Steine
des Anstoßes als späte Geste:
Zwei "Stolpersteine" vor dem Budge-Palais
Zur Erinnerung
an Dr.
Siegfried Budge und Ella Budge geb. Mayer
Von Livia Gleiß
Im Sommer 2007 wurden zwei "Stolpersteine" in den Gehsteig der
Milchstraße in Hamburg-Harvestehude eingelassen – vor dem
Haupteingang der Hochschule für Musik und Theater (HfMT) in
dem großen weißen Prachtbau an der Alster, dem Budge-Palais. Und
obwohl die "Stolpersteine" auf den Gehsteigen der Hamburger Strassen
inzwischen einen vertrauten Anblick bieten – ganz unerwartet auf
zwei neue Stolpersteine vor dem Eingang der eigenen Hochschule zu
stoßen, dürfte jedoch viele der hier Studierenden, Lehrenden und
Mitarbeitenden tatsächlich gedanklich zum Stolpern, zum Innehalten
gebracht haben.
Unmiss-verständlich
geben sie zu verstehen, dass also auch das Budge-Palais eines dieser
vielen tausend Hamburger Häuser ist, deren einstige Bewohner zu
Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung wurden. Es war
allgemein kaum bekannt, dass auch bisher nicht benannte Verwandte
des Hamburger Ehepaares Budge in diesem Hause wohnten und persönlich
die nationalsozialistische Verfolgung erleiden mussten. Zwar
informiert seit 1993 eine Wandtafel neben dem Haupteingang der HfMT
über Daten zur Geschichte des Gebäudes, ihre allzu knappen Zeilen
geben jedoch vom tatsächlich geschehenen Unrecht nichts zu erkennen:
Von der unrechtmäßigen Entziehung des immensen Budge-Nachlasses
durch die Nationalsozialisten und dem
Pseudo-Wiedergutmachungsverfahren, das nach dem Krieg bewusst an den
rechtmäßigen Erben vorbei arrangiert wurde, von bis heute
fortdauernden Ungereimtheiten, geschweige denn von Todesopfern.
Anlässlich der offiziellen Rückbenennung des Altbaus als "Budge-Palais"
angebracht, wird sie der Funktion als Gedenktafel auch nicht
ansatzweise gerecht - immerhin gewährleistet ihre Inschrift, dass
der Name Budge in Hamburg im Gedächtnis bewahrt bleibt.
Die beiden
"Stolpersteine", die nun, wenige Schritte von der Wandtafel
entfernt, den Eintretenden in den Weg gelegt wurden, wirken als
notwendige Ergänzung. Allerdings dürften die eingravierten Namen
einige Leser stutzen lassen: Während die Namen Emma und Henry Budge
der einstigen jüdischen Eigentümer des Budge-Palais wohl allen, die
heute in der HfMT zu tun haben, vertraut sein werden, hat wohl kaum
jemand von Dr. Siegfried und Ella Budge, den letzten rechtmäßigen
Bewohnern des Budge-Palais, gehört. Die Steine geben Anstoß, nach
dem Schicksal dieser Personen zu fragen und sie so aus dem Dunkel
des Vergessenseins zu holen.
Siegfried Budge,
am 18.6.1869 in Frankfurt am Main geboren, war ein Neffe von Henry
Budge, der Sohn von dessen Bruder Max und seiner Frau Rosalie,
geborene Samson aus Hamburg. Nach dem Studium der
Rechtswissenschaften und Heirat mit Ella Henriette Mayer (1897)
eröffnete Siegfried Budge eine Rechtsanwaltspraxis in Frankfurt. Er
schloss ein Studium der Nationalökonomie an, habilitierte sich 1921
an der Universität Frankfurt bei Franz Oppenheimer und lehrte von
1925 bis 1933 als Professor für Nationalökonomie an der Universität
Frankfurt. Er wurde als Fachmann der Volkswirtschaft insbesondere
auf dem Gebiet der Geldtheorie bekannt.
Der
philanthropischen Familientradition der Budges folgend, war er
Vorstandsmitglied der "Max und Rosalie Budge – Stiftung" für sozial
Bedürftige; auch betätigte er sich als Kunstsammler.
Bereits im
März 1933 wurde ihm als Jude die Lehrbefugnis entzogen –
ausgerechnet von der Universität, die sein Onkel Henry Budge als
Gründungsmitglied mit großzügigen Spenden bedacht hatte. Nach
erfolglosen Bemühungen Siegfried Budges um eine Anstellung im
Ausland zogen er und seine Frau 1934 auf Einladung Emma Budges nach
Hamburg in ihr Palais an der Alster. Nach dem Tode Emma Budges am
14.2.1937 mussten sie die Villa verlassen. Die folgenden vier Jahre
in Hamburg sollten für sie eine demütigende Suche nach Unterkunft
bedeuten - viele Male mussten sie umziehen. Siegfried Budge starb am
1. September 1941 infolge schwerer Krankheit.
Das Wissen
über Ella Budge ist verschwindend gering. Es scheint, dass
sie durch die NS-Verbrechen nicht nur ihres Lebens beraubt wurde,
sondern auch eines großen Teils ihrer Lebensgeschichte. Lediglich
einer alten Meldekarte Siegfried und Ella Budges, archiviert im
Bestand des Institutes für Stadtgeschichte Frankfurt, lassen sich
grobe Eckdaten entnehmen: Als Ella Henriette Mayer wurde sie am 8.
Mai 1875 in einer jüdischen Familie in Frankfurt am Main geboren,
ihre Eltern waren Louis Mayer und Marie Mayer, geborene Strauß. Am
16.8.1897 heirateten Ella und Siegfried Budge in Frankfurt. Die
Meldekarte vermerkt eine Tochter: Nelly Budge, geboren am 30.6.1898
in Frankfurt.
Ella Budge und ihr
Ehemann waren nach Emma Budges Tod 1937 die rechtmäßigen Bewohner
des Budge-Palais, bevor es noch im gleichen Jahr von den
Nationalsozialisten in Beschlag genommen und vom Gauleiter Karl
Kaufmann zur Reichsstatthalterei umfunktioniert wurde. Nach dem Tode
ihres Mannes wurde Ella Budge am 11.4.1942 von der Hamburger Gestapo
verhaftet und ins Konzentrationslager und Polizeigefängnis
Fuhlsbüttel in Hamburg verschleppt, wo sie – ohne ersichtlichen
Grund über drei Wochen festgehalten wurde.
Es ist
wahrscheinlich, dass ihr ein so genanntes Devisenvergehen angehängt
wurde, ein von der Gestapo häufig konstruierter Vorwand zur
Ausschaltung der jüdischen Bevölkerung. Dass Ella Budge 1942
ausgerechnet im KZ Fuhlsbüttel eingesperrt wurde, das von demjenigen
eingerichtet worden war, der nun die repräsentative Anlage ihres
einstigen Hauses für seine Machtausübung missbrauchte, zeigt den
Zynismus der nationalsozialistischen Gewaltherrscher. Nur einige
Wochen nach ihrer Entlassung aus der Gestapo-Haft erhielt sie den
Deportationsbefehl. Am 19.7.1942 wurde Ella Budge zusammen mit 700
anderen Hamburger Bürgern nach Theresienstadt deportiert. Den dort
herrschenden unmenschlichen Bedingungen erlag sie am 6. November
1943.
Ihr Name ist
einer von 8877 Namen, die im Gedenkbuch "Hamburger jüdische Opfer
des Nationalsozialismus" erfasst sind. Es dokumentiert die große
Zahl der jüdischen Bürger Hamburgs, die während der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgt wurden und zu Tode
kamen.
Es gibt noch
lebende Angehörige der Budges: In Amerika leben Enkel von Ella und
Siegfried Budge. Es sind die Kinder von Nelly Kahn, geborene Budge,
und Emil Kahn, einem einstmals berühmten Stuttgarter Dirigenten. Der
Vater und seine Kinder Hans, Peter, Eva und Wolf Kahn konnten sich
in den dreißiger Jahren durch Auswanderung in die USA retten; seine
Frau Nelly Kahn war bereits 1931 verstorben. Die vier Geschwister
waren also die Großneffen und die Großnichte Henry und Emma Budges
und verbrachten in ihrer Kindheit ihre Ferien im Budge-Palais mit
seinem Park an der Alster.
Lebendige
Erinnerungen an diese Zeit sind ihnen geblieben. So erinnerte sich
Peter Kahn noch an den prachtvollen Spiegelsaal, in dem ihr Vater
einst Cello spielte. In eben diesem Saal, wenn auch "verlegt" in den
Innenhof des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, stellte Wolf
Kahn, Jahrgang 1927, heute in New York lebend und ein in den USA
bekannter Landschaftsmaler, einige seiner Gemälde aus, als er 2001
auf Einladung des Museumsdirektors Wilhelm Hornbostel zu Besuch nach
Hamburg gekommen war.
Sein Bruder,
Prof. Peter Kahn, Jahrgang 1921, war Kunsthistoriker und
Professor der Cornell University in Ithaca, New York; er starb im
Jahre 1996. Während eines beruflich bedingten Aufenthaltes in
Hamburg 1985/86 hat er hier eingehend zur Geschichte des
Budge-Palais recherchiert und seine Ergebnisse, wie auch persönliche
Erinnerungen an seine Kindheit in Hamburg in seiner Denkschrift: "Eine
Wiedergutmachungsangelegenheit: Das Budgehaus, Harvestehuderweg 12,
Hamburg" zusammengefasst. Ohne anzuklagen, sogar im Gegenteil
einverstanden damit, dass das große Budge-Anwesen nun öffentliche
Hochschule ist und die Parkanlagen für die Öffentlichkeit nutzbar
sind, aber doch zutiefst enttäuscht zieht Peter Kahn aus seinen
Untersuchungen den Schluss, dass Wiedergutmachung des an seiner
Familie vielfach begangenen Unrechts in keiner Weise je
stattgefunden hat.
Am 26. Mai
2008 fand an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg die
feierliche Einweihung der "Stolpersteine" für Dr. Siegfried und Ella
Budge statt (Bild oben). Der Einladung, zu diesem Anlass nach
Hamburg zu kommen, konnten die inzwischen über 80-jährigen Enkel
persönlich nicht mehr folgen. Doch ist es gutzuheißen, dass diese
Angehörigen zumindest darüber in Kenntnis gesetzt werden konnten,
dass nun vor dem Budge-Palais durch zwei kleine Gedenksteine an die
Namen von Siegfried und Ella Budge erinnert wird, als Teil des
Gesamtdenkmals aller bis heute rund 15.000 verlegten
"Stolpersteine".
Wolf Kahn fand
sogar ein Foto seiner Großmutter Ella Budge, das er
freundlicherweise für den Anlass der Einweihung zur Verfügung
stellte.
Anmerkung:
Ausführlicher informiert die Broschüre "Die Familie Budge in Hamburg
und ihr Palais an der Alster" (von Livia Gleiß, 2008) über die
Personen Henry und Emma Budges einerseits und Siegfried und Ella
Budges andererseits sowie über den zeitgeschichtlichen Hintergrund
in Hamburg unter dem NS-Regime.
Photonachweis:
Siegfried
Budge: © Universitätsarchiv Frankfurt / Main
Ella Budge: © Wolf Kahn, New York
Stolpersteine und Einweihung: © Johann-Hinrich Möller www.stolpersteine-hamburg.de
Die seit dem Jahre 1920
bestehende Henry und Emma Budge-Stiftung hat von 1930 an ein
Altenheim in Frankfurt unterhalten, in welchem, dem Wunsch der
Stifter entsprechend, stets 50% der Bewohner jüdische bzw.
christlichen Glaubens sein sollten. 1956 konnte die Budge Stiftung
wieder eingesetzt werden und betreibt seit 1967 erneut ein
Altenhilfezentrum.
www.budge-stiftung.de
|