Eine echte Schweinerei:
Das Ferkelbuch ist nicht jugendgefährdend
Von Andrea Livnat
Vergangene Woche entschied
die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien über einen Antrag des
BMFSFJ, des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
welches beantragt hatte das Buch "Wo bitte geht's zu Gott? fragte das
kleine Ferkel" in die Liste der jugendgefährdenden Medien aufzunehmen.
Das zuständige sogenannte 12er-Gremium gelangte zur Auffassung, "dass
das Buch, da vorliegend alle drei Religionen gleichermaßen angegriffen
werden, nicht als antisemitisch einzustufen ist. (...) Dass in dem Buch
Religionskritik geübt wird und dessen Inhalt möglicherweise das
religiöse Empfinden der Gläubigen der drei dargestellten Religionen
verletzt, war für die Bundesprüfstelle nicht entscheidungserheblich, da
dies keinen Tatbestand der Jugendgefährdung darstellt."
Zunächst einmal, diese
Entscheidung ist richtig, so wenig mir das Buch auch zusagt. Es gibt
dazu allerdings einiges zu sagen, denn die Sache mit dem Ferkelbuch ist
eine große Schweinerei. In einem Land, in dem man an jedem größeren Kiosk
die Nationalzeitung kaufen kann, möchte man ein schlechtes Satirewerk
wegen antisemitischer Tendenzen indizieren lassen? Da schwingt sich das
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf einmal
zum Gralshüter auf, meint Antisemitismus entdeckt zu haben und das Werk
sofort aus dem Verkehr ziehen zu müssen? Auch die katholische Kirche
zeigte sich besorgt und sah die Darstellung der Rabbiner im Buch dem
Nazi-Hetzblatt "Stürmer" ähnlich. Antisemitismus ist halt doch ein gutes
Zugpferd, scheint man sich überlegt zu haben.
Schade, dass die
Bundesprüfstelle bemüht werden musste, um festzustellen, dass das Buch
nicht antisemitisch ist. Natürlich ist es das nicht, und natürlich darf
so ein Buch nicht verboten werden, denn das wäre tatsächlich ein nicht
zulässiger Eingriff in die Meinungs- und Glaubensfreiheit. In einer Demokratie muss
man eben mit Dingen leben, die einem nicht gefallen, auch wenn man ein
Bundesministerium ist.
Gerade die Meinung der Andersdenkenden ist es doch, die geschützt oder doch
zumindest toleriert werden soll. Oder werden hier Maßstäbe angelegt, die
auch die fundamentalistische Empörung über die dänischen
Mohammed-Karikaturen rechtfertigen könnten?
Doch was sagten
eigentlich die Juden selbst dazu? Die bezieht man im BMFSFJ ja eher
ungern mit ein, wenn es um
Wertedebatten geht. Und so scheint sich dafür auch diesmal niemand
zu interessieren, denn wenn ein Deutscher Antisemitismus wittert,
dann hat der Jude nichts mehr zu sagen. Stephan
J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrates erklärte jedenfalls deutlich, man könne
der Begründung des Ministeriums nicht folgen, schließlich würden alle
drei Weltreligionen verleumdet.
Seltsam auch, dass sich das
Ministerium auf einmal so ins Zeug legt. Zu einem anderen Buch,
das tatsächlich antijüdische Vorurteile der widerlichsten Sorte
bestätigt, hört man offiziell noch immer nichts aus dem Ministerium.
So im Falle des Buches: "Woher kommt Judenhass? Was kann man dagegen
tun? Ein Bildungsprogramm" herausgegeben von Bildungsteam
Berlin-Brandenburg e.V. und Tacheles reden! e.V., deren Arbeit, die
Grundlage des Buches ist, jahrelang durch das Ministerium gefördert
wurde. Darin wird die uralte Behauptung "Die Juden haben Christus umgebracht"
in einer ausdrücklichen "Richtigstellung" bestätigt. Die
kritische Rezension bei haGalil löste
eine Flut
erboster Reaktionen und bösartiger Diffamierungen aus, denen
weder die Herausgeber noch die Geldgeber, das BMFSFJ, etwas
entgegensetzen wollten. Eine sachliche und themenbezogene Diskussion, die
vielleicht einmal mehr Gelegenheit geboten hätte, mit diesem Grundstein
judenfeindlichen Denkens aufzuräumen wurde so leider versäumt.
Warum dieses Schweigen des BMFSFJ auf der
einen Seite, bei gleichzeitigem medienwirksamen Aktionismus auf der anderen?
Das Ferkelbuch hat auf jeden
Fall einen Haufen Werbung ganz kostenlos bekommen.
Schade, denn es ist mit Abstand das
Dämlichste, was ich seit langem gelesen habe.
Dass man es hier mit einem Buch zu
tun hat, das vor allem provozieren will, lässt schon der Titel vermuten.
Denn warum sonst muss ausgerechnet ein Schwein, das sowohl für Juden als auch
Muslime als unreines Tier gilt, auf die Suche nach der Wahrheit gehen?
Provokation oder schlichte Unwissenheit?
Komischer Effekt, wie uns Autor
Michael Schmidt-Salomon in einer 68-seitigen Verteidigungsschrift, die
auf seiner Webseite einsehbar ist, wissen lässt. Ein Eichhörnchen hätte
eben nicht dieselbe komische Wirkung erzielen können. Wer aber die
Provokation, die, wie Schmidt-Salomon selbst schreibt, evident ist, für
plump hält, "der sollte sich überlegen, ob es nicht vielmehr plump, oder
besser: hochgradig infantil und wahnhaft wäre, wenn sich Gläubige
tatsächlich durch eine niedliche Darstellung eines Mitglieds der (im
Übrigen ungewöhnlich intelligenten) Säugetierfamilie Suidae provoziert
fühlen würden."
Damit ist nun eigentlich
schon alles gesagt. Schmidt-Salomon hält nämlich Religionen für
"kulturelle Schatzkammern der Menschheit, die sowohl Sinnvolles,
Humanes, als auch Sinnloses, Inhumanes, enthalten." Es sei die große
Aufgabe der Aufklärung, das Eine vom Anderen zu trennen. Aufklärung
scheint überhaupt das Lieblingswort des Autors zu sein. So weit ist ja
auch alles noch schön und gut, und es spricht auch wirklich nichts gegen
ein Buch für Kinder und Jugendliche, dass satirisch-kritisch die
Existenz Gottes und die drei großen Weltreligionen hinterfragt. Schade
nur, dass bei all dem intellektuellem Blabla, das Ergebnis derart
dümmlich geraten ist.
Die Geschichte ist schnell erzählt: das
kleine Ferkel und der kleine Igel leben glücklich, bis sie eines Morgens
ein Schild sehen, auf dem zu lesen ist: "Wer Gott nicht kennt, dem fehlt
etwas!" Weder Ferkel noch Igel kennen Gott, also machen sie sich auf die
Suche nach ihm. Der Fuchs berichtet von den verrückten Menschen, die
sich darüber streiten, in welchem der großen Häuser auf dem Tempelberg
Gott wohne. Ferkel und Igel machen sich auf den Weg dorthin, wo sie
Kirche, Moschee und Synagoge vorfinden, mit einem Irrgarten am Eingang.
Satire mit dem Zaunpfahl.
Vor dem ersten Haus, der
Synagoge, treffen sie einen Rabbi, der ihnen sagt, dass diese "zu dieser
Feierstunde", was auch immer damit gemeint sein soll, nur von Juden betreten werden
dürfe, Jude sei, wer eine jüdische Mutter hat. Beides ist so gesagt
Quatsch. Auch hier Provokation? Oder schlichte Unwissenheit?
Dass der Gott der Juden ganz
schön zornig werden kann, illustriert der Rabbi mit der Geschichte der
Sintflut, die das Ferkel "ja sowas von gemein" findet. Mit ein paar
klugen Fragen "entwaffnen" Ferkel und Igel den Rabbi und fragen sich,
wer so blöd ist, an eine solche Geschichte zu glauben. Ja, ja, soll sich
der Leser denken, die älteste
monotheistische Religion ist wirklich simpel gestrickt, mit ein zwei
Fangfragen hat man sie gleich entlarvt.
Vor dem nächsten Haus, der
Kirche, treffen die beiden Tierchen auf einen fetten Priester mit bunten
Gewändern, der sie ins Innere der Kirche begleitet, wo im Gegensatz zu
ihm graue, ausgemergelte Gestalten beten und Jesus am Kreuz hängt. Die
Christen kommen dann fast noch schlechter weg, denn als das kleine Ferkel sich
an den ausgelegten Plätzchen labt, erklärt der Priester, dass das der Leib des Herrn
ist. "Das sind Menschenfresser!", erklären Ferkel und Igel und machen
sich aus dem Staub.
Mit dem Mufti in der Moschee
stellt das kleine Ferkel entsetzt fest, dass er sich als Muslim 35 mal
die Woche waschen müsste. Vielleicht hat das Mohammed ja nur erfunden,
schlägt das Ferkel vor, worauf er sich den Zorn der Gläubigen zuzieht
und mit dem Igel flüchten muss, nur um vor der Moschee auf den wütenden
Rabbi und den Priester zu treffen. Die Flucht gelingt schließlich, weil
sich die drei Religionsvertreter untereinander zu streiten beginnen.
Zurück zu Hause, analysieren Ferkel und Igel, dass ihnen, solange sie von Gott
noch nichts wussten, nur eines anders war: sie hatten keine Angst. Der kleine Igel fasst zusammen: "Die Leute vom
Tempelberg sind wirklich verrückt. Ich glaub' ja, dass es den Herrn Gott
überhaupt nicht gibt! Und wenn doch, dann wohnt er bestimmt nicht in
diesen Gespensterburgen!"
Die letzte Doppelseite ziert
ein P.S., das erklärt, dass auch Rabbi, Mufti und Pfaffe, wie wir nur
"nackte Affen" sind, illustriert mit nackten Männern, Frauen und Kindern
aller Hautfarben und Altersgruppen, denn, wir ahnen es, "wer wirklich
aufgeklärt ist, der braucht sich seiner Nacktheit nicht zu schämen."
Dass der Rabbi einer
Stürmer-Karikatur entstiegen sein sollte, ist für mich nicht
nachvollziehbar. Viel bedenklicher sind einige der Erklärungen, die
Schmidt-Salomon in seiner Verteidigungsschrift zu den Seiten mit dem
Rabbi liefert. Zunächst einmal handelt es sich nicht um eine Synagoge,
lässt uns Schmidt-Salomon wissen, sondern um nichts anderes als den
Tempel, jenes Allerheiligste, das vor gut 2000 Jahren zerstört wurde.
Jener Tempel, der erst in messianischer Zeit wieder entstehen wird.
Warum es eine einfache Synagoge nicht tut, lässt uns der aufgeklärte
Autor allerdings nicht wissen.
Richtig wild werden die
Ausführungen dazu, warum Ferkel und Igel den Tempel nicht betreten
dürfen. Das Judentum sei im Gegensatz zu Christentum und Islam keine
missionarische Religion. Stimmt. Aber lieber Herr Schmidt-Salomon,
trotzdem dürfen Nicht-Juden in die Synagoge (wie der Tempel im Buch
dann aber doch bezeichnet wird)! Hier wird ein Bild transportiert, das durchaus sehr
bedenklich ist, nämlich dass die Juden unter sich bleiben wollen, keine
Nicht-Juden dulden und somit nicht tolerant anderen gegenüber sind.
"Kinder interessieren sich für solche theologischen Unterschiede
weniger", lässt uns der Autor wissen. Aber das ist noch lange kein
Grund, sie mit falschen Informationen zu bedienen.
Eine jüdische Mutter sei bekanntlich das Kriterium dafür,
ob man als Jude geboren ist, was "eine rein ethnische Kategorisierung,
keine religiöse" sei. Richtig. Ein Großteil der Juden weltweit "sei auch
nicht im religiösen Sinne "jüdisch", man darf diese beiden Ebenen nicht
unzulässig miteinander vermischen!", fährt Schmidt-Salomon fort. Was?
Soll das heißen, nur reinblütige Juden, die auch religiös leben, dürfen
in die Synagoge? Es gibt auch religiöse, sowie nicht-religiöse Juden,
die keine jüdische Mutter haben, sondern konvertiert sind. Aber das ist
ja auch eigentlich ganz egal, denn wie gesagt: in die Synagoge dürfen
neben Juden mit und ohne jüdischer Mutter auch Nicht-Juden. Nur Schweine
wird man dort wohl nicht so gerne sehen.
Auch mit Kant, Feuerbach und anderem philosophischen Gepäck
wird das Ganze nicht besser. Im Gegenteil, die intellektuellen
Erklärungsversuche quälen einen noch mehr. Und alles im Sinne der
Aufklärung.
Fazit: Noch dämlicher als das Buch war nur der Antrag des Ministeriums, der
nun abgelehnt wurde, was dem Autor Gelegenheit zum Feiern gibt: "Anschlag auf
Meinungsfreiheit gescheitert".
Und so bleibt nur das wirkungsvollste Mittel gegen das Buch zu
empfehlen: nicht kaufen! |