Verzicht
aus Einsicht
Mit dem Streit um das geplante Berliner Holocaust-Mahnmal
ließen sich inzwischen mühelos Bände füllen. Das ändert aber nichts daran,
daß insbesondere jene zahlreichen Stimmen, die sich so achtbar wie plausibel
gegen seine Realisierung aussprachen, bislang ungehört verhallten. Nach
einem ersten folgenlosen Wettbewerb wurde ein zweiter ausgeschrieben. Von
den vier Vorschlägen dieser Runde soll, wie rasch durchsickerte, der der
amerikanischen Künstler Eisenmann und Serra noch am ehesten den Beifall
jener gefunden haben, die über eine Verwirklichung zu entscheiden haben; das
sind, in protokollarischer Reihenfolge, die Präsidentin des Deutschen
Bundestags, der Kanzler, der Regierende Bürgermeister von Berlin und Lea
Rosh, das Haupt eines privaten Fördervereins zur Errichtung des Berliner
Holocaust-Mahnmals.
Spätestens mit dem zweiten Wettbewerb rückten Einwände in den
Vordergrund, die grundsätzliche Fragen stellten. Ein Haupteinwurf
lautete, daß der beabsichtigte Sinn des Ganzen – an die Schuld zu
erinnern, die sich die Deutschen mit der Ermordung der europäischen
Juden für alle Zeiten aufgeladen haben – rasch ins Gegenteil verkehrt
werden würde: das monumental dimensionierte Mahnmal als ein riesiges
„schwarzes Loch“, das alle Schuld und Erinnerung spurenlos verschlucke
und so ungewollt entlaste.
Daß der Sinn, der einem Denkmal eingestiftet wurde, schon bald
nicht mehr begriffen wird, ist eine banale Tatsache. Jede Zeit hat für
ihre Erfahrungen und Erinnerungen einen eigenen symbolischen Ausdruck.
Und selbst große Kunst ist überfordert, wenn sie eine bestimmte
Sinnstiftung als ein für allemal gültig, das heißt: auf ewig
verständlich, fixieren soll. Zu diesem Glauben aber bekennen sich die
Befürworter; sie meinen offenbar, daß dieser seinen angemessenen
Ausdruck im Stelen-Hain von Eisenmann und Serra fände.
Angesichts solcher Schwierigkeiten ist der „Offene Brief“
namhafter Intellektueller, die sonst keineswegs zum Kreis der bei
solchen Anlässen stets gegenwärtigen usual suspects gehören,
nachdrücklich zu unterstützen; sie rufen dazu auf, das geplante Mahnmal
weder in dieser noch in einer anderen Form zu realisieren. Ihr zentrales
Argument: Es dürfe in dieser Frage keinen Zwang und keinen Automatismus
geben, der sich über alle Zweifel und alle Bedenken hinwegsetze. Diese
Mahnung hat vor allem einen Adressaten: den Kanzler, der sich
bekanntlich bisher in seiner zwiespältigen Symbolpolitik (Bitburg,
Verdun, Sanssouci, Neue Wache etc.) noch durch kein Argument
beeindrucken, geschweige denn beirren ließ. Auch diesmal, so muß man
fürchten, wird der Kanzler nach dem Motto Wilhelms II. handeln: „Sic
volo, sic jubeo - so will ich, also befehle ich“. wms
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