Papst Benedikt XVI. und ein Karfreitagsgebet:
Der katholische Antijudaismus ist wiederauferstanden
Micha Brumlik, Hochschullehrer und politischer Publizist
Micha Brumlik kritisiert, dass Papst Benedikt XVI. ein
Karfreitagsgebet zur Bekehrung der Juden zugelassen hat. Der
jüdisch-katholische Dialog sei dadurch zerstört.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat fürs Erste die offiziellen
Kontakte zur katholischen Kirche abgebrochen. Einige jüdische Referenten
haben ihre Teilnahme am demnächst in Osnabrück stattfindenden Katholikentag
abgesagt. Ursache ist ein auf den ersten Blick eher skurril wirkendes
Detail. Nach längeren Diskussionen hat der als Josef Ratzinger geborene
Papst Benedikt XVI. eine Verfügung erlassen, wonach in der lateinischen
Messe, die faktisch nur von den wenigsten Katholiken gefeiert wird, am
Karfreitag ein Gebet gesagt wird, das sich in der autorisierten Übersetzung
so liest: „Lasst uns auch beten für die Juden. Dass unser Gott und Herr ihre
Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Heiland aller
Menschen...“ Was wie der Wunsch klingt, das Judentum möge aufhören zu
existieren.
Die Änderung markiert kirchenpolitisch einen schweren Rückschritt und
erhärtet den Verdacht, dass der Papst einen Teil jener Fortschritte, die vor
mehr als vierzig Jahren das II. Vatikanum erbrachte, rückabwickeln will. In
den 50er- und 60er-Jahren war der katholischen Kirche klar geworden, dass
der kirchliche Antijudaismus zum Holocaust beigetragen oder zumindest die
weitgehende Entsolidarisierung der Kirche mit den verfolgten und ermordeten
Jude befördert hat.
Daher haben das zweite Vatikanum und auf seiner Basis Paul VI., vor allem
aber Johannes Paul II. – der als junger Mann während des Zweiten Weltkriegs
in Polen das Schicksal seiner jüdischen Freunde miterleben musste –, eine
nicht mehr feindliche Haltung gegenüber dem Judentum eingenommen. Sie schlug
sich in der von Paul VI. erneuerten normalen Karfreitagsliturgie nieder, wo
es heißt: „Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr,
zuerst gesprochen hat: er bewahre sie in Treue in seinem Bund und in der
Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss
sie führen will.“
Der Karfreitag war für Juden während des ganzen hohen Mittelalters ein Tag
der Schrecken: Aus Angst vor fanatisierten Massen, die den
angeblich von den
Juden getöteten Gottessohn rächen wollten, wurden die Gettotore geschlossen,
jüdische Würdenträger mussten sich nicht selten von den zuständigen
Bischöfen eine demütigende, rituelle Ohrfeige verabreichen lassen, nicht
selten kam es über Ostern auch tatsächlich zu Pogromen. In Erinnerung an
diese Geschichte und auf der Basis sorgfältiger theologischer Forschung
hatten das Vatikanum und schließlich Johannes Paul II. jede Form des
kirchlichen Antijudaismus aufgegeben und verurteilt. Das schlug eine neue
Seite im jüdisch-christlichen Dialog auf, führte zu einer nicht mehr von
Befürchtungen, sondern Hoffnungen getragenen Haltung vieler jüdischer
Geistlicher gegenüber dem katholischen Christentum.
Diese Hoffnungen sind zerstoben und die zarten Grundlagen neuer
Gemeinsamkeit zerstört. Die katholische Kirche ist zu einem, wenn auch der
Form nach moderaten, Antijudaismus zurückgekehrt. Warum dieser Rückfall
nötig war, wird Kirchenhistoriker noch lange beschäftigen. Dass es ein
deutscher Papst war, wird dabei eine Rolle spielen. Vorerst ist
theologisches Porzellan zerschlagen und mühsam erworbenes Vertrauen
verspielt – nicht das, was man von einer Kirche der Liebe und Versöhnung
erwartet hätte. |