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Sachsen-Anhalt: Der größte Triumph des deutschen Nachkriegsfaschismus und die Folgen für die anderen Parteien

Die Kinder der Freiheit

Es waren die Kinder der Freiheit, die dem deutschen Nachkriegsfaschismus den größten Triumph seiner bisherigen Geschichte bereitet haben. Niemals zuvor, weder im Bund noch in den Ländern, konnte eine rechtsextremistische Partei ein stolzes Ergebnis von 13 Prozent nach Hause tragen. Weder die NPD der sechziger noch die Reps der späten achtziger Jahre konnten sich eines ähnlich großen Zuspruchs unter dem Wahlvolk erfreuen wie die obskure Briefkastenpartei des geschichtsrevisionistischen Herausgebers der Deutschen National- und Soldatenzeitung. Es waren Erstwähler und unter ihnen vor allem junge, arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Männer, zur Zeit des Mauerfalls gerade in der Pubertät, die dieses Ergebnis herbeigeführt haben.

Mit den Wahlen zum sachsen-anhaltinischen Landtag ist zugleich die schöne neue Welt der Individualisierungstheoretiker, Zivilgesellschaftler und Globalisierungsfreunde zusammengebrochen. Die 13% für die DVU lassen sie als die Ideologen sichtbar werden, die sie immer schon waren. Die soziale Wirklichkeit hat sich zurückgemeldet und trägt die häßliche Fratze des Rassismus. Das Menetekel an der Wand leuchtet auf, wird es die politische Klasse Deutschlands richtig entziffern?

Am wenigsten dramatisch ist das Ergebnis noch für Bündnis 90/ Die Grünen. Es hat lediglich beglaubigt, was in den anderen Ostländern seit Jahren der Fall war. Bündnis 90/Die Grünen waren und sind die einzige bundesrepublikanische Partei ohne Wurzeln in der Weimarer Republik - wie sollte sie in der ehemaligen DDR Fuß fassen? Einiger Bürgerrechtler wegen, von denen jede andere Partei, einschließlich der PDS, genug aufzuweisen hat? Es war Charles de Gaulle, der 1958 die Algerienfranzosen mit seinem berühmten "Ich verstehe euch" für sich gewann. Der Magdeburger Beschluß zum Benzinpreis indes war - bezogen auf die kleinen Leute nicht nur im Osten - die genaue Umkehrung dieser Botschaft: "Wir verstehen euch nicht und haben das auch in Zukunft nicht vor." Mit Magdeburg haben sich die Bündnisgrünen, allen noch so brillanten Konzepten zum Trotz, aus einer Sozialpolitik abgemeldet, die auch auf den Gängen von Arbeitsämtern verstanden wird. Im übrigen sind die Bündnisgrünen auch nicht im gleichen Maße Regionalpartei des Westens, wie die PDS Regionalpartei des Ostens ist. Hätten die Bündnisgrünen in Westdeutschland 20 Prozent der Stimmen - dies Land sähe wahrlich anders aus.

Die PDS freilich steht vor einer Bewährungsprobe. Auf sie kommt - der hochtrabende Ausdruck trifft diesmal zu - eine erhebliche staatspolitische Verantwortung zu. Da der bisher erstaunlich standhafte Reinhard Höppner schließlich dem Druck aus Bonn erliegen und von einer Minderheitsregierung absehen wird, kommt auf die PDS die Rolle von "Her majesties opposition" zu. Die PDS, deren Kurs von den Wählern bestätigt wurde, hat das Kunststück zu vollbringen, einerseits loyal und konstruktiv zu opponieren sowie andererseits aus der Opposition heraus die DVU kompromißlos zu bekämpfen und mindestens einen Teil ihrer Wähler zu sich herüberzuziehen. Sie wird diese schwierige Aufgabe unter den argwöhnischen Augen von Journalisten zu lösen haben, die zu Recht den hohen Anteil ehemaliger Kader der despotischen SED kritisieren, aber zu Unrecht mit den Begriffen einer noch nie überzeugenden Totalitarismustheorie hantieren. Sollte die PDS diese Aufgabe erfolgreich bewältigen, dürfte ihr das demokratische Gütesiegel nicht mehr verweigert werden. Reinhard Höppner jedenfalls denkt in dieser Richtung, wenn er gestern im Morgenmagazin des Fernsehens sagte, daß es "diesmal mit der PDS keine schriftliche Abmachung geben" werde.

Sachsen-Anhalt ist alles andere als repräsentativ für die Bundesrepublik im ganzen, aber vielleicht typisch für ganz Ostdeutschland. Dann aber gilt, daß mindestens im Osten für einen liberalen Kapitalismus keine strukturelle Mehrheit existiert und auch eine sich als "sozial" gerierende Marktwirtschaft erheblichen Zweifeln ausgesetzt ist. Die vorerst nur im Osten bestehende, flächendeckende antikapitalistische Stimmung beschert der an die Regierung drängenden SPD im Bund ein Problem. Wenn die älteste Partei der Arbeiterbewegung - so Gerhard Schröder voller Stolz - derzeit mit dem "marktwirtschaftlichsten" Programm ihrer Geschichte antritt, wird sie die Hoffnungen in kürzester Zeit enttäuschen. In Sachsen-Anhalt ist klar geworden, daß die Demokratie dann gefährdet ist, wenn der demokratische Sozialstaat seine Verheißungen mittelfristig nicht einlösen kann. Mit Mittelstandsförderung, Steuerentlastung und Lob der "Leistungsbereiten" werden sich die dringend benötigten Arbeitsplätze nicht schaffen lassen. Das weit bis in die Linke verbreitete Gerede vom Tod des Keynesianismus sollte daher noch einmal überdacht werden, der Blick sich eher auf Frankreich denn auf die angelsächsischen Länder richten.

Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und Faschismus in Westeuropa stehen mehr als 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit Jörg Haider in Österreich, Gianfranco Fini in Italien und Jean-Marie Le Pen in Frankreich alles in allem nicht schlecht da und haben die mit EU und Euro einhergehenden, sie begünstigenden Krisen noch vor sich.

Sachsen-Anhalt hat erstmals an den Wahlurnen, nicht nur in Umfragen bewiesen, daß das entsprechend große Wählerpotential auch in Deutschland bereitsteht und erschreckend einfach abgerufen werden kann. Daß es vor allem junge Männer waren, die entsprechend votiert haben, verweist auf das Zukunftspotential dieser Kräfte. Die umfassende Verbreitung von aggressiver Fremdenfeindlichkeit als normaler Jugendkultur in ganz Ostdeutschland sowie der erstaunliche Wiederaufstieg der NPD zeigen zudem, daß es sich nicht um beliebig auswechselbare Stimmungen, sondern um im Alltagsleben tief verankerte Mentalität handelt. Mit kurzfristigen Finanzspritzen wird nichts zu erreichen sein.

Derzeit ist der deutsche Rechtsextremismus zerrissen und in sich gespalten. Die Geschichtsrevisionisten des Gerhard Frey, die Wohlstandschauvinisten der baden- württembergischen "Republikaner", die jungen Faschisten der ostdeutschen NPD und die nationalliberalen Grüppchen um Ernst Kappel oder Manfred Brunner sind einander zwar in Fremdenfeindlichkeit verbunden, aber in Eifersüchteleien und heftiger Rivalität voneinander getrennt. Darauf zu vertrauen, daß das immer so bleibt, ist mehr als fahrlässig.

Micha Brumlik / Gastkommentar in der TAZ vom 28.04.1998

Publikation: Samstag, 14. Dezember 2013

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