Marsmenschen waren.
Zum Schluß ein Wort in eigener Sache. Hans Mommsen hat in
seiner Einleitung behauptet, daß sich die Auseinandersetzung mit Goldhagens
Buch "nicht in den Universitäten" abgespielt habe. Zu den wenigen Ausnahmen
zähle ein von mir geleitetes Seminar an der Freien Universität. Doch ich
zähle für ihn nicht so recht, weil ich - so Mommsen im Deutschen Allgemeinen
Sonntagsblatt - ohnehin der "einzige deutsche Fachhistoriker" sei, der "sich
auf Goldhagens Seite geschlagen" hat. Ich fasse diese als Verdikt gemeinte
Bemerkung als Kompliment auf und werde Goldhagen auch weiterhin gegen
derartige Angriffe verteidigen, die ein sehr schlechtes Licht nicht auf
Goldhagen, sondern auf die "deutschen Fachhistoriker" werfen. Sie mögen über
Goldhagen triumphieren und sich ihres Sieges rühmen, doch dies ist ein
Pyrrhus-Sieg, weil er durch eine Rechtsschwenkung des ohnehin kleinen
liberalen Flügels der deutschen Historikerschaft erkauft wurde.
Wolfgang Wippermann ist Professor für Neuere Geschichte an der
FU Berlin. Norman G. Finkelstein / Ruth Bettina Birn:
Eine Nation auf dem Prüfstand. Die Goldhagen-These und die historische
Wahrheit. Mit einer Einleitung von Hans Mommsen. Claassen Hildesheim 1998 |