Ist das betäubungslose
Schächten heute noch zeitgemäß?:
Schonende Methode
Weil sie ein Verbot von
Schächtungen fordert, hat der Zentralrat der Juden der Bundestierärztekammer
das Schüren religiöser Vorurteile vorgeworfen. Der Tierschutzgedanke habe im
Judentum höchste Priorität, sagte der Generalsekretär des Zentralrats,
Stephan Kramer. Durch den Schächtschnitt verliere das Tier in Sekunden das
Bewußtsein. "Wer beim Schächten von entsetzlichen Leiden und Schmerzen der
Tiere spricht, aber die Bolzenschuß- oder Elektroschockmethode beim
herkömmlichen Schlachten für vertretbar hält, der verspielt jede Seriosität
und Glaubwürdigkeit", sagt Kramer. Für das Schächten ist eine
Ausnahmegenehmigung nach dem Tierschutzgesetz nötig.
"PRO" von Rabbiner
Israel Meir Levinger
Schutz der Welt, und
damit auch Schutz der Tiere, hat einen hohen Wert im Judentum. Gott setzte
den Menschen in den Garten Eden, um die Welt zu bearbeiten und zu schützen.
Tiere nicht zu quälen, ist eines der noachitischen Gesetze, welche gemäß der
jüdischen Tradition die Basis der humanen Ethik darstellen. Die Sache war
einfach, solange der Mensch in der Natur lebte. Er mußte pflanzliche oder
tierische Nahrung aufnehmen. Um Tiere zu jagen, musste er sie töten. Da war
es wichtig, die Anweisung zu geben, daß keine Teile vom lebenden Tier
abgeschnitten werden dürfen, um gegessen zu werden.
In einer solchen Welt, in der Tiere gejagt wurden, mußte das Tier ganz
anders behandelt werden als in der heutigen Zeit. Heute "entwickelt" der
Mensch die Welt selber. Er züchtet Pflanzen und Tiere nach seinem Bedarf. Da
bekommt der Schutz der Tiere eine ganz andere Dimension. Die Aufgabe des
Menschen ist es, die Tiere und Pflanzen zu bewahren, damit diese weiter auf
unserem Planeten leben werden.
Mein Vater stellte einmal die Frage so: Rinder werden geschlachtet und
gegessen, Pferde werden nicht geschlachtet und gegessen. Warum gibt es
dennoch mehr Kühe als Pferde? Die Antwort ist: Kühe werden mehr gebraucht -
als Nahrungsmittel, als Milch- und Fleischquelle - und deshalb werden mehr
von ihnen gezüchtet. Da kommt die philosophische Frage auf: Was ist besser
für die Tiere - gar nicht erst gezüchtet zu werden, oder zu leben und am
Schluß geschlachtet zu werden?
Manche vertreten die Ansicht, daß Vegetarismus eine ideale Lebensform auch
im Judentum ist. Dies stimmt, soweit die Menschen bereit sind, auf bestimmte
Nahrung zu verzichten. Die jüdische Einstellung ist, daß am Schabbat und am
Feiertag Fleisch gegessen werden soll. Warum? Fleisch schmeckt gut, und
dadurch ist die Freude an diesem Tage größer. Dies betrifft Menschen, die
Fleisch mögen. Wenn einer Fleisch nicht mag, ist er nicht verpflichtet,
Fleisch zu essen.
Es gibt eine ganze Reihe von Denkern im Judentum, die sich mit dem
Fleischgenuß beschäftigt haben - von jenen, die annehmen, daß die
Fleischvorbereitungsgesetze die Fleischverwertung erschweren und dadurch
verhindern sollen, und die damit Fleisch als Negativum sehen, bis zu jenen,
die glauben, daß der Mensch den höchsten Grad der Schöpfung darstellt und
beim Fleischgenuß die Eiweiße des Tieres veredelt werden, indem sie Teil des
Menschen werden.
Raw Kook schreibt, daß der Vegetarismus ein Weg zu Gott ist, aber das darf
nicht zu einer eigenen Religion werden, zu der ihn viele Tierschützer
machen. Tiere sind wichtig, um die Weltbevölkerung zu versorgen. Für die
Gesamtmenschheit zu sorgen, ist auch ein wichtiges Element im Judentum.
Vegetarismus ist vielleicht für den einzelnen gut. Die Gesamtheit könnte
damit nicht leben. Wenn Tiere nicht geschlachtet würden, gäbe es auch keine
Eier und keine Milch, da das Züchten der Tiere nur für diese Produkte
unrentabel wäre.
Die Schlachtung von Tieren ist demnach nötig, soll aber auf eine schonende
Art und Weise durchgeführt werden. Die jüdische Schlachtmethode ist eine
solch schonende Methode. Dies kann man durch physiologische Untersuchungen
beweisen.
Es gibt jüdische Tierschützer, die eine Betäubung vor dem Schächten
vorziehen würden. Ob dadurch wirklich das Leiden der Tiere verringert wird,
bleibt allerdings fraglich. Es besteht nämlich auch die Gefahr, daß das Tier
durch die Betäubung noch mehr leiden muß. Denn es ist keineswegs klar, daß
elektrische Betäubung schmerzlos ist. Wir haben bis heute keine
Betäubungsmethode, die mit Sicherheit schmerzfrei ist - und das Tier nicht
versehentlich töten kann -, und wenn wir so eine hätten, müßte zuerst einmal
die halachische Frage geklärt werden. Einfach nur zu behaupten, daß das
Schächten nach vorheriger Betäubung der Halacha nicht widerspricht, reicht
nicht aus. Aus all diesen Gründen sollte es beim betäubungslosen Schächten
bleiben.
>> "Contra" von Hanna Rheinz
Erschienen in:
Jüdische Allgemeine
29/2008
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