Kinderrätsel mit antisemitischen
Witzen:
Auschwitz als Lachnummer?
Von Gabriele Lesser
Nicht nur in den Berliner
Kammerspielen ist es zur Zeit schick, sich an Witzen über die Shoa zu
ergötzen, auch im Nachbarland Polen werden Späße über Gaskammern und
Krematorien immer populärer. Wenn die Großstadtgöre in dem Stück "Sugar
Dollies" von Claus Chatten lauthals von der Bühne verkündet: "Mein Vater
ist auch im KZ umgekommen. Er fiel besoffen vom Wachturm", stockt manch
einem der Atem. Der größte Teil des Publikums aber amüsiert sich
köstlich und lacht über den "mutigen Tabubruch".
In Polen sind solche Witze
gang und gäbe, Sie kommen allerdings nicht in der Edelverpackung eines
zeitgenössischen Theaterstücks daher, sondern als profane Witzbüchlein,
die am Kiosk erstanden werden können. Daß nun allerdings auch schon
Kinder in der Schule für ein paar Groschen Rätselhefte mit
antisemitischen Witzen kaufen können, löste dann doch einen Skandal aus.
In Posen hatte eine Schülerin im Schulkiosk ein "lustiges
Rätselheftchen" gekauft und dort so "knifflige Fragen" gefunden wie:
"Was macht eine junge Jüdin im Kamin?" - "Sie löst sich in Rauch auf."
Oder: "Eine Rallye für Juden?" - "Paris-Dachau". Das Kind verstand
keinen der insgesamt sieben Witze in der Rubrik "Welt" und fragte seinen
Vater, was denn so komisch sei an diesen Witzen. Der Vater empörte sich
über das Büchlein, rief bei Janusz Weiss, einem Redakteur des privaten
Rundfunksenders "Radio Zet" an und bat ihn, sich um diesen Fall und den
Verlag mit Sitz in Warschau zu kümmern. Janusz Weiss löst in einer
täglichen Sendung schwierige und absurde Alltagsprobleme seiner Hörer.
Tatsächlich nahm er sich des
Problems an, rief während der Sendung beim Verlag und der
Staatsanwaltschaft an, ließ die Hörer zu Wort kommen. Drei Tage lang
beschäftige sich halb Warschau mit dem Thema "Sind Witze über Juden im
KZ komisch?" Der größte Teil der Hörer war empört, doch viele verstanden
nicht, weshalb Späße über tote Juden nicht genauso komisch sein sollten
wie die über blöde Polizisten oder geizige Schotten. Das sei eben
schwarzer Humor. Und wer über solche Witze nicht lachen könne, der solle
es eben bleiben lassen. In Polen herrsche Presse- und Meinungsfreiheit.
Und in Amerika und Deutschland lachten die Menschen ja auch über "polish
jokes". Wenn Harald Schmidt für seine Polenwitze mit Medienpreisen
überschüttet werde, denke in Deutschland niemand an die drei Millionen
Polen und die weiteren drei Millionen polnischen Juden, die die
Deutschen im Zweiten Weltkrieg umgebracht haben. Wo sei der Unterschied?
Manche Hörer fanden die
Witze über die Gaskammern geradezu aufklärerisch. Eine ältere Frau
meinte, daß Kinder nicht früh genug lernen könnten, wo Menschen wie
Juden eines Tages landeten, Die Witze seien ja nicht graue Theorie,
sondern "aus dem Leben gegriffen". Ein anderer Hörer bedankte sich im
nachhinein bei Hitler, der die Polen für ein paar Jahre vom
"Krebsgeschwür des 21. Jahrhunderts" befreit habe. Jetzt aber beginne es
von neuem zu wuchern. Es werde Zeit, wieder einmal "Ordnung zu
schaffen".
Mit so drastischen
Äußerungen hatte Janusz Weiss nicht gerechnet. Ein ganzer Teil der
Anrufe richtete sich auch gegen ihn persönlich. Noch während der Sendung
rief er bei der Staatsanwaltschaft in Warschau an. "Es gibt in der neuen
Verfassung einen Paragraphen gegen Volksverhetzung. Er soll Menschen,
die religiösen, ethnischen oder sonstigen Minderheiten angehören,
schützen", erklärt ihm Pressesprecher Ryszard Kuczynski. Die
Staatsanwaltschaft werde prüfen, ob die Witze über den Holocaust
tatsächlich die Grenzen der Freiheit des Wortes überschritten. Wenn ja,
werde sie die Ermittlungen aufnehmen. "Es gibt bereits einige
Verurteilungen aufgrund dieses Paragraphen", versichert Kuczynski. Als
Weiss allerdings nachfragt, wie der "Fall Bubel" ausgegangen sei, muß
der Pressesprecher eingestehen: "Das Verfahren wurde eingestellt. Der
Termin für ein zweites Verfahren steht noch nicht fest." Bubel, einer
der Kandidaten für das Präsidentschaftsamt im Jahre 1995, hatte kurz vor
den Wahlen eine Broschüre mit dem Titel "Jüdischer Humor" herausgegeben.
Auch sie kursierte an polnischen Schulen. Die Staatsanwaltschaft fand,
daß Witze wie "Das Lieblingsauto der Juden? - Ein Gaswagen" keinen
"schädlichen Einfluß auf die polnische Gesellschaft" ausübten und
stellte das Verfahren wegen "Geringfügigkeit" ein.
Janusz Weiss hat dennoch die
Hoffnung, daß es diesmal zu einer Verurteilung kommt. Eingeschaltet
haben sich inzwischen das Helsinki-Komitee für Menschenrechte in
Warschau und die Parlamentskommission für nationale und ethnische
Minderheiten. Jacek Kuron, der Vorsitzende dieser Kommission, hat Hanna
Suchocka, Justizministerin und Generalstaaatsanwältin Polens, gebeten,
das Ermittlungsverfahren gegen den Warschauer Verlag aufzunehmen. Die
bisherigen Erfahrungen mit der polnischen Rechtssprechung sind
allerdings niederschmetternd. In den Jahren 1991 bis 1996 kam es in ganz
Polen gerade mal zu knapp 20 Ermittlungsverfahren wegen Antisemitismus
und Ausländerfeindlichkeit. Nur zwei Fälle, in dennen die Opfer nicht
nur beleidigt, sondern auch zusammengeschlagen und mit dem Messer
bedroht worden waren, endeten mit einer Verurteilung. Eine Strafe für
antisemitische Predigten, Artikel, Witze oder Wandschmierereien gab es
bislang nicht.
Allgemeine Jüdische
Wochenzeitung, 19.2.1998
|