Wohnen am Ort des Grauens:
Die Auschwitz-Dialoge
"Die Auschwitz Dialoge" ist am 30.05.08,
20 Uhr, in den Erlanger Lamm-Lichtspielen zu sehen.
Wer in Bayern
wohnt, der weiß um die Bemühungen der Stadt Dachau, das Ansehen von
Stadt und Landkreis zu pflegen. Toleranz und Verständigungen sollen
in Dachau als Lernort im Umgang mit der Vergangenheit vermittelt
werden. Denn die Stadt hat auch heute noch, mehr als 60 Jahre nach
Kriegsende, eine negative Konnotation und ist im Ausland oft nur
bekannt, weil dort das KZ Dachau war. Wie mag das erst bei einem Ort
wie Auschwitz sein? Und überhaupt, gibt es einen Ort Auschwitz, und
wer wohnt in Auschwitz?
Diese Fragen stellten
sich 2005 zwei Studenten, der Politologe Johan Robberecht und der
Medienwissenschaftler und Filmemacher Marian Ehret. Entstanden ist
daraus ein einstündiger bemerkenswerter Dokumentarfilm unter dem
Titel "Die Auschwitz Dialoge". Mit Kamera und Übersetzerinnen
machten sich die beiden auf den Weg, das Leben in der Stadt
Auschwitz, heute Oświęcim, zu erkunden.
Der Film ist
zweigeteilt. Im ersten Teil folgen die Filmemacher der polnischen
Version und den Aussagen der polnischen Einwohner von Oświęcim.
Jugendliche klagen darüber, dass der Ort ihnen keine Perspektiven
bieten kann, die Arbeitslosigkeit ist hoch und Probleme mit Drogen
und Alkohol sind groß. Als Lichtgestalt in dieser düsteren
Zukunftsaussicht erscheint Oświęcims Bürgermeister Janusz
Marszalek, der den Filmemachern in perfektem Deutsch von seinen
Bemühungen um den Aufschwung des Ortes erzählt. So hat er
beispielsweise ein Kinderdorf für Waisen errichtet. Aber er bemüht
sich auch um den wirtschaftlichen Aufschwung, wobei seine Pläne
immer wieder mit den Interessen des Museums der Gedenkstätte des
ehemaligen Vernichtungslagers kollidieren.
Die Chemie-Fabrik "Dwory
S.A.", deren Gelände größer als die ganze Stadt ist, hatte während
des Kommunismus für einen gewissen Wohlstand gesorgt und Oświęcim
expandierte von einem 12.000 Einwohner zählenden Ort auf 45.000
heute. Das örtliche Krankenhaus, das Kulturzentrum, Schulen und
Kindergärten waren von "Dwory" initiiert und erbaut worden. Doch
mittlerweile kriselt es bei dem Konzern, vor wenigen Jahren hatte er
sich umbenannt, von "Oswiecim S.A." zu "Dwory S.A.". Auf Druck aus
dem Ausland, wie die Einwohner von Oświęcim erklären.
In Oświęcim
ist man davon überzeugt, dass die Stadt von New York, Warschau und
Tel Aviv aus gesteuert wird, also von Juden, und dass die Juden den
Einwohnern keinerlei Vergnügen und Wohlstand gönnen wollen. Auch
wenn extreme Aussagen, wie etwa von betrunkenen Jugendlichen, die
rufen "Laßt uns die Juden einfach umbringen", nicht die Regel sind,
herrscht in Oświęcim ein latenter Antisemitismus, der in
so gut wie jedem Gespräch zum Ausdruck kommt.
Die während des
Kommunismus geprägte Doktrin, Auschwitz sein ein polnischer
Gedenkort, bei dem vor allem Polen ums Leben kamen, ist noch lange
nicht passe, sondern wird von Bürgermeister Marszalek weiter
propagiert, so dass ein bizarrer Gedenkkonflikt zwischen polnischer
und jüdischer Erinnerung Oświęcim beherrscht.
Im zweiten Teil gehen
die Filmemacher denselben Weg und besuchen dieselben Orte nochmals,
diesmal jedoch mit einer "jüdischen" Perspektive, wenn man so will.
Auf einmal sehen die
Dinge ganz anders aus. So zum Beispiel die Geschichte mit dem
Gebäude, in dem eine Disko eingerichtet werden sollte, was nach
internationalem Protest nicht zustande kam. Das leerstehende Haus
sei doch über 1 km vom Lager entfernt, entrüsten sich die Einwohner
von Oświęcim. Doch in diesem Gebäude verrichteten
Häftlinge Zwangsarbeit und kamen dabei auch zu Tode. Und die
glorreiche "Dwory S.A." ist 1945 aus dem damaligen
Buna-Fabrikkomplex der "I.G. Farben" hervorgegangen. Das zugehörige
Gelände war das Arbeitslager "Auschwitz III - Monowitz", das von der
"I.G. Farben" wegen den "Arbeitskräften" aus dem KZ Auschwitz
gewählt wurde.
Auch das wahre
Gesicht des Bürgermeisters kommt deutlich zum Vorschein. Er scheint
sich selbst als Märtyrer in einem Privatkrieg mit dem Museum zu
sehen. "Ich war mein ganzes Leben lang für die anderen Menschen zur
Verfügung, so bin ich eben", lächelt er in die Kamera.
Die
Konflikte kulminieren im Januar 2005 in den Feierlichkeiten zum 60.
Jahrestag der Befreiung. Bürgermeister Marszalek hat zu einer
eigenen Feier zum 60. Jahrestag des Einmarsches der Roten Armee in
die Stadt auf den jüdischen Stadtfriedhof eingeladen. Die offizielle
Feier fand im Lager Birkenau statt, neben Israels Staatspräsident
Mosche Kazaw sprach dort auch Vladimir Putin, sowie der ehemalige
polnische Außenminister Władysław Bartoszewski.
Bartoszewski
hatte Marszalek in den frühen 1990ern die Genehmigung gegeben, einen
Supermarkt gegenüber dem KZ Auschwitz I zu bauen, um die Verpflegung
für die Touristen zu organisieren und aus dem Museum auszulagern.
Auf internationalen Druck hin nahm er diese Erlaubnis zurück, was
den späteren Bürgermeister damals fast in den Bankrott trieb. Dieser
sieht Bartoszewski seitdem als Intimfeind und Agenten einer
angeblichen jüdischen Verschwörung.
Was bleibt? Ein
reichlich fader Nachgeschmack und die deutliche Ahnung, dass
Antisemitismus, der in Auschwitz seine mörderischste Ausprägung
fand, immer bestehen wird, mit und ohne Juden. Es bleibt aber auch
Verständnis für die Menschen in Oświęcim, vor allem die
Jugend, die sich in einer auswegslosen Situation sieht. Dennoch
überwiegt die Sorge um die Zukunft des Gedenkens und seiner Orte.
Den jungen
Filmemachern ist für diese bemerkenswerte Arbeit nur zu gratulieren,
und man darf gespannt sein, was als nächstes kommt.
Die
Auschwitz-Dialoge
Dokumentarfilm, 60 min
Regie: Marian Ehret
Buch: Marian Ehret & Johan Robberecht
Der
Film kann direkt bei Marian Ehret bestellt werden. (jedoch ohne
Vorführrecht und ohne Verleihrecht)
Preis: € 24,95,-/ DVD
(plus Versandkosten)
Ab Juni 2008 ist der Film über die Münchener FWU Institut für Film und Bild in
Wissenschaft und Unterricht für den nichtgewerblichen Bereich für alle
deutschsprachigen Länder und Gebiete (inkl. Goethe-Institute) im Angebot.
Vertriebskontakt-> Telefon: 089/6497-444; Fax: 089/6497-240 Preis: € 130,-
(inkl. MWst mit Verleihrecht und Recht zur nichtgewerblichen öffentlichen
Vorführung), € 65,- (inkl. MWst und Recht zur nichtgewerblichen öffentlichen
Vorführung, ohne Verleihrecht) |