"Dissidenten" beim Front National:
Konkurrierende rechtsextreme Listen in allen Regionen?
Von Bernard Schmid, Paris
Ein ziemliches Chaos hat bei der selbsternannten "Partei
der Ordnung" Einzug gehalten. Während die politischen Parteien allmählich
mit der Vorbereitung der kommenden Europaparlamentswahlen im Juni 2009
beginnen, ist der rechtsextreme Front National nicht wirklich "in
Marschordnung" aufgestellt.
Voraussichtlich wird es sogar "in allen Wahlregionen"
konkurrierende Listen zu denen des FN, innerhalb des rechtsextremen
Spektrums, geben. Dies kündigte einer der derzeitigen Vizepräsidenten der
Partei, ihr "Steuerpolitiker" Jean-Claude Martinez, an. Martinez, der seine
regionale Basis in Montpellier hat und zugleich Steuerrecht an der
Universität Paris-2 (Assas) unterrichtet, wird als Spitzenkandidat einer
eigenen Liste in der Südwest-Region gegen jene des FN antreten. Dies war am
30. Oktober einer Meldung auf der Webpage der konservativen Tageszeitung 'Le
Figaro' zu entnehmen. Dort bestätigte Martinez vom zentralamerikanischen
Staat Panama aus, wo er sich aufhielt, eine entsprechende Information der
rechtsextremen Wochenzeitung 'Minute' vom 29. Oktober.
Die durch Martinez angeführte respektive angestrebte Liste
wird demnach "Haus des Lebens und der Freiheit"(Maison de la vie et de la
liberté) heißen. Unter entfernter Anlehnung an einen durch die italienische
Rechte in jüngerer Zeit benutzten Listennamen. Die "Stammpartei", der
Rumpf-FN, wird in Südwestfrankreich bei der EP-Wahl voraussichtlich durch
ihren jungen Generalsekretär Louis Aliot als Spitzenkandidat vertreten
werden. Er steht Marine Le Pen. Der "Abweichler" Jean-Claude Martinez
seinerseits gibt den Aufstieg der "Cheftochter", gegen den er opponiert, als
Grund für seinen Alleingang an.
Am 31. Oktober war einer Kurzmeldung der Wirtschaftszeitung 'Les Echos' zu
entnehmen, Martinez wolle nun "in allen Regionen" solche
"Dissidenten-Listen" aufstellen. Bei den Europaparlamentswahlen wird
Frankreich in acht Super-Wahlkreise eingeteilt. (Aufgrund einer
Wahlrechtsreform von 2003/04 firmiert es bei der EP-Wahl nicht mehr, wie
früher, als einheitlicher Wahlkreis mit Fünf-Prozent-Hürde. Das Motiv der
Regierung für die Änderung war, die Erfordernisse für den Einzug kleinerer
Parteien in die Höhe zu schrauben: Waren früher landesweit 5 Prozent der
Stimmen erforderlich, so wird jetzt der Prozentsatz benötigt, der einem Sitz
entspricht. Wenn eine "Superregion" aber nur insgesamt 8 Sitze erhält, dann
ist eben mindestens ein Achtel der Stimmen erforderlich.)
Ende Oktober hat der FN nun auch seine ersten Spitzenkandidaten für bisher
vier "Superwahlkreise" ernannt. Jean-Marie Le Pen wird in Südostfrankreich
antreten, seine Tochter Marine Le Pen in der Nord-Region, Bruno Gollnisch im
östlichen Raum rund um Lyon. Voraussichtlich wird ferner der Ex-Linke und
pseudointellektuelle Provokateur Alain Soral die Spitzenkandidatur in der
Hauptstadtregion Ile-de-France erhalten. Hingegen überlegt der im Oktober
2005 aus dem Amt geschiedene frühere Generalsekretär des FN, der mutmaßliche
neuheidnische Nationalrassist Carl Lang (Nordfrankreich), derzeit noch, ob
er bereit ist, auf einem Listenplatz Nummer 2 oder 3 (hinter Marine Le Pen)
für den FN zu kandidieren. Oder aber ob auch er nicht lieber auf einer
"Dissidenten-Liste" antreten möchte.
Die Präsenz von "Dissidenten-Listen" könnte sich u.U. auf
vorhandene regionale Unzufriedenheiten innerhalb des FN gegenüber Pariser
Parteiführung stützen. Zu einer Zeit, wo das innerorganisatorische
"Parteileben" weitgehend ausgetrocknet ist – durch die persönlichen
Allmachts-Ansprüche des alternden Jean-Marie Le Pen, sowie aufgrund der
anhaltenden Querelen -, kommt es immer wieder zu Reibereien und zum
Aufmucken regionaler Kader. Jüngst schufen unzufriedene Parteifunktionäre in
der südostfranzösischen Region PACA (Provence-Alpes-Côte d’Azur) deswegen
einen eingetragenen Verein unter dem Titel "front régional". Der Infodienst
des militant-neofaschistischen Spektrums, "Novopress", und andere Quellen
veröffentlichte(n) den Gründungsaufruf vom 24. Oktober dieses Jahres. Ihn
haben vier langjährige lokale Prominente des FN unterschrieben. Es handelt
sich um Guy Macary (ehemals Spitzenkandidat bei der Regionalparlamentswahl
2004), Ronald Perdomo, Philippe Beauregard und Michelle Carayon. In ihrem
Aufruf werfen sie der Parteiführung u.a. eine völlige Vernachlässigung der
örtlichen Basis vor. Jean-Marie Le Pen antwortete ihnen aggressiv: Er
verlangte von den "Renegaten" die sofortige "Auflösung dieser
Phantomorganisation". Ansonsten drohe ihnen eine Vorladung vor die
Disziplinarkommission der Partei, um sie wegen Verstoßes gegen die
Parteidisziplin zur Rechenschaft zu ziehen.
"Mäßigung" ist vorbei:
Der Front National im Umbruch
Marine Le Pen bemüht sich um Integrationsfähigkeit nach Rechtsaußen - und
bereitet sich auf die Übernahme der Parteispitze vor... |