Laut gedacht:
Ein offener Brief an Barak Obama Wenn
Barak Obama wirklich einen Frieden in Nahost unterstützen will, dann ist er
herzlich eingeladen, als Präsident der Vereinigten Staaten nach Israel zu
kommen und sich persönlich an das israelische Volk wenden – nicht nur vom
Rednerpult der Knesset aus, sondern bei einer Massenrallye auf dem
Rabin-Platz in Tel Aviv. Auch als der ägyptische Präsident Anwar Sadat sich
direkt an das israelische Volk wandte, konnte er dessen Haltung zu einem
Frieden mit Ägypten völlig verändern. Dieses persönliche Engagement ist
notwendig, da momentan die meisten Israelis
unsicher sind und Angst vor jeder gewagten Friedensinitiative haben. Eine
solche persönliche Initiative des US-Präsidenten zum jetzigen Zeitpunkt, könnte
buchstäblich Wunder wirken und die psychologische Basis für Frieden
schaffen.
Von Uri Avnery, Israel
An den gewählten Präsidenten der USA, Herrn Barack Obama
Die folgenden bescheidenen Vorschläge gründen sich auf meine 70 Jahre langen
Erfahrungen als Untergrundkämpfer, als Soldat einer Sondereinheit im Krieg 1948,
als Herausgeber eines Wochen-Magazins, als Mitglied der Knesset und
Gründungsmitglied der Friedensbewegung:
(1) Was den israelisch-arabischen Frieden betrifft, sollten Sie vom ersten Tag
nach Ihrer Amtsübernahme handeln.
(2) Die israelischen Wahlen finden im Februar 2009 statt. Sie könnten einen
indirekten, aber wichtigen und konstruktiven Einfluss auf das Ergebnis haben,
indem Sie Ihre unmissverständliche Entschlossenheit verkünden, 2009 einen
israelisch-palästinensischen, einen israelisch-syrischen und einen
israelisch-gesamtarabischen Frieden zu erreichen.
(3) Leider haben alle ihre Vorgänger seit 1967 ein doppeltes Spiel getrieben.
Während sie für den Frieden Lippenbekenntnisse abgaben und zuweilen scheinbar
Schritte in Richtung Frieden machten, unterstützten sie in der Praxis einseitig
die Positionen unserer Regierungen und gingen so in die falsche Richtung.
Insbesondere waren sie stillschweigend mit dem Bau und der Vergrößerung der
israelischen Siedlungen in den besetzten palästinensischen und syrischen
Gebieten einverstanden. Jede dieser Siedlungen ist aber eine Landmine auf dem
Weg zum Frieden.
(4) Alle Siedlungen sind nach dem Völkerrecht illegal. Die Unterscheidung, die
manchmal zwischen "illegalen" Außenposten und anderen Siedlungen gemacht wird,
ist ein Propagandatrick, mit der Absicht, diese simple Wahrheit zu verwischen.
(5) Alle seit 1967 gebauten Siedlungen sind ausdrücklich mit der Zielsetzung
gebaut worden, einen palästinensischen Staat – und damit auch Frieden –
unmöglich zu machen, indem das Gebiet des zukünftigen Staates Palästina in
Streifen und Stücke zerschnitten wurde. Praktisch haben alle
Regierungsabteilungen und die Armee offen oder insgeheim beim Bauen, Festigen
und Erweitern der Siedlungen geholfen – wie ein Bericht der Anwältin Talia
Sasson für die Regierung (!) im Jahre 2005 bestätigt hat.
(6) Bis jetzt hat die Zahl der Siedler in der Westbank etwa 250.000 erreicht
(abgesehen von den 200.000 Siedlern im Raum Groß-Jerusalem, deren Status etwas
anders ist.) Die Siedlerbewegung ist politisch isoliert und wird von der
Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit abgelehnt – sogar verabscheut, sie wird
aber von der Armee und den Regierungsministerien unterstützt.
(7) Keine israelische Regierung hat es bisher gewagt, sich gegen die geballte
politische und materielle Macht der Siedler zu stellen. Eine solche
Konfrontation würde eine sehr starke Führung und die uneingeschränkte
Unterstützung des Präsidenten der USA voraussetzen, damit sie eine Chance auf
Erfolg hat.
(8) Solange diese uneingeschränkte Unterstützung des Präsidenten der USA fehlt,
sind alle "Friedensverhandlungen" Heuchelei. Die israelische Regierung und ihre
US-Unterstützer haben alles getan, um zu verhindern, dass die Verhandlungen zu
Abkommen mit den Palästinensern und den Syrern führen, aus Furcht vor einer
Konfrontation mit den Siedlern und deren Unterstützern. Die gegenwärtigen
Perspektiven der "Annapolis"-Verhandlungen sind so nichtssagend wie alle
vorausgegangenen. Jede Seite macht bei dem Spiel mit, jede aus eigenen
politischen Interessen.
(9) Die Clinton-Regierung und noch mehr die Bush-Regierung erlaubten der
israelischen Regierung, dieses Spiel fortzuführen. Deshalb ist es dringend
notwendig, Mitglieder dieser Regierungen daran zu hindern, die Nahost-Politik in
die alten Kanäle zu lenken.
10.) Es ist sehr wichtig für Sie, einen völlig neuen Start zu machen und dies
auch öffentlich deutlich zu machen. Diskreditierte Ideen und fehlgeschlagene
Initiativen – wie die der Bush-Vision, der Road Map, der Annapolis-Initiative
und ähnliche – sollten auf den Schrottplatz der Geschichte geworfen werden.
11.) Um einen neuen Start zu machen, sollte das Ziel der amerikanischen Politik
kurz und bündig dargelegt werden. Etwa so: Einen Frieden auf Grund einer
Zwei-Staaten-Lösung innerhalb einer bestimmten Zeitspanne – sagen wir bis Ende
2009 – zu erreichen.
12.) Es sollte darauf hingewiesen werden, dass sich dieses Ziel auf eine
Neubewertung der nationalen Interessen der USA gründet, etwa um ein Zeichen zu
setzen und friedensorientierte Regime zu stärken. Jenen, die ein Interesse an
einer Verschlechterung der amerikanisch-arabischen und amerikanisch-muslimischen
Beziehungen haben, soll der Wind aus den Segeln genommen werden. Im weiteren
Rahmen geht es auch darum den Al-Qaeda-artigen Terror zu besiegen, den
irakischen und afghanischen Krieg zu beenden und mit dem Iran eine realisierbare
Übereinkunft zu erreichen.
13.) Die Bedingungen für einen israelisch-palästinensischen Frieden sind klar.
Sie haben sich in Tausenden von Stunden in Verhandlungen, Konferenzen, Treffen
und Gesprächen zwischen den beiden Seiten herauskristallisiert.
Es sind folgende:
- a) Ein souveräner und lebensfähiger Staat Palästina wird Seite an Seite mit dem
Staat Israel errichtet.
- b) Die Grenze zwischen den beiden Staaten wird sich auf die
Waffenstillstandslinie von 1949 gründen (die "Grüne Linie"). Geringfügige
Veränderungen können bei gegenseitigem Einverständnis mit einem Gebietsaustausch
auf der Basis 1:1 erfolgen.
- c) Ost-Jerusalem, einschließlich des Haram-al-Sharif (Tempelberg) und alle
arabischen Stadtteile werden zur Hauptstadt Palästinas. West-Jerusalem,
einschließlich der Klagemauer und alle jüdischen Stadtteile werden zur
Hauptstadt Israels.
Es wäre wünschenswert, eine gemeinsame Stadtverwaltung, die
auf Gleichheit basiert, mit gegenseitiger Übereinstimmung zu errichten, damit
die Stadt als territoriale Einheit verwaltet werden kann.
- d) Alle israelischen Siedlungen - außer denen, die im Rahmen gegenseitigen
Einvernehmens gegen Gebiete ausgetauscht wurden – werden evakuiert werden (s. u.
15.)
- e) Israel wird im Prinzip das Rückkehrrecht der Flüchtlinge anerkennen. Eine
gemeinsame "Kommission für Wahrheit und Versöhnung", aus palästinensischen,
israelischen und internationalen Historikern zusammengesetzt, werden die
Ereignisse von 1948 und 1967 untersuchen und wer für was verantwortlich war.
Jedem einzelnen Flüchtling soll die Wahl gegeben werden 1. zwischen Rückkehr in
den Staat Palästina, 2. dort zu bleiben, wo er/sie jetzt lebt und eine
großzügige Kompensation erhalten. 3. Rückkehr nach Israel und dort wieder neu
angesiedelt werden, 4. auswandern in ein anderes Land mit großzügiger
Kompensation.
Die Zahl der Flüchtlinge, die in israelisches Land zurückkehren können, wird
durch gegenseitiges Einvernehmen festgelegt – mit dem Einverständnis, dass
nichts getan wird, was die demographische Zusammensetzung der israelischen
Bevölkerung wesentlich verändert. Die großen Geldmittel, die für die Erfüllung
dieser Lösung nötig sind, müssten von der internationalen Gemeinschaft im
Interesse des Weltfriedens aufgebracht werden. Dies würde viel Geld sparen, das
heute für militärische Ausgaben und als direkte Subventionen aus den USA
ausgegeben wird.
- f) Die Westbank, Ost-Jerusalem und der Gazastreifen stellen eine nationale
Einheit dar. Eine exterritoriale Verbindung (Straße, Bahn, Tunnel oder Brücke)
wird die Westbank mit dem Gazastreifen verbinden.
- g) Israel und Syrien werden ein Friedensabkommen unterzeichnen. Israel wird sich
zu der Grenzlinie von vor 1967 zurückziehen, und alle Siedlungen auf den
Golanhöhen werden aufgelöst. Syrien wird mit allen anti-israelischen direkten
oder indirekten Aktivitäten aufhören. Beide Parteien werden normale Beziehungen
mit einander aufbauen.
- h) In Übereinstimmung mit der Friedensinitiative von Saudi-Arabien, erkennen
alle Mitglieds-Staaten der arabischen Liga Israel an und bauen normale
Beziehungen mit ihr auf.
Gespräche über eine zukünftige Nahost-Union – nach dem
Modell der EU – die möglicherweise auch die Türkei und den Iran einschließen,
können in Betracht gezogen werden.
14.) Die palästinensische Einheit ist für den Frieden wichtig. Nur mit einem
Teil des Volkes Frieden zu schließen, hat keinen Sinn. Die USA werden nichts
tun, um die palästinensische Versöhnung und den Einigungsprozess der
palästinensischen Strukturen zu verhindern.
Zu diesem Zweck wird die USA ihren Boykott der Hamas beenden, die die letzten
Wahlen gewonnen hatte, einen politischen Dialog mit der Bewegung beginnen und
Israel ermutigen, dasselbe zu tun. Die USA werden jedes Ergebnis demokratischer
palästinensischer Wahlen respektieren.
15.) Die USA werden der Regierung Israels helfen, mit dem Siedlungsproblem
fertig zu werden. Den Siedlern wird von jetzt an ein Jahr Zeit gegeben, die
besetzten Gebiete freiwillig zu verlassen und dafür eine Kompensation erhalten,
die ihnen erlaubt, ihr
Haus im eigentlichen Israel zu bauen. Danach werden alle Siedlungen evakuiert –
außer denen, die nach einem Friedensabkommen Israel angeschlossen werden.
16.) Ich schlage vor, dass Sie als Präsident der Vereinigten Staaten nach Israel
kommen und sich persönlich an das israelische Volk wenden – nicht nur vom
Rednerpult der Knesset aus, sondern bei einer Massenrallye auf dem Rabin-Platz
in Tel Aviv. Präsident Anwar Sadat von Ägypten kam 1977 nach Israel und hat, als
er sich direkt an das israelische Volk wandte, seine Haltung zu einem Frieden
mit Ägypten völlig verändert.
Im Augenblick fühlen sich die meisten Israelis
unsicher und haben Angst vor jeder gewagten Friedensinitiative, zum Teil wegen
eines tiefen Misstrauens gegenüber allem, was von der arabischen Seite kommt.
Ihre persönliche Initiative zu einem sehr entscheidenden Zeitpunkt könnte
buchstäblich Wunder wirken, indem Sie die psychologische Basis für Frieden
schaffen könnten.
Dieser Text wurde auch in der neuen Ausgabe des progressiven jüdisch-amerikanischen
Magazins TIKKUN veröffentlicht.
Transl.: Ellen Rohlfs |