Die neue
Dauerausstellung des Jüdischen Museums Hohenems im Fokus:
Diaspora – Dimensionen
Eine Veranstaltungsreihe des Jüdischen Museums Hohenems Februar bis Juni
2008
Am
29. April 2008 wurde mit großer internationaler Aufmerksamkeit die neue
Dauerausstellung des jüdischen Museums Hohenems eröffnet. Die Ausstellung
reflektiert nicht nur die gewachsene Sammlung des Museums und sich
verändernde Interessen der Forschung zur jüdischen Geschichte sondern auch
ein neues jüdisches Selbstbewusstsein der Gegenwart.
Gemeinsam wollen wir die verschiedenen Aspekte jüdischer Geschichte und
Gegenwart diskutieren, die die Neukonzeption des Jüdischen Museums Hohenems
geprägt haben – und wir wollen Forschungsprojekte vorstellen, die sich mit
dem Verhältnis von Migration und Diaspora im Beziehungsraum der Hohenemser
Juden beschäftigen, mit Integration und Eigenständigkeit, kulturellen und
sozialen Konflikten und Veränderung.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Österreich, der Schweiz und
Deutschland haben in den letzten Jahren, oft im Austausch mit dem jüdischen
Museum in Hohenems, dazu beigetragen, jüdische Geschichte in ihrer Bedeutung
für eine Gegenwart neu zu entdecken. Einer Gegenwart, die ebenso von den
Konflikten und Chancen von Einwanderung und interkulturellen Beziehungen
geprägt ist.
Sie haben damit dazu beigetragen, jüdische Geschichte auch in unserer neuen
Dauerausstellung lebendiger und aus verschiedenen Perspektiven erzählen zu
können, und mit den Fragen der Gegenwart zu konfrontieren.
Wir freuen uns auf spannende Workshops und Vorträge, zu denen wir alle
Freunde des Jüdischen Museums Hohenems herzlich einladen möchten.
Programm:
Donnerstag, den 7. Februar 2008, 19.30:
Thomas Albrich, Daniela Jänsch, Stefan Weis, Simone Telser (Universität
Innsbruck)
Vorfahren – Nachfahren
Heiratsmigration,
Netzwerke und die weltweiten Spuren der Jüdischen Gemeinde Hohenems
(Am Freitag, den 8. Februar findet anschließend ein Workshop im Jüdischen
Museum statt)
Eine Gruppe Studierender der Universität Innsbruck hat sich im Herbst 2006
im Rahmen eines Seminars von Professor Dr. Thomas Albrich daran gemacht, die
Lebensgeschichten sechs jüdischer Familien aus der Gemeinde Hohenems zu
erforschen. Ausgangspunkt waren die jeweiligen Stammväter der Familien im
ausgehenden 17. Jahrhundert. War es anfangs nicht mehr als ein gewisses
Grundinteresse, dass die Studierenden zur Teilnahme bewog, entwickelte sich
im Laufe der Forschungsarbeiten ein regelrechter Wettbewerb, wer die
faszinierendsten, außergewöhnlichsten, schicksalhaftesten Biografien
rekonstruieren konnte und wie viele bisher unbekannte Familienmitglieder
entdeckt wurden. Den größten Anreiz bot die Gewissheit, dass es heute noch
Nachfahren zu den Urfamilien aus Hohenems gibt, jenen Burgauers und
Reichenbachs, Löwengards, Hirschfelds oder Brentanos, die heute in der
Schweiz, Deutschland oder in den USA fortexistieren.
Der Kontakt zu den Nachfahren und die gemeinsame Suche nach Spuren von
Vorfahren in den letzten drei Jahrhunderten, in einem erst europäischen,
dann weltweiten Netzwerk von Heirat, Migration und beruflicher Mobilität,
führten zu beeindruckenden Ergebnissen.
Donnerstag, den 21. Februar 2008, 19.30:
Jörg Krummenacher (St.
Gallen)
Flüchtiges Glück in
der Schweiz
Aufnahme und
Rückweisung jüdischer Flüchtlinge während des Zweiten Weltkrieges.
Vorarlberger und St. Galler Grenzgeschichte im Kontext
Jörg Krummenacher hat intensiv den Umgang der Schweiz mit den Flüchtlingen
an der Grenze zwischen Vorarlberg und St. Gallen und die Situation der
Flüchtlinge im Kanton zwischen 1938 und 1945 erforscht und erzählt von
Schmugglern und Fluchthelfern, couragierten und weniger couragierten
Staatsdienern und Polizisten – ein Kapitel der Geschichte, in dem Hohenems
und die Grenze am Alten Rhein eine lange Zeit eher tabuisierte Hauptrolle
spielte.
Sein Buch Flüchtiges Glück ist 2005 im Züricher Limmat Verlag
erschienen.
Donnerstag, den 6. März 2008, 19.30:
Patrick Gleffe
(Innsbruck)
Ein Reform-Krimi
zwischen Hohenems und Lemberg
Der Mord an Rabbiner
Abraham Kohn 1848 und seine Vorgeschichte
Patrick Gleffe arbeitet seit einigen Jahren in der Vermittlung des Jüdischen
Museums Hohenems. Seine Forschungsarbeit über die Hohenemser Rabbiner führte
ihn auch zur konfliktträchtigen Geschichte von Abraham Kohn, der in Hohenems
die Reform einführte, bevor er 1844 nach Lemberg ging. Dort wurde Kohn 1848,
vermutlich von einem orthodoxen Fanatiker, vergiftet, als er versuchte, die
Umbrüche der Revolution 1848 auch gegen soziale Privilegien innerhalb der
Gemeinde zu wenden.
Donnerstag, den 27. März 2008, 19.30:
Eva Grabherr
(Dornbirn), Duygu Özkan (Wien)
Briefe nach Hohenems
Dichte Kommunikation,
jüdische Bürgerlichkeit und Sprachkultur in translokalen Familienbeziehungen
– Zeugnisse eines Integrationsprozesses an der Schwelle zum 19. Jahrhundert
Eva Grabherr, Gründungsdirektorin des Jüdischen Museums Hohenems und heutige
Geschäftsführerin von okay. zusammenleben in Vorarlberg, hat ihre
Dissertation Letters to Hohenems (2001) dem bis heute wichtigsten
Brieffund in Hohenems gewidmet. Private Korrespondenz und Geschäftsbriefe
der Familie Levi-Löwenberg aus den Jahren zwischen 1770 und 1850 wurden 1986
in einem Dachboden im Jüdischen Viertel gefunden und spielen in der neuen
Dauerausstellung des Museums nun eine zentrale Rolle. Duygu Özkan erforscht
für ihre Abschlussarbeit an der Universität Wien derzeit die Geschichte der
Familie Ullmann aus Augsburg, die mit den Hohenemser Löwenbergs familiär eng
verbunden war.
Donnerstag, den 10. April 2008, 19.30:
Madeleine Dreyfus,
Daniel Gerson (Universität Basel)
Diaspora und Judentum
zu Beginn des 21. Jahrhunderts:
Das Beispiel der
Schweiz
Polarisierung und
Pluralisierung als Krisensymptom – zwischen Säkularisierung und Orthodoxie,
Mischehen und Konversionen
Im Rahmen eines Forschungsprojektes am Institut für Jüdische Studien an der
Universität Basel untersuchen Madeleine Dreyfus und Daniel Gerson
gegenwärtige Veränderungsprozesse in den Jüdischen Gemeinden der Schweiz und
an deren Rändern. Dabei spielen Herausforderungen an traditionelle
Identitäten, wie interkonfessionelle Ehen, Säkularisierung von Lebenswelten,
Neo-Orthodoxie und Konversionen eine besondere Rolle. Im Rahmen der
Veranstaltung werden sie ihre aktuellen Forschungsergebnisse vorstellen.
Donnerstag, den 24. April 2008, 19.30:
Isolde Charim (Wien)
Diaspora
Von der Rückkehr eines
jüdischen Selbstbewusstseins
Isolde Charim, Philosophin, Publizistin und Lehrbeauftragte in Wien,
diskutiert die Neuentdeckung der Diaspora in jüdischen Lebenswelten der
Gegenwart. Ihre Veröffentlichungen kreisen um die Geschichte der Ideologien
des 20. Jahrhunderts und um die Brüche zeitgenössischer, jüdischer – und
österreichischer – Identitätsentwürfe. Derzeit kuratiert sie am
Kreisky-Forum in Wien eine Veranstaltungsreihe zum Thema Diaspora, dem
vieldeutigen „Zauberwort“ einer globalisierten Welt migrantisch geprägter
Gesellschaften.
Die Veranstaltung im Jüdischen Museum ist Teil einer Kooperation mit dem
Spielboden in Dornbirn. Dort werden in weiteren Veranstaltungen in diesem
Jahr, anlässlich des 60. Jahrestages der Gründung Israels, das Verhältnis
zwischen Israel und der Diaspora Gegenstand weiterer, intensiver Erkundungen
sein.
Donnerstag, den 8. Mai 2008, 19.30:
Kurt Greussing
(Dornbirn)
Der ganz normale
Antisemitismus
Historisches zur
Veralltäglichung eines Vorurteils in Vorarlberg
Kurt Greussing, Iranist Politikwissenschaftler hat das Jüdische Museum in
der Aufbauphase als Projektleiter mitbegründet.
Als Publizist hat Kurt Greussing sich von jeher mit der Ideologiegeschichte
des Antisemitismus, nicht zuletzt im regionalen Kontext Vorarlbergs,
auseinandersgesetzt, so auch in seinem Buch über Die Erzeugung des
Antisemitismus in Vorarlberg um 1900 (Bregenz 1992). In seinem Vortrag
wird er sich mit den Erscheinungen des Alltagsantisemitismus
auseinandersetzen, die die soziale, kulturelle und politische Wirklichkeit
der Region geprägt haben, und zuweilen bis heute kennzeichnen.
Donnerstag, den 22. Mai 2008, 19.30:
Sabin Schreiber (St.
Gallen)
Von Hohenemser
Kaufleuten und polnischen Hausierern
Kontinuitäten und
Brüche in der Geschichte der jüdischen Gemeinschaft von St. Gallen in den
Jahrzehnten vor und nach 1900
Sabine Schreiber hat, nach vielen Jahren der Forschung, die erste
Gesamtdarstellung der St. Galler Gemeindegeschichte bis 1933 geschrieben.
Ihre dichte Beschreibung einer widersprüchlichen Entwicklung pointiert die
unterschiedlichen Einflüsse: von den Hohenemser Kaufleuten, die seit dem
Beginn des 19. Jahrhunderts in St. Gallen arbeiteten und lebten bis zu den
„ost-jüdischen“ Einwanderern um 1900, die ihre orthodoxe Lebenswelt aber
auch die neue Idee des Zionismus in die Schweiz brachten. Ihr Buch
Hirschfeld, Strauss, Malinsky: Jüdisches Leben in St. Gallen 1803 bis
1933
ist 2006 im Züricher Chronos Verlag
Donnerstag, den 5. Juni 2008, 19.30:
Harald Walser
(Feldkirch)
Nebeneinander oder
Miteinander?
Die
"Parallelgesellschaft" der politischen Christen- und Judengemeinden in
Hohenems
Entstehungsbedingungen, Institutionen und Konflikte
Harald Walser, Historiker und Mitbegründer der
Johann-August-Malin-Gesellschaft in Vorarlberg, Direktor des
Bundesgymnasiums in Feldkirch, hat schon in den 80er Jahren über die
Sozialgeschichte der jüdischen Gemeinde in Hohenems geforscht, nicht zuletzt
über die konfliktreiche Geschichte der jüdischen Schule. Im Kontext der
einzigartigen Geschichte der Hohenemser politischen Doppelgemeinde
diskutiert er die Frage, wie das Zusammen- oder Nebeneinanderleben von Juden
und Christen im 19. Jahrhundert heute gedeutet werden kann. In seinen
Veröffentlichungen, z.B. Bombengeschäfte. Vorarlbergs Wirtschaft in der
NS-Zeit (Bregenz 1989) hat er sich mit den unterschiedlichsten Aspekten
der regionalen NS-Geschichte beschäftigt.
Donnerstag, 19. Juni 2008, 19.00:
Michael Brenner
(Universität München)
Displaced Persons –
Displaced Identities
Die jüdischen
Überlebenden als Streitobjekt der Nachkriegszeit in den alliierten
Besatzungszonen in Deutschland und Österreich
Michael Brenner, Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der
Universität München, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Brüchen
jüdischer Geschichte in der Nachkriegszeit. Geprägt von der Erfahrung des
Holocaust haben mehr als 200.000 jüdische Überlebende und Flüchtlinge als so
genannte Displaced Persons in Kasernen und Camps, oder wie in Hohenems in
requirierten Privathäusern, in den alliierten Besatzungszonen in Deutschland
und Österreich gelebt. Und sie haben dort einen Neuanfang gemacht, der sie
zumeist in die USA oder nach Israel, aber auch in die Realität der jüdischen
Nachkriegsgemeinden geführt hat. Ihre Identität war heiß umkämpft, zwischen
Tradition und neuen zionistischen Idealen, sie selbst hin und her gerissen
zwischen der Hoffnung auf eine neue Familie und ein sicheres Leben – und der
Erinnerung an die Vernichtung.
Zu Michael Brenners zahlreichen Veröffentlichungen gehören Nach dem
Holocaust: Juden in Deutschland. 1945-1950 (München 1995) und
Geschichte des Zionismus (München 2002).
Weitere Informationen:
http://www.jm-hohenems.at/ |