Sehr geehrte Damen und Herren,
der Kunstdienst der
Evangelischen Kirche begrüßt Sie aufs herzlichste im Berliner Dom.
Ihr mehr als zahlreiches Erscheinen hat etwas
Sensationelles. Es beweist die durch nichts zu tötende Sehnsucht des
Menschen nach kräftiger Beköstigung der Seele. Allein Ihre Anwesenheit
bezeugt, wie einfach es sein kann und sein könnte - auch im zuende
gehenden, unerhört austrittssüchtigen zwanzigsten Jahrhundert -, ein
Gotteshaus bis auf den letzten Platz mit Menschen zu füllen. Dazu
braucht's nicht viel, sondern alles. Es braucht die Transparenz einer
großen Seele und einer gesegneten Stimme, die die Gegenwärtigkeit des
Allmächtigen durchscheinen läßt.
Jüdisches Sein und Singen entfaltet sich in der
Freiheit einer starken Bindung. Eines strikten Festhaltens an dem über
Generationen und Abergenerationen hin sorgsam bewahrten und punkt-genau
weitergegebenen Text uranfänglicher Verheißungen, Zusagen, Preisungen
und Klagen. Es gibt – zum Segen für uns alle – eben keine „revidierte"
Fassung der Thora, der prophetischen Bücher und der Schriften, des
eigentlichen „Buches der Bücher". Baruch-ha-Schem!
Estrongo Nachama hat die Hölle der deutschen
Vernichtungslager fast zur Gänze durchschritten und – leiblich versehrt
– überlebt. Seit seiner „Wiedergeburt", seit der Befreiung im Jahre
1945, hat sich Estrongo Nachama im zerbombten Zentrum der deutschen
Mördergrube dem Geiste des ''Rachamim", des göttlichen Erbarmens, mit
Kopf und Herz, mit Hals und Seele verschrieben. Und spätestens seitdem
bekräftigt sein zwischen Ost und West, Juden und Christen, Israelis und
Deutschen unermüdlich vermittelndes Dasein und Wirken als Kantor und
Oberkantor der Jüdischen Gemeinde zu Berlin nicht nur die Weisheit des
hebräischen und aramäischen Schrifttums, sondern auch die
Stichhaltigkeit lateinischer Sentenzen. „Nomen est omen" z. B. erweist
sich – bezogen auf den Namen Nachama – als triftig, denn „nechamáh"
meint und heißt auf Hebräisch nichts anderes als ''Trost".
Elisabeth Liebig hat den ''Shalom-Chor Berlin" in
souveräner Ergebenheit für Estrongo Nachama gegründet und aus den
Mitgliedern der ''Christlichen Chorgemeinschaft Berlin-Brandenburg"
rekrutiert.
Die Organistin Gloria Seipelt sah sich nahezu
unvermittelt an die Stelle eines letztlich unersetzbaren Begleiters von
Estrongo Nachama verwiesen: an den Platz des vor anderthalb Jahren in
die Ewigkeit abberufenen, unvergessenen Organisten und Komponisten Harry
Foß. Sein Andenken sei zum Segen erinnert!
Der heutige, zweite Auftritt Estrongo Nachamas im
Berliner Dom ist nicht nur kirchen-, stadt- und landespolitisch von
großer Bedeutung. Der Kunstdienst der Evangelischen Kirche rechnet ihn
unter die Jahrhundertereignisse, ähnlich wie den legendären Auftritt der
Baptistenpredigerin und Gospelsängerin Mahalia Jackson auf dem
Jazz-Festival in New Port.
In Erinnerung an diese unvergleichliche Frau und in höchstem Respekt vor
Ihnen, verehrter Herr Nachama, modifiziere ich die damals
mitgeschnittene und insofern der Nachwelt erhalten gebliebene Ansage von
1956: ''Ladys and Gentleman, it is Sunday. And it's time for the world
greatest Khazan: Mr. Estrongo Nachama!"
Einen Bericht zum Konzert finden Sie auch auf den
Seiten des
Kunstdienstes im Berliner Dom.
Einen Artikel der BZ zum 80.Geburtstag Estrongo Nechamas finden Sie
hier.
Audio:
Shalom alejkhem... / Estrongo Nechama