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Bernsteins Aufstieg und Fall

Raphael Seligmann erzählt die Geschichte eines "Musterjuden"

Raphael Seligmanns „Musterjude“ Moische Bernstein beginnt sein Romanleben als trauriger Versager. Eigentlich fühlte er sich zu Höherem berufen, hatte in New York eine journalistische Laufbahn begonnen. Aber der Tod des Vaters verhinderte den Erfolg oder bewahrte Moische, was wahrscheinlicher ist, vor kläglichem Scheitern. Die energische Mutter beorderte den „Mamme“-Sohn zurück nach München (der Autor spart nicht mit topographischen Details) ins verwaiste Textilgeschäft. Seit siebzehn Jahren betrauert Manfred Bern (so nennt er sich jetzt) seine gelähmten Schwingen. Der Tiefpunkt der abschüssigen Lebensbahn ist am vierzigsten Geburtstag des „Helden“ erreicht. Der gerät zur Katastrophe.

Und zugleich – nach dem Prinzip des Stirb und Werde – zum Anfang einer neuen Existenz. Der Redakteur bei einem Boulevard-Blatt verschafft seinem ehemaligen Schulfreund die Gelegenheit,

einen Kommentar zur Woche der Brüderlichkeit zu verfassen. Deren Entlarvung als „antisemitische Geisterparty“ schlägt ein. Es beginnt der unaufhaltsame Aufstieg des Journalisten Moische Israel Bernstein, der es sich als Jude leisten kann, Themen anzufassen, Thesen zu verfechten, die für seine deutschen nichtjüdischen Kollegen tabu sind.

Parallel zur beruflichen Karriere verläuft Moisches sexuelles Curriculum vitae: Aus einem relativ schlichten alpenländischen Hoteldoppelbett gelangt er über zahlreiche Zwischenstationen in das Schlafzimmer einer Berliner Luxusvilla. Seligmanns Roman wandelt in den Spuren des Märchens. Man denkt an den armen Bauern, der als Millionär erwacht, oder an die Fischersfrau Ilsebill, die ihr Ehrgeiz im Verein mit der Wunscherfüllungsgewalt des Butts zum König, Kaiser und auch noch zum Papst macht; als sie der liebe Gott werden will, muß sie zurück an den Ausgangsort: in den „Pißpott“. Es kommt, wie es nach dieser Märchenlogik kommen muß. Der allmächtige Chefredakteur von German today landet wieder im Jeans-Shop in der Münchner Amalienstraße und bei seiner Mamme.

In ihrer Mischung aus Realismus und Phantastik bietet Seligmanns Märchenposse, die auch Züge des pikaresken Schelmenromans aufweist, das Vergnügen, das wir aus der kindlichen Lektüre solcher schwindelerregender Success-Stories kennen; die Lust angesichts der Erfolgsskala des Helden wird nur übertroffen durch die Befriedigung über seinen Sturz.

Zugleich ist Der Musterjude eine Art Medienkrimi. Auch hier führt der Weg immer höher: aus den vom Gebrüll des jeweils Vorgesetzten erfüllten Redaktionsstuben in die Büros der Pressezaren. Satirische Überzeichnungen gehen selten so weit, daß die böse Wirklichkeit des täglichen Kampfes ums sexuelle und publizistische Dasein im kabarettistischen Gaudium ganz unterginge.

Schließlich hat Raphael Seligmann ein weiteres Buch über sein Leib- und Magenthema geschrieben: das „psychotische deutsch-jüdische Verhältnis in der Folge von Auschwitz“. Das epische Panorama reicht von deutscher „Philosemiten-Romantik“ über die jüdische Antisemitismus-Paranoia bis zum wertvollsten seelischen Besitz der Deutschen, ihrem schlechten Judengewissen, das sie sich um keinen Preis nehmen lassen wollen.

Es kommt also jeder Leser auf seine Kosten, zumal die dreifache Geschichte mit Witz und Verve und rasant sich beschleunigendem Tempo erzählt wird. Nur sollte man die Lektüre nicht auf morgen verschieben. Mit den Blättern, die dank Moische Bernsteins Feder Auflagen-Rekorde erzielen, teilt das Buch das Schicksal der eben noch druckfrischen Zeitung: Nichts ist älter als die Nachricht von gestern.

RAPHAEL SELIGMANN: Der Musterjude. Claassen-Verlag, Hildesheim 1997. 357 Seiten, 39,80 Mark.

ALBERT VON SCHIRNDING
SZ vom 29.11.1997

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