Nix da, scholl es unisono aus Beirut und aus
Damaskus zurück, der Hauptstadt des eigentlichen Herrschers über den
Libanon. Beide verwiesen auf die Resolution 425 des UN-Sicherheitsrates,
die schon vor 20 Jahren den „unverzüglichen Abzug“ gefordert hat. Da
müsse nicht verhandelt werden, so die Lesart der beiden
Levanten-Staaten. Sie ist etwas einseitig, weil sie eine entscheidende
Bedingung ausließ: Der Libanon müsse nämlich die Kontrolle über den
Süden wiederherstellen und so verhindern, daß er als Sprungbrett für
Attacken gegen Israel benutzt werde.
Doch geht es nicht wirklich um legalistische
Feinheiten. Syrien weiß sehr wohl, daß Israel seit Jahren versucht,
seine 20 Kilometer breite Sicherheitszone loszuwerden – als wär’s ein
Mühlstein um den Hals der ganzen Nation. Vor knapp zwei Jahren hatte
schon die Regierung Rabin die Bereitschaft zum Abzug erklärt; seit
vielen Monaten läuft in Israel eine öffentliche Diskussion darüber. In
Beirut und Damaskus weiß man, daß die Sicherheitszone immer unpopulärer
wird – kein Wunder: 900 israelische Soldaten sind in den vergangenen 20
Jahren gefallen, ohne daß es der Armee gelungen wäre, die von Iran
munitionierte und von Syrien unterstützte Hisbollah zu schwächen,
geschweige denn zu vernichten.
In Damaskus ahnt man auch, warum Netanjahu
ausgerechnet jetzt, am 1. April, wieder die Abzugs-Karte gezückt hat.
Denn zwei Tage zuvor war der US-Vermittler Dennis Ross nach vier Tagen
des frustrierenden Hin-und-her zwischen Netanjahu und Arafat entnervt
abgereist. Seitdem hat zwar seine Chefin Albright nicht direkt mit dem
Finger auf Jerusalem gezeigt, aber mit dem Abbruch der amerikanischen
Bemühungen gedroht, wenn Israel sich nicht etwas kooperativer verhalte.
Der Abzug aus Libanon wäre demnach eine doppelter
Entlastungsoffensive: nach innen, um sich Israels „Vietnam“ zu
entledigen; nach außen, um die Friedfertigkeit einer Regierung zu
demonstrieren, die auch in Amerika ihren Rückhalt zu verlieren droht.
Nur werden Libanon, Syrien und interessanterweise auch die Hisbollah
nicht gerade den roten Teppich ausrollen. Die Beiruter sind ein Regime
von Syriens Gnaden; ohne die Erlaubnis des Damaszener Diktators werden
sie den Israelis keine Sicherheitsgarantien versprechen, die den Abzug
beflügeln würden. Und selbst wenn: Der libanesische Staat ist zu
schwach, um die Hisbollah zu entwaffnen und die Kontrolle im Südlibanon
zu übernehmen.
Syrien hat die Macht, aber nicht das Interesse.
(Assad müßte bloß die Waffen-Pipeline schließen, die von Iran aus über
den Flughafen von Damaskus läuft.) Die israelische Präsenz im Süden
stärkt das Argument für die 35 000 syrischen Soldaten im Osten des
Landes. Wichtiger noch: Syrien würde den Israelis nur von ihrem
südlibanesischem Haken helfen, wenn Netanjahu die Golan-Höhen räumte.
Der Kleinkrieg im Süden nutzt also syrischen Interessen: Man ist direkt
nicht beteiligt, kann aber so kostenlos die Israelis bluten lassen.
Und die Hisbollah? Die kämpft zwar seit 20 Jahren,
um die Armee des „zionistischen Feindes“ zu vertreiben. Aber wenn die
Israelis tatsächlich abziehen, verliert die „Partei Gottes“ zumindest
den militärischen Teil ihrer Daseinsberechtigung. Sie müßte dann ihre
Waffen niederlegen – nicht nur im Südlibanon, sondern auch in Beirut und
im Beeka-Tal. Dann wäre die „Partei Gottes“ nur noch eine politische
Partei – ohne die Sonderabzeichen der Macht, die inzwischen
120-mm-Mörser und Anti-Tank-Raketen umfassen.
Die Operation Hisbollah-Land wird also Netanjahu
nicht entlasten; ihm fehlen die Partner für einen gesichtswahrenden
Deal. Sein Problem bleibt. Es heißt „Amerika“ und türmt sich immer höher
auf. Gewiß sitzen kleinere Verbündete gegenüber dem großen Mäzen immer
am längeren Hebel: Der kann das Mündel nur wirksam bestrafen, indem er
es kräftig schwächt – und das ist wiederum nicht in Washingtons
Interesse. Aber Amerika, auch die amerikanische Judenheit, beginnt die
Geduld zu verlieren. Netanjahu hat nicht nur Dennis Ross zappeln lassen;
er hat auch die eine und einzige Supermacht vorgeführt. Daß Yassir
Arafat, statt den angebotenen Teil-Rückzug vom Westufer erst einmal
anzunehmen, PR-Pirouetten gedreht hat, macht die Sache zwar nicht
besser, hilft aber Netanjahu nicht. Diesem Premier fällt offenbar nicht
mehr ein, als eine „wilhelminische“ Position einzunehmen: Was kümmert
mich der Rest der Welt, ich mache Politik, wie’s mir gefällt.
Bill Clinton hat das Monster namens
Lewinsky-Jones-Willey wohl endgültig vertrieben; mit seinen hohen
Popularitätswerten wird er sich bald Netanjahu zuwenden. Der Zwerg hat
den Riesen bislang ungestraft provozieren können; diese langen Ferien
von der Weltpolitik gehen nun zuende.
SZ vom 04.04.1998