Igal
Avidan ist ein Insider mit dem klaren Blick
des Außenseiters: Pointiert und prägnant
beschreibt der in Deutschland lebende
israelische Journalist Igal Avidan die
mentale Infrastruktur seines Heimatlandes.
Der Bericht - eine Mischung aus Reportage
und politischer Analyse - offenbart, welche
Gräben säkulare Juden von Arabern und
ultraorthodoxen Juder heute trennen.
Er zeigt anhand von über sechzig Interviews
und eigenen Hintergrundrecherchen, wie
Israel mit seiner Definition als jüdischer
und demokratischer Staat ringt. Die einen
errichten Mauern und Zäune zu den Nachbarn,
die anderen bauen Brücken zu ihnen.
Besonderes Augenmerk gilt jenen mutigen
Israelis denen es um eine gerechtere
Gesellschaft und um den Schutz der
Minderheiten im Land geht.
Sein Gespür für Entwicklungen
und Chancen zeigte sich auch in der Auswahl
seiner Partner: So sprach er auch mit Tzvia
Greenfield, die inzwischen erste
ultra-orthodoxe Jüdin ist, die als
Abgeordnete ins israelische Parlament
einzog.Die Jerusalemer
Politologin Tzvia Greenfield:
Eine Orthodoxe mit
Schattierungen
Igal Avidan
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Der Morgen des
8. November 1995 hat das Leben der
orthodoxen Jerusalemer Politologin Tzvia
Greenfield verändert. In der Nacht zuvor,
gegen 22 Uhr, ging sie mit ihrem Mann und
einigen ihrer fünf Kinder zum israelischen
Parlament, um dem zwei Tage zuvor ermordeten
Ministerpräsidenten
Yitzhak Rabin am Sarg
die letzte Ehre zu erweisen.
"Ich dachte,
dass wir in zwei Stunden wieder zu Hause
sein würden, aber am nächsten Morgen standen
wir immer noch dort, zusammen mit Tausenden
Israelis. In ihrem Buch Sie haben Angst
beschreibt sie die Szene:
"An jenem Montag
ließen immer mehr Menschen ihr Tun sein und
gingen zum Ram-Hügel in Jerusalem, um dem
Ermordeten ihre Trauer und ihr Beileid
auszudrücken, ihren Schock, Schmerz und
Horror über das Verbrechen. Zehntausende aus
ganz Israel blockierten den Weg ins
Parlamentsgebäude. Auf dem Hügelgipfel
gingen sie eilig an dem mit der israelischen
Fahne umhüllten Sarg vorbei. Die riesige
Menschenmenge bildete schweigend eine
Schlange entlang des Hügelrands. Mit dem
faden Licht des Morgengrauens kamen die
ersten Schaulustigen, die meisten
Ultraorthodoxe aus den benachbarten
Stadtteilen. Sie gingen eilig vorbei und
schauten die stillen Massen erstaunt und aus
einer Distanz an, vor allem die wenigen
Betenden mit Kippa und Tefillin. Sie
bemühten sich zu begreifen, was diese
Religiösen mit der großen Masse der
Säkularen gemeinsam haben könnten.
Plötzlich nähert
sich einer Gruppe von Betenden ein etwa
30-jähriger Ultraorthodoxer mit einem langen
schwarzen Mantel und rundem Hut, und spricht
sie an. Es schien, als ob er ihnen eine
Moralpredigt hält und sie zu überreden
versucht. Ein Betender macht eine scharfe
Handbewegung aus Wut. Der Ultraorthodoxe
zuckt zurück und wird still. Das Gebet wird
fortgesetzt. Dann macht der Mann zwei
Schritte zu ihnen, beugt sich nach vorne,
erhebt sein blasses Gesicht zu der
Betergruppe und ruft zu ihnen laut in
glühendem Zorn: "Rabin ist ein Mörder! Rabin
ist ein Mörder!"
An jenem Morgen
beschloss Greenfield, in die Politik zu
gehen, um als streng orthodoxe Jüdin für
liberale Werte und Demokratie zu kämpfen.
Sie schrieb ein kritisches Buch, in dem sie
den Antizionismus der Ultraorthodoxen
anprangerte. Der Erfolg ihrer schonungslosen
Abrechnung war umso größer, weil von einem
Insider geschrieben. Aber als eine linke
Orthodoxe, die ihre Thesen gegen die eigene
Gruppe intelligent und mutig in aller
Öffentlichkeit darstellt, wurde sie zu einem
Hassobjekt bei vielen Religiösen und
Orthodoxen, zu einer Verräterin, die es
daher zu diskreditieren galt.
Tzvia Greenfield
sei gar keine Orthodoxe, hieß es, denn sie
habe zu Hause einen Hund. Greenfield seufzt:
"Es ist sehr schwer, einer soziologischen
Gruppe anzugehören, die keine Haustiere
hält. Hunde gelten als unreine Tiere und
dürfen daher nicht in die Synagoge. Aber das
Haus ist keine Synagoge." 17 Jahre lebte
Greenfield zusammen mit der Hündin Laddy,
die vor drei Jahren starb, was Greenfield
wieder die Rückkehr ins orthodoxe Judentum
hätte ermöglichen können. Aber die Familie
nahm stattdessen Bellow auf, die Hündin des
Sohnes, der in den kommenden drei Jahren in
Oxford studiert. Die Briten lehnen
ausländische Hunde fast so streng ab wie
orthodoxe Juden. Der unkoschere Hund mit dem
literarischen Namen Bellow kommt mit der
charismatischen Straßenkatze Boban sehr gut
zurecht. Greenfield ist eben ein politischer
Mensch mit einem Herz für Tiere. Sie ist
auch Vorsitzende des von ihr gegründeten
Vereines "Für den Lebenden" [Lemaan
Hachai], der für abgelehnte Haustiere
ein Zuhause vermittelt. Woher kommen so
viele ausgesetzte Tiere in einem orthodoxen
Stadtteil Jerusalems? "Von Juden, die gerade
orthodox wurden."
Auch die
fünfjährige Paulette liebte ihren kleinen
Hund. Bei einem deutschen Bombenangriff im
Zweiten Weltkrieg verlor das französische
Mädchen ihre beiden Eltern und das Hundchen.
Während sie den toten Welpen streichelte,
kam der zehnjährige Michel und die beiden
befreundeten sich. Er nahm sie mit auf den
Bauernhof, wo er seine Eltern überredete,
das Waisenkind aufzunehmen. Michel hat
Paulette geholfen, mit ihrer Trauer fertig
zu werden, indem er ihr half, den toten Hund
zu begraben. Die beiden Kinder sammelten
andere tote Tiere und begannen einen
Tierfriedhof anzulegen, wobei sie die Kreuze
aus dem lokalen Kirchhof stahlen.
Das Jerusalemer
Filmtheater Edison war eine
prachtvolle Kulturstätte mit bemerkenswerten
Kronleuchtern und einem riesigen
Samtvorhang. Nur hier konnten sich 1957
Paulette und Tzvia begegnen - für Greenfield
eine prägende Erfahrung. Denn das Kino
gehörte ihrem Onkel und die beiden
Kassiererinnen waren ihre Tanten. "So konnte
ich jede Woche hier umsonst einen neuen Film
sehen, manchmal sogar dreimal. Im Edison
verbrachte ich einen Großteil meiner
Kindheit." An einer Szene aus Rene Clements
Klassiker Verbotene Spiele erinnert
sie sich auch heute noch: "Gleich nach der
Ermordung ihrer Eltern spricht das Mädchen
ein Gebet aus dem Buch der Psalmen. Diese
Szene hatte mich sehr aufgewühlt und
schockiert, weil das Mädchen mit einem Kreuz
spielte und daher erkennbar keine Jüdin war.
Plötzlich stellte ich fest, dass uns beide
der Glaube an Gott verbindet, denn diesen
Psalm sangen wir in unserer Familie jeden
Shabbat Nachmittag während der dritten
Mahlzeit, und er war Teil meiner
persönlichsten religiösen Erfahrung." Dass
ein orthodoxes Mädchen ins Kino geht, war
schon damals absolut ungewöhnlich.
Greenfields Eltern waren nicht begeistert,
"aber die beiden Tanten wollten, dass wir
ungewöhnliche Kinder werden. Ich als
Jüngstes von fünf Kindern habe auch die
meisten Filme gesehen - französische und
amerikanische - und so eine ganz neue Welt
entdeckt." Greenfield ist bis heute ein
Filmfreak und plant sogar, ein Buch übers
Kino zu schreiben, "obwohl ich ziemlich
orthodox bin".
Nach der
jüdischen Gesetzgebung waren die
"Kinospiele" nicht verboten. "Die Rabbiner
waren dagegen, weil dies ein fremdes
Phänomen ist, uns schlecht beeinflussen
könnte und in ihren Augen
Zeitverschwendung." Aber nicht nur die
Grenzen der Orthodoxie verschieben sich in
Jerusalem, das immer frommer wird. Auch die
physischen Grenzen zwischen orthodoxen und
nicht-orthodoxen Juden verändern sich. Der
Stadtteil Zichron Moshe, an dessen
Hauptstraße Jesha'ayahu (Jesaja) sich das
Kino befand, wurde 1905 von religiösen und
säkularen Zionisten gegründet, die hier
friedlich nebeneinander lebten. Im Haus
gegenüber, der Lämel-Schule, besiegten 1914
die jungen zionistischen Lehrer die älteren
im "Sprachenkrieg" und setzten das
Hebräische als Unterrichtssprache an Stelle
des Deutschen. Heute residiert dort eine
Religionsschule, in der man nur Jiddisch
spricht.
1932 wurde
direkt gegenüber Edison, die größte
und modernste Kulturstätte Jerusalems
eröffnet, die einzige mit einer Klimaanlage.
Kurz davor vereinbarten alle drei
Filmhäuser, den Shabbat nicht zu entweihen.
Aber durch die große Nachfrage wurden die
Kassen bereits vor dem Ende des Ruhetags
eröffnet. Die Veranstaltungen selber - auch
klassische Konzerte, Theateraufführungen,
Shows und Lesungen - fanden in der Regel
nach dem jüdischen Ruhetag statt. Jeden
Samstagmorgen wurde dort in den 50er-Jahren
ein Vortrag gehalten, und da die Redner im
großen Saal oft nicht klar zu hören waren,
entweihte die Leitung den Shabbat heimlich.
In der Blumenvase auf dem Tisch versteckte
man ein kleines Mikrofon, von dem die
meisten nichts wussten. Denn das Einschalten
eines elektrischen Geräts gilt als Arbeit
und die ist am Shabbat verboten. Eines Tages
kam ein Referent aus Tel Aviv, der in dieses
Geheimnis nicht eingeweiht worden war. Er
redete und lief gleichzeitig auf der Bühne
hin und her. Ein Zuhörer beschwerte sich:
"Lauter! Man hört nicht!" Der Redner war
verlegen, aber gleich darauf rief ihm ein
orthodoxer Zuhörer zu: "Sprich in die
Blumen!" Die Besucher der unmittelbar
angrenzenden Synagogen protestierten und
wurden dabei von radikalen
anti-zionistischen Ultraorthodoxen
unterstützt. Sie forderten, dass die Kassen
am Shabbat geschlossen blieben und keine
Plakate unkeuscher Damen gezeigt würden.
Massendemonstrationen und Steinwürfe gegen
die Entweihung des Shabbat wurden mit
polizeilicher Gewalt durchbrochen. Diese
wöchentlichen Straßenschlachten einigten
alle Orthodoxen in Jerusalem gegen das Kino.
Den Sieg über die säkulare Vergnügungsstätte
werden sie aber auf andere Weise erringen.
Die hohe
Geburtenrate der Orthodoxen und die
allmähliche Abwanderung der Säkularen
veränderten den Stadtteil. Zwei
Brandanschläge (1965 und 1975) und die
Schließung des benachbarten Platzes am
Shabbat durch den Bürgermeister Teddy Kollek
(1965) leiteten den Niedergang des Hauses
ein. Nach der Eröffnung modernerer
Kulturhäuser wie das Jerusalem-Theater 1971
beschränkte sich Edison ohnehin auf
Filme. Kurz nach der Einführung des ersten
privaten Fernsehkanals ging bei Edison
1995 das Licht aus. 2006 wurde die
Immobilie verkauft - ausgerechnet an Satmar
Chassidim. Diese radikale ultraorthodoxe
Gruppe lehnt den Zionismus und den Staat
Israel ab, boykottiert die Wahlen und nimmt
nicht einmal israelische Personalausweise
an. Die "Eroberung" des zionistischen
Symbols feierte eine ultraorthodoxe Zeitung
mit der Schlagzeile: "Edison ist in unseren
Händen". Im Juni 2006 wurde das Gebäude
abgerissen und an seiner Stelle entsteht ein
großer Wohnkomplex ausschließlich für die
Satmar. Im August 2007 feierten 20.000
Chassidim zusammen mit dem aus New York
angereisten Rabbiner Aharon Teitelbaum bei
der Grundsteinlegung den "Sieg über die
unreine israelische Regierung im Kampf um
die Heiligkeit Jerusalems". Vom historischen
Gebäude bleibt nur die denkmalgeschützte
Fassade mit der historischen Uhr, die die
Zeit mit hebräischen Buchstaben anzeigt.
Diese Uhr steht seit Langem und erinnert auf
diese Weise an ein vergangenes Jerusalem.
Seit 1980 ist
Jerusalem einschließlich der 1967
annektierten palästinensischen Stadteile
laut Grundgesetz die ungeteilte Hauptstadt
und das Regierungszentrum Israels. In
Wirklichkeit ist die Stadt jedoch
geografisch dreigeteilt - zwischen dem
palästinensischen Osten und dem jüdischen
Westen, aber auch zwischen dem orthodoxen
Norden und dem säkularen und religiösen
Süden. Die Grenzen zwischen Israelis und
Palästinensern sind durch Mauer und Zaun
festgelegt, und darüber verhandeln Politiker
beider Seiten. Die Grenzen zwischen den
jüdischen Bevölkerungsgruppen sind jedoch
fließend und hängen von demografischen
Faktoren ab. Diese Grenze verlagerte sich in
den letzten Jahren nach Süden und verläuft
entlang der Hauptstraße Derech Jaffa.
Ob man diese Grenze überschreitet, merkt man
an der Kleidung der Passanten und der Zahl
der Antennen auf den Dächern. In nördlichen
säkularen Enklaven kämpfen die Eltern um den
Erhalt der weltlichen Schule. Der Architekt
David Krojanker sagt: "Zuerst kommen die
Religiösen, dann moderne Orthodoxe und bald
ist ein Stadtteil komplett orthodox. In
umgekehrter Richtung passiert so etwas
jedoch nicht".
Als Greenfield
und ihr Mann, ein orthodox gewordener
Kinderarzt, 1985 in den bürgerlichen
Jerusalemer Stadtteil Har Nof einzogen,
lebten dort noch wenige Säkulare. Die
Bewohner hielten eine Abstimmung über die
Schließung der Hauptstraße am Shabbat.
Greenfield, die am Shabbat nicht einmal den
Fahrstuhl benutzt und sicherlich kein Auto,
stimmte dagegen. Sie fand es unmenschlich
den Säkularen gegenüber. "In einer
demokratischen Gesellschaft kann ich nicht
meine Präferenzen auf Kosten anderer
erfüllen." Die überwiegende Mehrheit war
anderer Meinung, die Straße wurde gesperrt
und die Säkularen verließen allmählich den
Stadtteil, in dem heute 30.000 Orthodoxe
leben.
Die
zionistischen Juden (Säkulare und
Nationalreligiöse) sind bereits in der
Minderheit in Jerusalem. Nach einer
aktuellen Studie zählen sie nur knapp 44%
der 746.000 Einwohner. Die 167.000
Orthodoxen zusammen mit den 252.000 Arabern
stellen die Mehrheit dar. Seit 2003 ist mit
Uri Lupolianski der erste ultraorthodoxe
Bürgermeister im Amt. In den vergangenen
Jahren verließen Jerusalem jährlich 6.000
Menschen mehr als hinzogen. Wenn sich die
jetzige Tendenz fortsetzt, wird Jerusalem
immer religiöser. Die Ultraorthodoxen
stellen fast ein Viertel der Jerusalemer
Bevölkerung dar, aber 39 % der Kinder sind
ultraorthodox. Im letzten Jahrzehnt ging die
Zahl der zionistischen Schüler um 10%
zurück, die der Ultraorthodoxen nahm um ein
Drittel zu.
Auch Tzvia
Greenfields fünf Kinder studierten anfangs
in ultraorthodoxen Schulen. Aber die
"Ultraorthodoxe mit Schattierungen" trifft
persönliche Entscheidungen selbstständig,
eine Seltenheit in der immer konformeren
ultraorthodoxen Welt. Sie studierte
Philosophie und Geschichte und erwarb
inzwischen einen Doktortitel in politischer
Philosophie. Vor Jahren nahmen die
Greenfields die beiden Söhne aus der
ultraorthodoxen Religionsschule und
schickten sie auf eine national-religiöse
Institution. Unter anderem wollten sie, dass
die Jungs Militärdienst leisten: "Die Armee
ist ein Teil der israelischen Staatlichkeit,
damit wir uns verteidigen können und nicht
wie Lämmer zur Schlachtbank geführt werden.
Das widerspricht nicht meinem Streben nach
Frieden." Aber auch in der neuen Schule
tauchten Probleme auf. Eines Tages hieß es,
alle Schüler werden den Shabbat in einer
Siedlung verbringen. Greenfield, eine
Kritikerin der Siedlungspolitik, lehnte ab,
wurde zur Schulleitung zitiert, wo sie
klarmachte, dass sie "eine gute Jüdin" sei.
Die Kinder blieben zu Hause. "Ich muss
betonen, dass, obwohl die Schulleitung
absolut für die israelische Kontrolle des
Westjordanlandes ist, sie die Kinder
keineswegs bestrafte. Und den Kindern sagte
ich: ihr solltet lernen, Individualisten zu
sein, denn ihr werdet immer in der
Minderheit sein."
Tzvia Greenfield
predigt eine humane, moralische und
weltoffene jüdische Orthodoxie, ist
Vorstandsmitglied der
Menschenrechtsorganisation B'Tselem und eine
der ersten Unterzeichnenden der Genfer
Initiative eines symbolischen
israelisch-palästinensischen Abkommens. Sie
unterstützt gleichgeschlechtliche
Eheschließungen, schaut Fernsehen und liest
säkulare Zeitungen, verehrt Immanuel Kant
und hört gern REM und Nirwana. Gleichzeitig
ist sie Mitglied einer ultraorthodoxen
Synagoge, hält strenge Koschergesetze, trägt
eine Perücke und betont, dass sie ohne die
Thora nicht leben könnte und sich in der
frommen Welt zu Hause fühlt. Sie betont,
dass die Kriminalität bei Ultraorthodoxen
extrem niedrig ist und die gegenseitige
Hilfsbereitschaft sehr groß, dass sie als
Einzelne anständige, herzliche und
rücksichtvolle Menschen sind. Das Problem
sieht sie eher im ultraorthodoxen Kollektiv
- dieses sei misstrauisch, rücksichtslos und
auffordernd. "Sie verschließen sich aus
Angst um ihre konservative Lebensart. Sie
machen sich keine Illusionen, dass
Ultraorthodoxe nach einer Öffnung zur
säkularen Welt die Religion verlassen. Daher
leben sie in einer enormen psychologischen
Defensive. Im Ausland verlassen sie die
Religionsschulen nach der Eheschließung, in
Israel bleiben sie, um vom Militärdienst
befreit zu werden."
Bereits vor dem Mordanschlag auf Rabin
erlebte Greenfield den grenzenlosen Hass der
Ultraorthodoxen gegen den Premier auch in
der eigenen Familie. Die Ultraorthodoxen
spielten zwar eine marginale Rolle in den
gewalttatigen Aktionen gegen den
Friedensprozess. Ihre Gewalt begrenzte sich
auf Brandanschläge gegen Bushaltestellen mit
unkeuschen Plakaten, benachbarten
unkoscheren Restaurants und Autos, die am
Shabbat fuhren. Die potenzielle politische
Gewaltbereitschaft der Ultraorthodoxen ist
dennoch so hoch wie ihre Ablehnung der
demokratischen Werte. So unterstützten 70%
der Ultraorthodoxen illegale Aktionen bis
hin zur Gewaltanwendung gegen den
Friedensprozess - im Vergleich waren 45% der
Religiösen und 40% der Säkularen dieser
Ansicht. Zwei Drittel der Ultraorthodoxen
unterstützen eine Theokratie in Israel, nur
19% der Religiösen und keine der Säkularen
waren dieser Meinung. Nur 39% der
Ultraorthodoxen, aber eine knappe Mehrheit
der Religiösen und drei Viertel der
Säkularen würden eine Demokratie
unterstützen, deren Politik sie ablehnen.
Greenfield
glaubt, dass diese Haltung aus Angst und
Unkenntnis resultiert. Um orthodoxen und
religiösen jüdischen Israelis die
humanistischen und demokratischen Werte zu
vermitteln, gründete sie 1993 das
Mifne-lnstitut (hebräisch für Wende).
"Einen Tag in der Woche kommen 100
intelligente, charismatische Jugendliche um
die 20, um über Humanismus in der jüdischen
Kultur und die Entwicklung der
demokratischen Philosophie zu lernen." Nur
Ultraorthodoxe bestürmen die Türen des
Wendeinstituts nicht. "Auch wenn in jedem
Programm ein oder zwei kamen, diskutierten
sie endlos über historische Fakten, die sie
einfach nicht wahrhaben wollten. Es scheint,
als ob es in diesem Alter zu spät ist, das
zu verbessern, was das ultraorthodoxe
Bildungssystem zerstört hat."
Tzvia Greenfield
wurde niemals angegriffen, erhielt aber
mehrere Mordandrohungen, auch weil sie in
einem Interview erzählte, dass das Institut
auch von der Europäischen Union gefördert
wird. "Eines der unangenehmsten Telefonate
war von einem Deutschsprechenden. Er sagte,
ich würde liquidiert, weil ich Arabern
helfen würde, Juden zu ermorden, und damit
Verrat beginge. In Synagogen hielt man
Predigten gegen mich. Sie bat dennoch
niemals um Polizeischutz und sagt, sie
befürchtet keinen Mordanschlag: "Ich bin zu
unwichtig, damit jemand eine lebenslange
Haftstrafe meinetwegen riskieren würde." Die
Webseite ihres Instituts wurde gelöscht,
nachdem sie immer wieder mit Hassreaktionen
überschüttet worden war. Mit der Zeit
brachte der Erfolg der Demokratiekurse
jedoch auch für Greenfield eine kleine
Wende. Der Vater eines Absolventen,
Vorsteher der großen Synagoge in Har Nof,
lud sie ein, um am Shabbat im Bethaus einen
Vortrag zu halten. "Ich freute mich über die
ungewöhnliche Einladung, sagte jedoch, dass
ich nur dann komme, wenn der Synagogenrat
zustimmt." Der Termin fand nicht statt. Zu
groß war die Wut gegen die selbstkritische
Dame.
Bei den letzten
Parlamentswahlen machte Greenfield erneut
Geschichte als orthodoxe Frau in der
linksliberalen Meretz-Partei. Sie gewann den
sechsten Listenplatz, wurde von vielen
Säkularen bejubelt, verfehlte aber im März
2006 knapp den Sprung in die Knesset.
Zwölf Jahre nach dem Mordanschlag an Rabin
lässt sie der Vorfall an seinem Sarg nicht
los. Was könnte ein Jude zu diesem
konzentrierten grenzlosen Hass führen? Warum
konnte er keinerlei Mitleid mit dem
Ermordeten fühlen? "Es ging bei ihm nicht
speziell um Rabin, sondern um einen
bemerkenswerten säkularen Staatsmann", sagt
sie. "Dass ausgerechnet die Zionisten durch
die Staatsgründung die säkulare Lösung für
das jüdische Volk fanden, ist für die
Ultraorthodoxen ein historisches und
theologisches Problem."
Der ultraorthodoxe
Rabin-Hasser ist kein Einzelfall. Obwohl
Umfragen unter Ultraorthodoxen selten sind,
weil die Forscher auf wenig Kooperation
stoßen, zeigt eine Studie des Tami
Steinmetz Center for Peace Studies einen
direkten Zusammenhang zwischen der
Religiosität der Israelis und ihrer
Unterstützung des Oslo-Prozesses. Während
54% der Säkularen die Versöhnung mit den
Palästinensern unterstützten, waren es nur
18% der Religiösen und nur 9% der
Ultraorthodoxen. Zwei Drittel der säkularen
Israelis sagten, das palästinensische Volk
wolle Frieden, aber nur ein Drittel der
Religiösen und knapp 5% der Ultraorthodoxen
teilten diese Ansichten. Während sich 59%
der Säkularen als Linke definierten, taten
dies nur 10% der Religiösen - und kein
einziger Ultraorthodoxer. Immer zum
Jahrestag der Ermordung Rabins macht sich
Tzvia Greenfield Sorgen um den jüdischen
Fundamentalismus, dessen Macht sie durch
Aufklärung einschränken will.
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Die Gesellschaft neu
organisieren:
Erste ultra-orthodoxe Knesset-Abgeordnete
vereidigt
Erstmals in der Geschichte ist eine
ultra-orthodoxe Jüdin als Abgeordnete im
israelischen Parlament vertreten. Die
Politikerin Zvia Greenfield trat am Dienstag
in der Knesset die Nachfolge von Jossi
Beilin an. Der frühere Vorsitzende der
linksgerichteten Meretz-Partei hatte eine
Woche zuvor mitgeteilt, er werde sich aus
dem politischen Leben zurückziehen...
Überraschender Abschied:
Yossi Beilin verlässt die Politik
Der frühere Vorsitzende der Meretz-Partei,
Yossi Beilin, verlässt den israelischen
Politikbetrieb. Der bekannte Politiker
teilte mit, dass er in den nächsten Tagen
aus der Knesset ausscheiden und in die
Privatwirtschaft überwechseln werde. Seinen
Abgeordnetensitz wird Zvia Grinfeld
übernehmen...
Vor den Wahlen:
Michaeli geht zur Linken, Bugi stärkt Bibis
Likud
Im Vorfeld der anstehenden Wahlen gibt es
weitere personelle Neuerungen im
israelischen Parteiensystem. Die im Aufbau
begriffene neue linke Partei unter der
Führung des Meretz-Vorsitzenden Chaim Oron
erwartet weibliche Verstärkung. So hat die
prominente TV-Moderatorin und Feministin
Merav Michaeli ihre grundsätzliche
Bereitschaft erklärt, der Einladung zum
Parteibeitritt zu folgen...
Aufruf zur Gewalt durch ein
angesehenes Mitglied des rabbinischen
Establishments:
Der Fall Hecht
Teil 6 - Im Juli 1995 waren
die Angriffe auf Rabin so heftig und
allgemein geworden, dass dem Premier eine
grimmige Bemerkung über "eine kleine Gruppe
Rabbiner in Amerika" entfuhr, "die man
besser als Ayatollahs bezeichnen sollte"...