Daß der Erfolg der DVU vom Himmel fiel, kann trotz
deren Wahlwerbung in luftigen Höhen keiner behaupten, der die
Entwicklung in Sachsen-Anhalt und in den anderen neuen Bundesländern in
den vergangenen acht Jahren verfolgt hat. Ohne Konkurrenz durch die
"Republikaner" oder die NPD sammelte die DVU ein Potential von Erst- und
Jungwählern ein, das nach Einschätzung des Magdeburger Politologen
Wolfgang Renzsch "auf ein solches autoritäres Angebot gewartet hat". Der
"totale Verlust der Glaubwürdigkeit" der etablierten Parteien habe dabei
ebenso eine Rolle gespielt wie der "fehlende Abwehrreflex" der Jüngeren
gegenüber rechtsextremen Parteien. "Die Älteren", sagt Renzsch, "wählen
dann eher noch PDS."
Das Resultat ist bekannt: 30 Prozent der Wähler
unter 30 Jahren haben laut einer Analyse der Mannheimer Forschungsgruppe
Wahlen (siehe Seite 4) ihre Stimme der DVU gegeben - genauer gesagt: den
ausländerfeindlichen Parolen auf ihren Plakaten und Transparenten. Etwa
zwei Drittel der Stimmen für die DVU stammen von Erstwählern und
solchen, die vor vier Jahren zu Hause geblieben waren. Das andere
Drittel konnte die DVU anderen Parteien abspenstig machen - vor allem
der CDU. Solche Parolen sind seit langem Bestandteil eines
rechtsradikalen Potentials, das sich unmittelbar nach der Wende unter
kräftiger Mithilfe westdeutscher Neonazis und rechtsextremer Parteien
formierte.
Diese konnten von Beginn an auf rassistischen
Einstellungen von Jugendlichen in Ostdeutschland aufbauen: Im Frühjahr
1990, als es in der gesamten DDR noch kein Heim für Flüchtlinge gab und
die Zahl der ehemals hier lebenden Ausländer von 200.000 auf 150.000
gesunken war, erklärten rund 40 Prozent der Jugendlichen in einer
Umfrage des Leipziger Zentralinstituts für Jugendforschung die
Anwesenheit von Ausländern für "störend". Jeder vierte wollte sie des
Landes verweisen, jeder fünfte erklärte sich bereit, mit "Aktionen" auch
persönlich nachzuhelfen.
Rassistische Äußerungen und Denkweisen werden
folglich kaum noch als extrem empfunden. Eingebettet in eine rechte
Musikkultur, hat sich denn auch in Sachsen-Anhalt unterhalb der Ebene
der Gewaltbereitschaft eine "stabile rechtsorientierte Jugendszene
formiert", sagt der Ausländerbeauftragte des Bundeslandes, Günther
Piening. Mit anderen Worten: Am Sonntag meldete sich per Wahlzettel
erstmals auch eine Gruppe von Jungwählern zu Wort, die in einem rechten
bis rechtsradikalen Gedankenumfeld groß geworden ist.
Das sieht der Chef der Landeszentrale für politische
Bildung, Bernd Lüdgemeier, nicht nur bei Arbeitslosen und jungen
Arbeitnehmern mit Abstiegsängsten, sondern auch unter Abiturienten. "Es
gibt an den Schulen eindeutig eine Empfänglichkeit für solche
Positionen", schildert Lüdgemeier seine Erfahrungen in Abitursklassen.
Vor den Landtagswahlen hatte die Landeszentrale für politische Bildung
eine Kampagne für eine höhere Wahlbeteiligung gestartet. Die war
zweifellos erfolgreich, aber angesichts des Ergebnisses konstatiert
Lüdgemeier mit britischem Understatement einen "Wermutstropfen".
Allerortens wird der DVU-Anhängerschaft nun das
Etikett "Protestwähler" angeheftet. Anetta Kahane, Mitinitiatorin der
"Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugend und Schule" (RAA)
in den neuen Bundesländern, lehnt diese Einordnung ab. "Mit diesem
Begriff wird so getan, als ob die Anwesenheit von Ausländern tatsächlich
einen Mißstand darstelle, den die etablierten Parteien bislang ignoriert
hätten." Außerdem suggeriere die Bezeichnung "Protestwähler" eine
Bewegung am Rand der Gesellschaft. "Diese Parolen und Meinungen kommen
aber aus der Mitte der Gesellschaft."
Kahane wie auch der Ausländerbeauftragte Piening
können dem DVU-Erfolg allerdings ein paar positive Seiten abgewinnen.
Die RAA-Leiterin sieht darin ein schrilles Alarmsignal, das ihre
Warnungen der letzten Jahre bestätige und dem mit der fortgesetzten
Verharmlosung des Problems durch Politiker und Behörden nicht mehr
beizukommen sei. Das letzte, so Kahane, "was jetzt hilft, sind
gegenseitige Schuldzuweisungen der Parteien für das Erstarken der DVU.
Da lachen sich die Rechtsradikalen doch ins Fäustchen." Piening hofft
nun auf eine bundesweite Debatte des "grundlegenden Problems: Wie der
Demokratisierungsprozeß in den neuen Bundesländern vonstatten gehen
soll". Die Anwesenheit einer DVU-Fraktion im nächsten Landtag von
Sachsen-Anhalt könne da durchaus genutzt werden, um deren Parolen in
aller Öffentlichkeit "zu entzaubern". Zudem verzeichnet der
Ausländerbeauftragte schon während des Wahlkampfs einen Aktivitätsschub
der "zivilgesellschaftlichen Kräfte". So hatten sich zum Beispiel in
Halle vierzig Vereine und Organisationen gegen die DVU
zusammengeschlossen.
Diese Kräfte können Unterstützung jeder Art
gebrauchen. Denn ein Wettrennen rechtsradikaler Parteien um das
Wählerpotential in den neuen Bundesländern steht bevor. Im Nachbarland
Sachsen hofft nun die NPD auf ähnliche Erfolge.
Andrea Böhm / TAZ vom 28.04.1998