Eine Übersicht aus Prag:
Die Gerechtigkeit hat viel zu wenige der Nazi-Verbrecher ereilt
Prag (ctk / eb) - Nur wenige der Verbrecher des 2.
Weltkriegs standen vor einem unabhängigen Gericht, wo sie ihre Taten hätten
verantworten müssen. Die überwiegende Mehrheit kam mit einer neuen Identität
in vielen Länder der Welt unter.
Nach dem vielbeachteten Prozeß gegen SS E.
Priebke in Italien, ist nun auch der Franzose Maurice Papon in die
Galerie verurteilter Verbrecher aufgenommen worden. Einige Hundert noch
lebende und nicht bestrafte Massenmörder können aber auch weiterhin
seelenruhig schlafen. Fünf lange Jahrzehnte verdecken einen großen Teil
der überzeugenden Beweise und die Kosten für Untersuchungen und Prozesse
wachsen geometrisch. In letzter Zeit stehen auch Verbrecher der lokalen
Kriege vor Gericht, wo z.B. der Genozid in Ruanda 1994 oder der
Kriegswahnsinn am Balkan 1992-1995 verhandelt werden.
Manchmal wird die Situation durch Probleme der Identifikation der
Verbrecher kompliziert, wie im Falled des Ukrainers Iwan
Demjanjuk, dessen Name in Verbindung gebracht wird mit dem
sadistischen Kriegsverbrecher "Iwan dem Schrecklichen". Auch der Unwille
mancher Staaten, die Kriegsverbrecher an andere Länder auszuliefern,
schützt viele der Mörder, so z.B. Alois Brunner, der
Zehntausende deportierte Juden auf dem Gewissen hat. Seit 1955 versteckt
er sich in Syrien und die syrische Regierung weigert sich hartnäckig,
ihn nach Frankreich oder Deutschland auszuliefern.
Der Statistik nach lebten nach 1945 in West- und Ostdeutschland
insgesamt 20.000 Kriegsverbrecher und weitere 40.000 in anderen
europäischen Ländern. Ein grosser Teil wurde bereits nach dem Kriegsende
verurteilt, zT in Abwesenheit (wie zB der in einem münchener Altenheim
lebende SS-Mann Anton Malloth). Vor dem Nürnberger
Tribunal standen die "Größen" des Nazismus, Hunderte weitere Prozesse
fanden in Deutschland und weiteren, früher von Deutschland okkupierten
Ländern, statt.
In Deutschland wurden nach dem Krieg über 105.000 Strafverfahren
eingeleitet, verurteilt wurden aber nur 6.500 Personen, davon 12 zum
Tode und 163 lebenslänglich, während die westlichen Verbündeten 5.000
deutsche Staatsbürger verurteilten, davon mehr als 600 zum Tode.
In den letzten Jahren wurde in Deutschland nur einmal das Urteil
lebenslänglich gesprochen. 1992 wurde der ehemalige SS-Angehörige
Josef Schwammberger
zur lebenslängliche Haft verurteilt. Der ehemaliger Leiter einiger
Vernichtungslager im Polen, der persönlich für den Tod einiger Tausend
jüdischer Gefangener verantwortlich ist, floh am Kriegsende nach
Argentinien, wo er seit 1949 unter einem falschen Namen lebte. Erst 1987
wurde er verhaftet und im Mai 1990 nach Deutschland ausgeliefert. Die
Gerichtsverhandlung begann im Juni 1991 in Stuttgart, ein Jahr später
wurde das Urteil gesprochen.
Der erste Franzose, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu
lebenslänglich verurteilt wurde, war Paul Touvier, ein
ehemaliger Mitarbeiter des Gestapochefs von Lyon Klaus Barbie. Touvier
starb letztes Jahr im Gefängniskrankenhaus Fresnes bei Paris. 1947 wurde
er in Abwesenheit in Frankreich zum Tode verurteilt, er konnte sich mit
Hilfe der Kirche verstecken. Erst im Mai 1989 wurde er verhaftet und im
April 1994 zu lebenslänglich verurteilt. Er war für die Hinrichtung 7
jüdischer Geiseln in Rillieux-la-Pape bei Lyon verantwortlich, die als
Vergeltung für das Attentat der französischen Untergrundkämpfer auf
Philipp Henriot, Mitglied der Vichy-Regierung, hingerichtet wurden.
An der Spitze der Liste der meistgesuchter Verbrecher nach dem Krieg
stand Adolf Eichmann, ehemaliger Leiter der Abteilung
für jüdische Angelegenheiten beim Reichssicherheits-Hauptamt. Am Ende
des Krieges unterstanden ihm alle KZ im Machtbereich des Deutschen
Reichs. Er war persönlich verantwortlich für die Deportation
hunderttausender Juden in die Vernichtungslager. Nach dem Krieg
versteckte er sich unter falschen Namen zuerst in Italien, dann in
Argentinien, von wo er im Mai 1960 von israelischen Geheimdienst Mossad
entführt wurde. Ein Jahr später stand Eichmann vor einem israelischen
Gericht, das ihn zum Tode verurteilte. Am 31. Mai 1962 wurde Eichmann
nach Ablehnung aller Gnadengesuche hingerichtet.
Eichmann’s Bevollmächtigter und ehemaliger Gestapochef von Lyon
Klaus Barbie konnte sich lange der Gerechtigkeit entziehen. In
seiner Funktion befahl er tausendfach Mord, Verhaftungen und
Deportationen. Nach dem Krieg versteckte er sich einige Jahre in
Deutschland, 1951 floh er nach Bolivien. Er wurde in Frankreich in
Abwesenheit zum Tode verurteilt, trotzdem verweigerten die
bolivianischen Behörden jahrelang die Auslieferung an Frankreich; erst
im Februar 1983 wurde er der französischen Justiz offiziell übergeben.
Das neue Verfahren gegen Barbie begann 1987, er wurde zu lebenslänglich
verurteilt, da das Todesurteil in Frankreich inzwischen abgeschafft
wurde. Er war nicht lange im Gefängnis - nach 4 Jahre starb er im Lyoner
Gefängniskrankenhaus an Krebs.
Der ehemaliger Leiter der KZ Sobibor und Treblinka Paul Franz
Stangl, der für den Tod mehr als 700.000 Menschen
verantwortlich ist, versteckte sich nach Kriegsende kurz in Italien und
Syrien, von wo er 1950 nach Brasilien flüchtete. Hier wurde er 1967
verhaftet und nach Deutschland überstellt. Das Verfahren gegen Stangl
begann in Düsseldorf im Mai 1970 und endete nach 7 Monaten mit dem
Urteil lebenslänglich. Sein Schicksal war ähnlich dem des Klaus Barbie.
Auch er starb bald im Gefängniskrankenhaus, an Herzinfarkt - ein halbes
Jahr nach der Urteilsverkündung.
Heuer im März erreichte die Gerechtigkeit in Italien die ehemaligen
Nazioffiziere Erich Priebke und Karl Hass.
Unter der großen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sprach das
Berufungsgericht in Rom das Urteil lebenslänglich für beide über achtzig
Jahre alte Verbrecher. Das Berufungsgericht hob damit das Urteil des
Militärgerichts vom letzten Jahr auf. Beide waren an der Ermordung von
335 italienischer Zivilisten im März 1944 in Adreatinischen Höhlen bei
Rom beteiligt.
Publikation: Freitag, 24.04.98
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