Französische extreme
Rechte:
Umgruppierungen und Vorbereitungen auf ein munteres
Parteien-Sterben
Jean-Marie Le Pen erwägt
erstmals offiziell seinen Abgang aus der aktiven Politik, und von der Spitze
des Front National (FN). Eine abschließende Regelung der bislang noch
umstrittenen Nachfolgefrage - in seinem Sinne - deutet sich an. Der FN
könnte damit unter Umständen aus der tiefen inneren Zerrissenheit und aus
der Krise, in die er seit über einem Jahr schlitterte, herauskommen.
Unterdessen scheinen die mit ihm konkurrierenden Parteigründungen, unter
ihnen der MNR und die 'Nouvelle Droite Populaire', am Abgrund einer
(tödlichen?) Krise zu stehen.
Von Bernard
Schmid, Paris
Auf der extremen
Rechten in Frankreich dürften einige es als gute Nachricht auffassen, andere
wiederum als schlechte. Unerwartet hingegen kommt sie auf keinen Fall. Die
Nachricht lautet: Jean-Marie Le Pen plant, "endlich", seinen Rückzug aus der
aktiven Politik. Der rechtsextreme Politiker, der im Juni dieses Jahres das
Alter von 80 erreicht hat, steht seit über einem halben Jahrhundert auf der
politischen Bühne: Im Januar 1956 war er, für die antisemitisch grundierte
Anti-Steuer-Protestpartei der "Poujadisten", als damals jüngster
Abgeordneter ins französische Parlament gewählt worden.
Nun soll Schluss ein.
Allerdings erst im Jahre 2010, also nach den Europaparlamentswahlen des
kommenden Jahres - beim nächsten Parteikongress des Front National (FN), den
Jean-Marie Le Pen im Oktober 1972 gegründet hat und dessen Vorsitz er
seither ununterbrochen innen hat. Und es soll auch nur dann Ernst werden mit
seinem Abschied von der Parteispitze, wenn nicht "außergewöhnliche Umstände"
ihn dazu zwingen, so Le Pen, 2012 noch einmal als Präsidentschaftsbewerber
anzutreten. Es wäre seine sechste Kandidatur für das höchste Staatsamt.
Dabei waren Viele in seiner eigenen Partei schon der Auffassung, dass jene
von 2007 bereits "die Kandidatur zu viel" gewesen sei. Laut zu sagen wagte
das allerdings kaum jemand. Noch immer ist das Wort "des Chefs" beim FN
quasi Befehl.
Wie sich bereits in
den letzten Jahren abzuzeichnen begann, möchte Jean-Marie Le Pen dabei aber
unbedingt seine Tochter Marine, die vor kurzem 40 geworden ist, zu seiner
Nachfolgerin küren. Unüberhörbarer denn je verkündete der alternde "Chef"
dies in seinem letzten gröberen Interview, das am 11. September 2008 in
Valeurs Actuelles – dieses Wochenmagazin steht zwischen Konservativen
und Rechtsextremen – erschien. Er lobte darin nicht nur Marine Le Pen, die
aufgrund ihres Alters "den Leuten und ihren Alltagssorgen" näher stehe als
er selbst und seine Altersgenossen. Er räumte dabei auch ihre wichtigsten
Rivalen verbal aus dem Wege. Der Juraprofessor Bruno Gollnisch, der andere
Vizepräsident der Partei neben seiner Tochter? "Bruno Gollnisch ist seit 30
Jahren da (gemeint: in der Politik). Er hat sich nicht nach vorne gedrängt,
das ist vielleicht einer seiner Charakterzüge." Und Aus für den Mann, den er
noch vor drei, vier Jahren offiziell als seinen "Kronprinzen" (dauphin)
dargestellt hatte.
Unterdessen schieben
die Le Pens, Vater und Tochter, noch weitere potenzielle Konkurrenten von
Gewicht zur Seite. Zu ihnen zählt der frühere Generalsekretär der
rechtsextremen Partei, Carl Lang, der im Oktober 2005 von seinem damaligen
Amt zurücktrat. Seitdem hat er keine innerparteiliche Funktion mehr inne,
sondern hat nur noch sein Mandat im Regionalparlament der französischen
Nordregion in Lille, aber auch den Vorsitz der dortigen FN-Fraktion inne.
Allerdings droht dieselbe Fraktion auch akut auseinanderzubrechen: Laut
einem Bericht der rechtsextremen, aber vom FN unabhängigen Wochenzeitung
'Minute', der allerdings auch schon wieder ein paar Monate alt ist,
sollen 12 von insgesamt 18 Regionalparlamentariern des FN dort mit einem
Übertritt zur konservativ-reaktionären Mittelstandspartei CNI liebäugeln.(1)
Eine solche Versuchung
wäre durchaus nachzuvollziehen, hat Jean-Marie Le Pen ihnen doch – gerade in
ihrer Region – nicht wirklich einen Gefallen erwiesen: Als zu Anfang dieses
Jahres der Kassenrenner 'Bienvenue chez les Ch'tis' (Ungefähr:
"Willkommen bei den Nordfranzosen", Ch'tis ist ein Dialektwort zur
Bezeichnung der Ureinwohner der Nordregion) in die Kinos kam – ein Film mit
viel Lokalkolorit und Sozialromatik, der über 20 Millionen Eintritte
erzielte – hatte Carl Lang den Erfolg des Films zunächst im Namen seiner
Fraktion beansprucht. Dessen Erfolgszug sei, behauptete er, deshalb möglich
geworden, weil der FN im Regionalparlament einer Subvention für das
Filmprojekt zugestimmt habe. Was er in Wirklichkeit neben anderen
Fraktionen, darunter jener der in der Nordregion politisch dominierenden
Sozialdemokratie, tat.
Aber kaum hatte Carl
Lang seine Argumentation aufgeschichtet, drehte Jean-Marie Le Pen sich um
und "riss sie mit dem Hintern wieder ein" (lt. einem französischen
Sprichwort): In aller Öffentlichkeit höhnte der alternde Chef des FN im
April, dieser Film sei nicht nur "mittelmäßig", sondern gleich auch noch ein
Ausdruck "der Dekadenz der französischen Kultur". Noch weiter ging
Jean-Marie Le Pen kurz darauf, wobei er sich einmal mehr als Opfer einer
"Meinungsdiktatur" hinstellte und über die Hauptdarsteller des Films, "alle
beide Araber", spottete. Damit hatten die FN-Politiker vor Ort nun ein
Problem mehr, auch wenn die Cheftochter Marine Le Pen sich beeilte zu
vergewissern, dass der Film ihr gut gefallen habe. Nun versuchten manche
örtlichen FN-Prominenten sich in delikaten Gleichgewichtsübungen zwischen
der Loyalität "zum Chef" und ihrer lokalen politischen Anbindung... Na ja,
vielleicht wird der Alte an der Parteispitze auch nur einfach senil?
Zurück zu Carl Lang:
Der blonde 51jährige (mutmaßlicher "Thor-Gläubiger", also Neuheide in der
Tradition der "rassialistischen" Nouvelle Droite) gilt als einer der Hüter
der programmatischen "Orthodoxie" in der Partei, vor allem auch bezüglich
ihrer rassistischen und nationalistischen Aussagen. Und er ist notorisch
besorgt über eine "Modernisierung" des Parteiprogramms unter einer
aufstiegsbewussten jungen Vorsitzenden Marine Le Pen, die "viel zu weit"
gehen könnte. Le Pen (Vater) möchte ihm nun aber definitiv eine Kandidatur
auf einem der Spitzenplätze zu den nächsten Europaparlamentswahlen verbauen:
Wer "keine aktive Rolle im Parteileben" spiele, so zürnt der
Gottvater-Parteivorsitzende, könne auch keinen vorderen Listenplatz
erhalten. Umgekehrt hat Lang bereits angekündigt, er werde bestimmt keinen
Platz als Nummer 2 oder 3 hinter Marine Le Pen auf einer der Listen zur
Europaparlamentswahlen einnehmen.
"Traditionalist" Carl Lang oder "Erneuerer" Alain Soral?
Bei den Wahlen zum
Europäischen Parlament bildet Frankreich – infolge der jüngsten Reform des
Wahlrechts zu Anfang dieses Jahrzehnts, die dazu diente, kleineren Parteien
den Erwerb von Mandaten zu erschweren – kein einheitliches Wahlgebiet,
sondern wird in 8 Riesenwahlkreise eingeteilt. Marine Le Pen wird mutmaßlich
in der erweiterten Hauptstadtregion – Ile-de-France – kandidieren. In ihrem
Gepäck bringt sie, laut ersten Ankündigungen, als "Überraschungskandidaten"
den Berufsprovokateur und Schriftsteller Alain Soral mit. Was nicht mehr gar
so überraschend kommt: Der frühere Linke berät schon seit Februar 2006
offiziell die Le Pens, Vater und Tochter. Allerdings ist er innerparteilich
heftig umstritten, u.a. weil Alain Soral der hauptsächliche Erfinder des
Konzepts ist, wonach der FN sich auch an die französischen
Staatsbürger/innen ausländischer Herkunft als Mitglieder einer nationalen
Schicksalsgemeinschaft wenden müsse.
Ihm wird von Teilen
der Partei maßgeblich die Niederlage bei den Wahlen von 2007 angelastet.
Alain Soral ist es auch, der den schwarzen bzw. "Mischlings"franzosen und
ehemals prominenten Theatermacher Dieudonné, der seit 4 bis 5 Jahren
zunehmend starke antisemitische Tendenzen an den Tag legt, erfolgreich an Le
Pen und den Front National angenähert hat. Jüngst erst sorgte die Nachricht,
wonach Jean-Marie Le Pen dem Vater seiner neuen Patentochter seit Juli 2008
– also Dieudonné – 60.000 Euro für einen "Mietvertrag" über dessen Theater
zugeschustert hatte, Streit und Verärgerung unter Parteifunktionären des FN
aus.
Alain Sorals
Organisation "Egalité & Réconciliation" – "E & R", also "Gleichheit und
Aussöhnung" – versteht sich darauf, die faschistischen Potenziale auch
innerhalb der "ethnischen Minderheiten" oder der aus Migration stammenden
Bevölkerung(sgruppen) in Frankreich anzusprechen und aus- oder abzuschöpfen.
So arbeitet er neben den Dieudonné-Anhängern auch mit der Gruppierung 'Banlieue
Anti-Système' zusammen, die inzwischen mit den Anhängern des
durchgeknallten schwarzen, "ethno-zentristischen" Antisemitenführers "Kémi
Séba" alias Stellio Capochichi fusioniert hat. Soral gilt aber innerhalb des
FN als, umstrittener, Wortführer einer "Modernisierung" des Parteiprofils –
der von so manchen Parteimitgliedern glatt des Antirassismus geziehen wird.
Laut einer Umfrage,
die Valeurs Actuelles zeitgleich zum Interview mit Jean-Marie Le Pen
publizierte, wünschen sich gleichzeitig 76 % der FN-Sympathisanten Marine Le
Pen zur künftigen Parteichefin, 14 % wünschen Gollnisch als Vorsitzenden und
nur 7 % den persönlich eher blass wirkenden Lang. Keine guten Nachrichten
für die Traditionalisten. Unterdessen scheint es aber noch heftige
innerparteiliche Spannungen im Hinblick auf die Rolle Marine Le Pens zu
gehen. Letztere sah sich jedenfalls veranlasst, eine durch die Wochenzeitung
'Minute' kolportierte Meldung, derzufolge die Gründung eines
Unterstützerclubs für die Cheftochter unter dem Titel "Alliance Bleu
Marine" (auch: "Bündnis Marineblau") unmittelbar bevorstehe, eigens
durch ein Pressekommuniqué zu dementieren. Es handele sich, so die
Pressemitteilung, bei der Veröffentlichung dieser – angeblichen – Nachricht
lediglich um einen Versuch, ihr Schaden zuzufügen.
Pleite
des FN abgewendet
Eine bessere Zukunft, als die Parteiführung sich noch in jüngster Zeit
erhoffen konnte, scheint sich für den FN abzuzeichnen. Denn der noch vor
wenigen Monaten drohende finanzielle Ruin der rechtsextremen Partei scheint
abgewendet: Aufgrund der Tatsache, dass der frühere Parteisitz im Pariser
Nobelvorort Saint-Cloud sich im Verkaufsverfahren befindet (eine chinesische
Universität im Raum Shanghai wird ihn voraussichtlich aufkaufen), hat der
Anwalt des FN-Europaparlamentariers und früheren Druckunternehmers der
Partei – Ferdinand de Rachinel – Ende September das von ihm angestrengte
Bankrottverfahren gegen den FN als säumigen Zahler aufgegeben. Mit dem
angestrebten Verkauf des bisherigen, von 1994 bis 2008 benutzten
Parteisitzes werden sich die Schulden auch ohne Zwangsvollstreckung
eintreiben lassen.
Ob, im Zusammenhang damit, noch weitere Deals hinter den Kulissen
abgeschlossen wurden, ist nicht bekannt. Bis dahin hatte dem Vernehmen nach
die "alte Garde" unter den Parteifunktionären, oder ein Teil von ihr,
Ferdinand de Rachinel mit seiner Zahlungsklage unterstützt, um Druck auf den
eigenen Parteiapparat auszuüben. Denn den "Modernisierern" unter Marine Le
Pen wird unterstellt, einerseits de Rachinel (durch Nichtzahlung der ihm
geschuldeten Summen) "hinausgeekelt" zu haben – andererseits aber auch die
durch die Zahlungsschwierigkeiten der Partei ausgelösten Entlassungen von
Hauptamtlichen zu nutzen, um ihnen Unliebsame auf dem Kündigungsweg
loszuwerden. Rein zufällig wurde so beispielsweise Marine Le Pens Ex-Ehemann
Eric Iorio auf diese Weise vor die Tür gesetzt.
Spaltprodukte des
Front National (MNR, NDP…): Vor dem Aus? Jedenfalls aber tief im
Schlamassel…
Und, was aus Sicht des FN vor allem wichtig ist: Seine diversen
Spaltprodukte – andere rechtsextreme Parteien, die aus den wachsenden
politischen Widersprüchen innerhalb des eigenen Spektrums heraus entstanden
waren – zerlegen sich derzeit aktiv selbst.
Dies gilt insbesondere für den MNR (Mouvement National Républicain),
der schon 1999 unter Bruno Mégret entstand und dessen damalige Abspaltung
den FN seinerzeit über die Hälfte seiner Mandatsträger in (Regional-)
Parlamenten, seiner Kader und "Intellektuellen" mit oder ohne
Anführungsstriche verloren. Sein langjähriger Parteivorsitzender, Mégret,
hatte sich im Mai 2008 aus der Politik verabschiedet und sich zurückgezogen,
um auf Madagaskar für ein französisches Unternehmen zu arbeiten. Nun kehrte
er aber zurück, um Mitte September 2008 einen Grobteil des aktuellen
Vorstands zu stürzen. Unter anderem wurden Generalsekretär Nicolas Bay und
sein Stellvertreter Jacques Gaillard wegen "parteischädigenden Verhaltens"
aus dem MNR ausgeschlossen.
Ihnen wird vorgeworfen, mit Hilfe einer neuen Struktur unter dem Namen
Convergences nationales (ungefähr: "Konvergierende nationale Kräfte")
eine Annäherung an Marine Le Pen einzuleiten – was mutmaßlich auch zutrifft.
In der Tat antworteten die Betroffenen auf die Vorwürfe, die ihnen von
anderen Teilen der Partei(führung) adressiert werden, auf Webpages, die
offen (Marine) Le Pen unterstützen. Eine Wieder-Annäherung an ihre
"Altpartei", den Front National, ist somit tatsächlich alles andere als
ausgeschlossen.
Infolge des jüngsten innerparteilichen Umsturzes trat ein Grobteil der
bisherigen Führungsmitglieder des MNR umgehend aus. Wahrscheinlich wird sich
ein Teil dieser Funktionäre, das dem seit 1999 "blutleeren" FN fehlte, doch
noch um ihre bisherige "Altpartei" scharen - trotz des Aufstiegs der den
Ideologen eher suspekten Marine Le Pen. Unterdessen wird vermutet, dass sich
das Aktivistenpotenzial des (bei Wahlen seit Jahren chronisch erfolglos
erfolglosen) MNR perspektivisch in zwei Richtungen aufteilen wird:
Einerseits wird ein Teil davon sein "Heil" im Anschluss an den,
erfolgreicheren, FN suchen. Auf der anderen Seite wird eine andere Fraktion
des bisherigen MNR voraussichtlich zum stiefelfaschistischen, offen
neofaschistischen 'Bloc identitaire' überlaufen.(2)
Dazwischen bleibt, vorläufig, ein winzigklein zusammengeschrumpelter
Rumpf-MNR, den sein frührer Vorsitzender Bruno Mégret zwischenzeitlich
faktisch wieder übernommen hat, bestehen. Der Letzte macht das Licht aus...?
Auch die Nouvelle Droite populaire (NDP), die am 1. Juni 2008 als
weitere Abspaltung vom und "Alternative" zum FN gegründet worden war,
zerfällt. Mitte September dieses Kahres schloss sie ihren bisherigen
Generalsekretär Jean-François Touzé – einen früheren Anwärter auf die
Nachfolge Jean-Marie Le Pens an der Parteispitze des FN – "mit Wirkung zum
17. September um 14 Uhr" aus. Ihm wurden "tiefgreifende ideologische
Differenzen" vorgeworfen: Anlässlich des jüngsten Kräftemessens zwischen
Grobmächten im Kaukasuskrieg (August 2008) hatte er eine
pro-US-amerikanische Position – mit Tönen, die an den Kalten Krieg
erinnerten – bezogen, während andere Teile der NDP-Führung unter Robert
Spieler hingegen ein eng an Russland angelehntes "starkes Europa"
befürworteten. In der Ausschlussbegründung werden Touzé "atlantizistische,
zionistische, wirtschaftsliberale und bürgerliche" Positionen vorgeworfen.
Viel-Parteigründer Touzé – er hat bereits mehrfach rechtsextreme
Kleinparteien wie den, bedeutungslosen aber noch existenten, Parti
populiste lanciert – gründete alsbald eine neue Organisation unter dem
Namen Nouvelle Droite Républicaine (NDR). Er versucht sich
unterdessen an den rechten Flügel der US-Republikaner dranzuhängen und wirbt
für sich auf Webpages, die eine Wahl John McCains zum US-Präsidenten
favorisieren. (Vgl.
http://serumdeliberte.blogspot.com/2008/09/un-nouveau-parti-de-droite-en-france-le.html)
Eine Position, die stark jener von damaligen FN-Prominenter zur
Unterstützung Ronalds Reagans in den 80er Jahren erinnert, die aber heute in
der französischen extremen Rechten durchaus nicht en vogue ist.
Anmerkungen:
(1)
Vgl. 'Minute'
vom 11. Juni 2008, Seite 3: 'Des lepénistes tentés de rallier le CNI'.
Das CNI(P) oder "Nationales Zentrum der Unabhängigen/Selbständigen (und
Bauern, so der historische Zusatz) ist eine traditionelle
Mittelstandspartei, die vor allem unter der Vierten Republik in den 1950er
Jahren stark war und sich damals an Regierungskoalitionen beteiligte. Ihr
gehörte der – aufgrund einer Währungsreform populäre – damalige
Finanzminister Antoine Pinay, ein früherer Vichy-Kollaborateur, an. In den
Jahren 1958-60 gehörte auch ein gewisser Jean Le Pen (später Jean-Marie Le
Pen), damals der jüngste Abgeordnete im französischen Parlament, ihrer
Fraktion in der Nationalversammlung an. Er war zunächst, im Januar 1956, für
die kleinbürgerliche (und z.T. antisemitisch geprägte)
Anti-Steuer-Protestbewegung der "Poujadisten" gewählt worden, kehrte ihr
aber dann den Rücken und wechselte nach der "Implosion" der poujadistischen
Bewegung das politische Etikett.
Heute ist das CNI allerdings quantitativ quasi bedeutungslos. Es spielte vor
allem in den 80er Jahren, als offene Bündnisse des Bürgerblocks mit der
(parteiförmig auftretenden) extremen Rechten noch nicht ausgeschlossen
schienen, zeitweise eine Rolle als Scharnierpartei zwischen den
konservativ-liberalen Parteien RPR/UDF und dem Front National. Je circa die
Hälfte der aus dem CNI kommenden Kandidaten, die zu den Parlamentswahlen im
Mai 1986 antraten, fanden sich auf den Listen der bürgerlichen Rechten
einerseits und des FN andererseits... Inzwischen, wo offizielle Bündnisse
zwischen dem Bürgerblock und dem FN (als Partei) kaum noch denkbar
erscheinen, hat sich das CNI zu einem Anhängsel der Konservativen auf ihrem
rechten Randflügel reduziert. Zu ihm zählt etwa der (mit einer Art
Doppelmitgliedschaft in beiden Parteien ausgestattete) Abgeordnete der
konservativen Regierungspartei UMP für die Nordregion, Christiane Vanneste,
der aufgrund homophober Äußerungen gerichtlich verurteilt worden ist und
mehrfach als Kolonialismus-Apologet auftrat. Inzwischen ist Vanneste
Vive-Vorsitzender des CNI geworden, das seinerzeit im Juni 2008 seine
frühere Kollektivmitgliedschaft bei der UMP aufgegeben hat. In der
parteiunabhängigen rechtsextremen Wochenzeitung 'Minute' kommen wiederholt
Angehörige des CNI zu Wort.
Auch dem ehemaligen Schwiegersohn Jean-Marie Le Pens und früheren Chef der
Parteijugend FNJ (Front national de la jeunesse) wurde jüngst durch
das – zwischen Konservativen und Rechtsextremen angesiedelte – Wochenmagazin
'Valeurs actuelles' die Ambition nachgesagt, bei der nächsten
Europaparlamentswahl im Juni 2009 für das CNI zu kandidieren. Dies ist
allerdings von Seiten des FN höchst energisch dementiert worden.
Möglicherweise gilt, dass "kein Rauch ohne Feuer" auftaucht. Allerdings
dürfte das CNI derzeit auch absolut chancenlos sein, aus eigener Kraft (und
ohne Listenverbindung mit der UMP, oder aber mit den Nationalkonservativen
unter Philippe de Villiers) einen Sitz im Europaparlament zu gewinnen, wofür
in einem der acht französischen "Superwahlkreise" in der Regel ein
zweistelliges Prozentergebnis erforderlich ist.
(2) Der 'Bloc identitaire' ist die
Nachfolgeorganisation der früheren ultrarechten Sammelbewegung 'Unité
Radicale' (UR), deren Aktivisten der Front National schon damals "zu
schlapp" war. Unité Radicale wurde am 6. August 2002 verboten, nachdem eines
seiner Mitglieder, der 25 Jahre junge Maxime Brunerie, am Nationalfeiertag –
dem 14. Juli 2002 – Gewehrschüsse auf Jacques Chirac abgefeuert hatte. Dabei
handelte es sich jedoch nicht um einen irgendwie gearteten politischen
Putschversuch, sondern tatsächlich um die individuelle Tat eines
"Durchgeknallten". Zuvor hatte derselbe Maxime Brunerie auch, bei den
Parlamentswahlen im Juni 2002, in Paris für den MNR kandidiert.
Der Name 'Bloc identitaire' ist Programm, in Abgrenzung zum Front Natioonal:
Ein "Block" ist stärker zusammengeschweißt als eine (ideologisch in der
Regel relativ heterogene) "Front". Und "identitätsbezogen" als Adjektiv
bezeichnet eine radikalere Konzeption als "national": Während die
Zugehörigkeit zur Nation sich – jedenfalls im bürgerlichen Recht - über die
Staatsbürgerschaft definiert, ist die ominöse "Identität" etwas Angeborenes,
"im Blut" zu Suchendes, angeblich "viel tiefer Verwurzeltes". Das
Paradebeispiel der Anhänger des 'Bloc identitaire' lautet: "Eine aus (dem
westafrikanischen Staat) Mali stammende Familie kann, unter derzeitigen
politischen Verhältnissen, qua Einbürgerung zu <Franzosen> werden. Aber ihre
Mitglieder können deswegen noch lange nicht zu <Bretonen>, <Elsässern> oder
<Auvergnaten> werden." Denn dies sei nun einmal nicht ihre "Identität".
Einer der führenden Aktivisten des 'Bloc identitaire', Philippe Vardon (aus
Nizza), wurde soeben – zusammen mit weiteren Anhängern seiner Gruppierung –
vom Berufungsgericht in Aix-en-Provence in einer doppelten Strafsache
verurteilt. In dem Doppelverfahren ging es einerseits um die "Widergründung
einer verbotenen Vereinigung", da die Jugendorganisation des 'Bloc' (die
'Jeunesses identitaires') als faktische Fortsetzung der verbotenen
Organisation 'Unité Radicale' anzusehen sei. Auf der anderen Seite ging es
um ein Flugblatt "gegen die Islamisierung" unter der Überschrift: "Weder
Verschleierung noch Vergewaltigung" (gemeint: "unserer Frauen und Töchter"
durch die bösen Muselmanen) vor Oberschulen verteilt worden war. Philippe
Vardon, der das Flugblatt verfasst hatte, wurde der "Aufstachelung zum
Rassenhass" für schuldig befunden. Neben ihm wurden auch Verteiler des
Flugblatts belangt. Vardon muss nun in der ersten Angelegenheit 10.000 Euro
Geldstrafe bezahlt (die 'Jeunsesses identitaires' insgesamt 30.000 Euro), in
der zweiten Angelegenheit 5.000 Euro. Ferner wurde Ph. Vardon in beiden
Angelegenheiten zu jeweils vier Monaten Haft auf Bewährung verdonnert.
Infolgedessen erhielt Philippe Vardon inzwischen Solidaritätserklärungen aus
quasi allen Teilen der französischen extremen Rechten. Dies reicht vom, als
"modernistisch" und Marine Le Pen nahe stehend geltenden, FN-Generalsekretär
Louis Aliot über den Sprecher der 'Nouvelle Droite Populaire', Robert
Spieler (Originalton: "Die <Justiz> des Systems ist verrückt geworden") bis
hin zu Neu-Parteigründer Jean-François Touzé (über ihn folgt Ausführlicheres
im obigen Text). |